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Bin schon um 5:30 Uhr auf. Bis auf ein paar Cirren ist der Himmel wieder klar und es ist fast
windstill. Gefrühstückt, zusammengepackt und zur Furt. An meiner Markierung kann ich ablesen,
daß der Wasserstand seit gestern nur um etwa 5 cm gefallen ist. Das ist nicht viel, aber ich bin um
jeden Zentimeter dankbar. Dieses Abflußverhalten bestätigt meine Vermutung, daß der Hvítalón die
Schwankungen im Abflußtagesgang dämpft und ausgleicht. Dabei wäre mir natürlich ein
ausgeprägtes morgendliches Minimum lieber. Ich habe alles extra gesichert. Auch der Photo ist noch
zusätzlich wasserdicht verpackt. Flußabwärts zu furten ist nicht möglich, dazu ist die Strömung zu
stark. Nur halb gegen die Strömung gewandt, finden die Füße gerade noch genügend Halt. Der Fluß ist breit und
im wahrsten Sinne des Wortes "eiskalt". Ab der Hälfte beginne ich die Beine die Kälte zu spüren - also
zügig weiter und durch. Am anderen Ufer angekommen möchte ich aufjaulen, so schmerzen nun
Beine und Füße, aber ich weiß, es wird gleich wieder nachlassen und in wenigen Minuten sind die Schmerzen
verschwunden.
Das war also die erste Furt für heute. Ich tausche Sandalen gegen Bergschuhe und mache mich auf
den Weg. Nach ein paar hundert Meter stoße ich wieder auf die alte Fahrspur und folge ihr durch die
nördlichen Ausläufer der Mókollar hinunter auf die weite Sanderebene, welche vor dem
weitgeschwungen Moränenrand des Köldukvíslajökull liegt. Dort darf ich erst einmal ein
vergleichsweis harmloses Bacherl furten (Wegpunkt Sveðja Vað). Endlich geht es mal wieder flach
dahin und ich kann versuchen Kilometer zu machen um zügig nach Norden voranzukommen.
Mittlerweile sind die morgendlichen Cirren verschwunden und der Himmel ist wolkenlos. Die
Sonne brennt nun ungehindert herunter. Ich habe wirklich nichts gegen warme Tage, schon gar
nicht in Island, aber wenn ich einen ganzen Tag lang eine Gletscherfront ablaufen darf, dann ist mir
ein kühles und strahlungsarmes Wetter am liebsten. Die nächste Furt am Sandkvísl ist zwar nicht
besonders breit aber gerade so tief, daß ich nach dem Furten aussehe, als hätte ich in die Hosen
gepinkelt. Zwei weitere, kleinere Gletscherbäche kosten nur Zeit und Kraft, sind aber sonst
unproblematisch. Der Gletscher selbst ist hinter dem mächtigen Moränenwall verborgen und nur an
den Bachdurchbrüchen kann man sich vergewissern, daß man nur wenige hundert Meter vom Eis
entfernt ist. Die Fahrspur ist nun gut zu verfolgen, seitdem die frischen Spuren von zwei Fahrzeugen aus Westen
kommend, sich in sie eingeklinkt haben. In den Hügeln der Köldukvíslarbotnar beginnt ein
ermüdendes Auf und Ab. Es ist Mittag und zu dieser Gelegenheit steige ich noch auf eine felsige
Kuppe, der höchste Erhebung im weiteren Umkreis, die mir dann auch einen phantastischen Rundblick
gewährt. Im Norden die breite Eintiefung der Vonarskarð. Dann nach Osten der Anstieg zur Eiskuppel
der Báðarbunga, die in die weiten, flachen Gletscherhänge des Köldukvíslarjökulls übergeht. Im
Südosten die hellbraunen Kuppen der Mókollar und der eisige Kamm des Hamarinn. Im Süden dann
der markante, vom Eis umgebene, steile Gipfel des Kerlingar. Ganz in der Ferne, am Horizont eben
noch auszumachen, der Mýrdalsjökull und die Hekla. Im Südwesten die einsamen Kuppeln der
Hágöngur und davor der weite Stausee Hágöngulón. Im Westen, wenn auch teilweise verdeckt, der
Hofsjökull. Dann die dunklen Berge bis zum Tungnafell. Einer dieser Berge, der Skrauti, sticht durch
seine leuchtend ockerfarbenen Flanken hervor, als wäre er von einer anderen Welt. Auf jeder Tour gibt
es einen Moment und einen Ort in dem sich unvorhergesehen alles konzentriert. Genau jetzt an
diesem Ort zu sein, auf diesem Hügel, ist allein schon die ganze Anreise und den ganzen zurückgelegten
Weg wert. Nach knapp einer Stunde Pause und Schauen mache ich mich wieder auf den Weg.
Es geht wieder flach über eine weite Kiesebene. Die alte Fahrspur, nur noch als zwei flache,
parallellaufende Vertiefunungen erkennbar, führt weiter nach Norden, aber die frische Fahrspur, der
ich nun folge, wendet sich mehr und mehr nach Osten auf den Gletscherrand zu. In einer Bresche der
Randmoräne, nur etwa 100 m von Eisrand entfernt, ist wieder ein größerer Bach zu furten. Das
Waser ist gut oberschenkeltief. Als würde ich es nicht allein an der Wassertemperatur spüren
schwimmt, wie zur Erinnerung, ein vollkommen durchsichtiger Eisbrocken an mir vorbei - erst hielt
ich ihn für eine Plastiktüte! Hinter der Furt geht die Fahrspur der beiden Fahrzeuge zielstrebig zum
Eisrand. Aber ich will nun wirklich nicht auf den Gletscher! Meine Wegpunktkoordinaten liegen
sowieso weiter westlich. Das hat man nun davon, wenn man einer Spur folgt. Diese 2 Fahrzeuge
hatten offensichtlich ein anderes Ziel und sind auf den Gletscher gefahren.
Also peile ich den Berg Svarthöfði an und halte auf ihn zu. Etwas mühsam und steil muß ich auf ein
etwas höheres Plateau steigen das von tief eingeschnittenen Bächen durchzogen wird.
Immer wieder zwingen diese mich zu Umwegen und zum Abweichen von meinem Kurs. Ehe ich mich versehe
bin ich wieder nahe dem Rand des Gletschers, von dem ein frischer und durchdringender Wind
herunter weht. Es sind noch einmal 4 - 5 dieser Bäche zu furten und mit der Zeit habe den Überblick verloren
wieviel Mal ich heute schon der Bergschuhe gegen die Furtsandalen getauscht habe um einen
Gletscherbach zu durchwaten. Jetzt, am späten Nachmittag, sind die Bäche durch das
Schmelzwasser stark angeschwollen und dunkelbraun. Endlich der Blick hinunter in das breite, flache
Tal des Kaldakvísl, den nördlichsten Zufluß aller Gewässer, die sich in dieser Gegend hier unter
diesem Namen sammeln. Schon der Blick aus der Entfernung bestärkt meine Vermutung, daß nach
einem solchen Strahlungstag der Kaldakvísl nicht zu queren sein wird. Das ist nun wirklich keine
Überraschung. Andererseits entspringen in der weiten Talmulde, direkt auf meinem Weg, einige
kleine Bächlein mit klarem Wasser und leuchtend grünen Moosrändern!
Nahe dem Fluß, direkt gegenüber dem Berg Svarthöfði, finde ich ein geschütztes Plätzchen mit
moosigem und trockenen Untergrund. Seit den dürren Halmen bei den Hütten von Jökulheimar vor 3
Tagen die erste Vegetation! Es ist jetzt 17:00 Uhr, da braucht es keine weiteren Argumente mehr um
das Tagwerk für beendet zu erklären. Also das Zelt aufgebaut und den Schlafsack zum ersten Mal seit
einer Woche wieder ausgelüftet. Die Sonne knallt auf das Zelt und es ist richtig warm. Die reinste
Idylle! Gekocht und dann wie jeden Abend an den Aufzeichnungen. Es ist nun 21:00 Uhr und die
Sonne ist hinter dem Svarthöfði verschwunden. Ich schaue mir auf der Karte meinen morgigen Weg
an. Es sind 18 weglose Kilometer bis Nýidalur, der Kaldakvísl gleich zu Beginn und dann gut 200 m Aufstieg und und weiter in alpinem Gelände. Eigentlich
müßte ich es morgen bis Nýidalur gut schaffen. Falls dieser an der "üblichen" Furt (Wegpunkt)nicht
zu queren ist muß ich eben in eine weiten Bogen nach Nordosten ausholen und mir seine Zuflüsse
einzeln vorknöpfen. Dann wäre es aber bis nach Nýidalur zu weit und ich könnte eventuell im
Snappadalur bleiben und mich dort genauer umsehen. Gut, daß ich meinen Reservetag habe. Ein
letzter Blick aus dem Zelt bevor ich mich tief in den Schlafsack zurückziehe: immer noch
wolkenloser Himmel, keine Wetteränderung feststellbar.
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14. Tag Svarthöfði - Nýidalur