Zurück zur Hauptseite

18. Tag, Şjórsárver - Hámıri

Inhalt Home

Copyright © Dieter Graser

Montag, 02. August 1999


Nicht besonders gut geschlafen. Erstens ist der Untergrund doch zu bucklig und meine Anatomie kommt mit mindestens einem dieser Buckel nicht zurecht. Zweitens mahnt das dumpfe Rauschen des Gletscherflußes an die bevorstehende Furt. Ganz deutlich ist von Zeit zu Zeit das Wummern des Geschiebes zu hören. Und drittens schließlich, regnet es die halbe Nacht, was auch nicht gerade dazu beiträgt den Wasserstand bis zum Morgen zu senken. Kurz nach 6:00 Uhr macht mir der Regen den Gefallen und stellt seine Tätigkeit ein. Frühstück: aufgewärmter Tee von gestern und zwei Müsliriegel. Dann alles zusammenpaken. Die noch feuchte Bundhose und Unterwäsche lege ich schon mal bereit um sie erst im letzten Moment anzuziehen.

Ich ziehe gleich die Furtsandalen an, schultere den Rucksack und gehe etwa 300 m flußab. Wenn überhaupt, dann geht es hier am ehesten. Die Furt ist etwa 100 m breit und geht über 3-4 Kiesinseln die an dieser Stelle auch den Hauptstrom teilen, so daß sich keine ausgeprägte Hauptrinne ausbilden kann. Das Wasser geht mir dann auch nur halb die Oberschenkel hoch, aber der Strömungsdruck ist bedeutend. Ich bin froh, daß mir der 30 kg Rucksack durch sein Gewicht zusätzliche Bodenhaftung verleiht. Die letzte Rinnne ist ein an dieser Stelle einmündender weiterer Zufluß und nochmal etwas kitzlig. Schließlich ist es geschafft. Die Beine brennen höllisch und der Atem geht nur noch stoßweise. Schnell die Böschung hinauf und dann weiterlaufen - Haupsache in Bewegung bleiben, dann läßt der Schmerz am schnellsten nach und die Beine werden wieder warm. Am Moränenrand finden sich genügend große Blöcke auf denen man den Rucksack absetzen und sich die Füße trocknen kann.

So, daß war also der erste der Şjórsárkvíslar. Nun in den Bergschuhen mit sich langsam aufwärmenden Füßen nach Südwesten. Immer der Moräne entlang. Das bläulich schimmernde Eis des Şjórsárjökull liegt nur wenige 100 m hinter dem äußersten Wall. Der Gletscher läuft flach aus und hat kaum Spalten. Zwei Kilometer weiter dann der nächste Bach. Gut, er ist nicht besonders breit und auch nicht besonders tief. Er hat sich auch nur einen schmalen Durchbruch durch den Moränenwall gegraben. Ein Stück weiter ist schon eine bedeutend breitere Bresche im Wall zu erkennen. Da kann ich die Furtsandalen gleich anlassen. Noch bevor ich den Fluß selber sehe, höre ich schon sein Rauschen. Meine Güte, es ist jetzt erst 10:00 Uhr morgens, wo kommt denn bloß all das Wasser her? Gibt es denn hier gar keinen Tagesgang, oder gönnt sich der Hofsjökull gerade eine kleine Unpässlichkeit? Hier ist nichts auszurichten. In der blockigen Moräne ist das ein ordentliches Wildwasser und flußab bleibt das Gerinne so weit ich blicken kann ziemlich eng mit entsprechend hohem Wasserstand und starker Strömung. Die einzige Möglichkeit ist hier an einer etwas breiteren Stelle mit einem Wechsel des Stromstriches.

Da ich schon zum Furten gerichtet bin, also nur noch mal die Stöcke überprüft und rein. Im trüben Gletscherwasser habe ich gleich eine tückische Stufe sondiert und das Wasser wird immer tiefer. Mehr als ein Drittel schaffe ich nicht. Das Waser geht mir bis zum Anschlag und bei diesem Strömungsdruck finde ich trotz 120 kg Auflast keinen Halt mehr am Grund. Es wird zu gefährlich - sofort umkehren! Vorsichtig zurück zum Ufer und wieder Luft holen. Durch diesen Fluß komme ich nicht hindurch, den müßte ich über das Eis umgehen. Aber was dann? Die nächsten Tage stehen mir noch 5-6 Flüße bevor, die ich nicht umgehen kann und diesen hier hatte ich noch nicht mal auf der Liste der "kritischen"! Das war´s dann wohl - also umkehren und zurück nach Nıidalur. Ich brauch keine Minute für diese Entscheidung. Sie ist heute die einzig vernünftige und richtige. Ich nehme noch meine Position mit dem GPS und tippe als Wegpunktnamen "Return" ein. Ich bin nur 4 km vom Wegpunkt "Arnarfellsbrekka" entfernt. Ein anderes mal komme ich wieder, der Arnarfell läuft mir schon nicht weg.

vergrößern Hámıri

Mein Weg geht wieder zurück zur ersten Furt - jetzt weiß ich ja, wie sie zu nehmen ist. Vorbei an meinem Zeltplatz und dann die anderen Furten. Ich gehe nur noch in den Sandalen. Bis zum Fuß des Höhenzuges ist die Ebene sumpfig und und von so vielen Bächen durchzogen, daß es sich nicht lohnt die Bergschuhe anzuziehen. Zum Schluß noch eine flache Furt mit unangenehm weichen Sand und Schlickboden. Dann über den Damm und die 3 km bis nach Hámıri wo ich um 14:00 Uhr wieder an der selben Stelle wie vor zwei Tagen mein Zelt aufschlage. Weiter zu gehen macht heute keinen Sinn mehr. Hier habe ich einen perfekten Zeltpaltz mit klarem Wasser. Gerade noch rechtzeitig, denn es will zu regnen beginnen. Mache mir ein verspätetes Mittagessen mit der 2. Hälfte eines angebrochenen Kartoffeleintopfes und verputze danach noch eine halbe Tafel Schokolade - das Zeug muß jetzt weg! Morgen kann ich mal wieder gemütlich den Sprengisandur nach Nıidalur queren. Am Mittwoch, also übermorgen, fährt dann ein Bus nach Norden. Leider erst um 16:30 Uhr, so daß ich nicht vor 20:00 Uhr am Goğafoss ankommen werde und nach meinem Fahrplan erst am nächsten Tag weiter Richtung Akureyri und Dalvík fahren kann. So schaffe ich es also doch noch zu einem Besuch in Dæli bei Lene und Óskar.

Mache ein kleines Mittagsschläfchen und erledige danach die Aufzeichnungen. Werde jetzt die Fahrpläne noch genauer studieren und mich danach wieder "Sofies Welt" widmen. So etwas nenne ich einen gemütlichen Nachmittag!


Zurück zu Inhalt
19. Tag Hámıri - Nıidalur