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Nicht besonders gut geschlafen. Erstens ist der Untergrund doch zu bucklig und meine Anatomie
kommt mit mindestens einem dieser Buckel nicht zurecht. Zweitens mahnt das dumpfe Rauschen des
Gletscherflußes an die bevorstehende Furt. Ganz deutlich ist von Zeit zu Zeit das Wummern des
Geschiebes zu hören. Und drittens schließlich, regnet es die halbe Nacht, was auch nicht gerade dazu
beiträgt den Wasserstand bis zum Morgen zu senken. Kurz nach 6:00 Uhr macht mir der Regen den
Gefallen und stellt seine Tätigkeit ein. Frühstück: aufgewärmter Tee von gestern und zwei
Müsliriegel. Dann alles zusammenpaken. Die noch feuchte Bundhose und Unterwäsche lege ich
schon mal bereit um sie erst im letzten Moment anzuziehen.
Ich ziehe gleich die Furtsandalen an, schultere den Rucksack und gehe etwa 300 m flußab. Wenn
überhaupt, dann geht es hier am ehesten. Die Furt ist etwa 100 m breit und geht über 3-4 Kiesinseln die an
dieser Stelle auch den Hauptstrom teilen, so daß sich keine ausgeprägte Hauptrinne ausbilden kann.
Das Wasser geht mir dann auch nur halb die Oberschenkel hoch, aber der Strömungsdruck ist
bedeutend. Ich bin froh, daß mir der 30 kg Rucksack durch sein Gewicht zusätzliche
Bodenhaftung verleiht. Die letzte Rinnne ist ein an dieser Stelle einmündender weiterer Zufluß und
nochmal etwas kitzlig. Schließlich ist es geschafft. Die Beine brennen höllisch und der Atem geht
nur noch stoßweise. Schnell die Böschung hinauf und dann weiterlaufen - Haupsache in Bewegung
bleiben, dann läßt der Schmerz am schnellsten nach und die Beine werden wieder warm. Am
Moränenrand finden sich genügend große Blöcke auf denen man den Rucksack absetzen und sich die
Füße trocknen kann.
So, daß war also der erste der Şjórsárkvíslar. Nun in den Bergschuhen mit sich langsam aufwärmenden
Füßen nach Südwesten. Immer der Moräne entlang. Das bläulich schimmernde Eis des Şjórsárjökull
liegt nur wenige 100 m hinter dem äußersten Wall. Der Gletscher läuft flach aus und hat kaum
Spalten. Zwei Kilometer weiter dann der nächste Bach. Gut, er ist nicht besonders breit und auch
nicht besonders tief. Er hat sich auch nur einen schmalen Durchbruch durch den Moränenwall
gegraben. Ein Stück weiter ist schon eine bedeutend breitere Bresche im Wall zu erkennen. Da kann ich
die Furtsandalen gleich anlassen. Noch bevor ich den Fluß selber sehe, höre ich schon sein Rauschen.
Meine Güte, es ist jetzt erst 10:00 Uhr morgens, wo kommt denn bloß all das Wasser her? Gibt es
denn hier gar keinen Tagesgang, oder gönnt sich der Hofsjökull gerade eine kleine Unpässlichkeit?
Hier ist nichts auszurichten. In der blockigen Moräne ist das ein ordentliches Wildwasser und flußab
bleibt das Gerinne so weit ich blicken kann ziemlich eng mit entsprechend hohem Wasserstand und
starker Strömung. Die einzige Möglichkeit ist hier an einer etwas breiteren Stelle mit einem Wechsel
des Stromstriches.
Da ich schon zum Furten gerichtet bin, also nur noch mal die Stöcke überprüft und rein. Im trüben
Gletscherwasser habe ich gleich eine tückische Stufe sondiert und das Wasser wird immer tiefer.
Mehr als ein Drittel schaffe ich nicht. Das Waser geht mir bis zum Anschlag und bei diesem
Strömungsdruck finde ich trotz 120 kg Auflast keinen Halt mehr am Grund. Es wird zu gefährlich -
sofort umkehren! Vorsichtig
zurück zum Ufer und wieder Luft holen. Durch diesen Fluß komme ich nicht hindurch, den müßte
ich über das Eis umgehen. Aber was dann? Die nächsten Tage stehen mir noch 5-6 Flüße bevor, die
ich nicht umgehen kann und diesen hier hatte ich noch nicht mal auf der Liste der "kritischen"! Das
war´s dann wohl - also umkehren und zurück nach Nıidalur. Ich brauch keine Minute für diese
Entscheidung. Sie ist heute die einzig vernünftige und richtige. Ich nehme noch meine Position mit dem
GPS und tippe als Wegpunktnamen "Return" ein. Ich bin nur 4 km vom Wegpunkt "Arnarfellsbrekka" entfernt.
Ein anderes mal komme ich wieder, der Arnarfell läuft mir schon nicht weg.
Mein Weg geht wieder zurück zur ersten Furt - jetzt weiß ich ja, wie sie zu nehmen ist. Vorbei an
meinem Zeltplatz und dann die anderen Furten. Ich gehe nur noch in den Sandalen. Bis zum Fuß des
Höhenzuges ist die Ebene sumpfig und und von so vielen Bächen durchzogen, daß es sich nicht lohnt
die Bergschuhe anzuziehen. Zum Schluß noch eine flache Furt mit unangenehm weichen Sand und
Schlickboden. Dann über den Damm und die 3 km bis nach Hámıri wo ich um 14:00 Uhr wieder an
der selben Stelle wie vor zwei Tagen mein Zelt aufschlage. Weiter zu gehen macht heute keinen Sinn
mehr. Hier habe ich einen perfekten Zeltpaltz mit klarem Wasser. Gerade noch rechtzeitig, denn es
will zu regnen beginnen. Mache mir ein verspätetes Mittagessen mit der 2. Hälfte eines
angebrochenen Kartoffeleintopfes und verputze danach noch eine halbe Tafel Schokolade - das Zeug
muß jetzt weg! Morgen kann ich mal wieder gemütlich den Sprengisandur nach Nıidalur queren. Am
Mittwoch, also übermorgen, fährt dann ein Bus nach Norden. Leider erst um 16:30 Uhr, so daß
ich nicht vor 20:00 Uhr am Goğafoss ankommen werde und nach meinem Fahrplan erst am nächsten
Tag weiter Richtung Akureyri und Dalvík fahren kann. So schaffe ich es also doch noch zu einem
Besuch in Dæli bei Lene und Óskar.
Mache ein kleines Mittagsschläfchen und erledige danach die Aufzeichnungen. Werde jetzt die
Fahrpläne noch genauer studieren und mich danach wieder "Sofies Welt" widmen. So etwas nenne
ich einen gemütlichen Nachmittag!
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19. Tag Hámıri - Nıidalur