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Jökulsá á Fjöllum
Vikursandur
Die Einteilung einer Tagesetappe folgt immer dem gleichen Muster. Die ersten zehn Kilometer gehe
ich in zweieinhalb bis drei Stunden ohne größere Pause durch. In den kurzen Pausen des Vormittags
bleibt der Rucksack meist auf den Schultern, wenn möglich suche ich mir einen gestuften Felsblock
auf dem ich sitzen und gleichzeitig den Rucksack abstützen kann. Gibt es keinen geeigneten Felsblock,
so klemme ich im Stehen meine Skistöcke unter den Rucksack, so ist während dieser Zeit wenigstens der
Rücken entlastet. Unabhängig vom Zeitpunkt des Aufbruchs ist um 12 Uhr Mittagspause. Sie verschiebt
sich dann höchstens nur so lange, bis ein geeigneter "Brotzeitfelsen" gefunden ist. Die Mittagspause,
mit Trockenfisch, Müsliriegel und Tee aus der Thermosflasche, kann bis zu einer dreiviertel Stunde
dauern. Am Nachmittag lege ich dann nach jeder Gehstunde eine Zehn-Minuten-Pause ein. Wichtig ist
nun, daß der Rucksack von den Schultern kommt. In der Deckeltasche ist der Müsliriegelvorrat
(vier Stück) für den Tag. Sollte vom Vortag noch einer übrig sein, dann um so besser. Die Thermosflasche
gibt bei etwas Sparsamkeit auch noch zwei nicht ganz gefüllte Becher Tee her. Für unterwegs stecke
ich mir morgens noch drei, vier Mineralbonbons in die Hosentasche.
Südlich des Mišfell ist aber nirgendwo die Kreuzung mit der Piste Heršubreiš - Askja zu entdecken. Nicht
einmal die Spur einer nicht mehr benutzten Piste. Statt dessen geht es weiter in vielen Windungen der
Lava ausweichend nach NNW, dem Fuß der Heršubreišartögl ("Schweif des Heršubreiš") entgegen. Vor
24 Stunden war ich in weniger als zehn Kilometer Luftlinie nördlich des Upptyppingars genau östlich
von hier. Ich habe diesen Berg fast vollkommen umkreist und bin seit heute morgen unterwegs, ohne
den Dyngjufjöll, die nun linker Hand liegen, nähergekommen zu sein. Über den Vikursandur hinweg
sehen die Dyngjufjöll aber noch sehr weit entfernt aus. Es geht mir sicher nicht um ein schnelles
Ankommen an einem bestimmten Ziel, aber ein Ziel klar vor Augen zu haben und dann stundenlang mühsame
Umwege zu gehen, hat etwas Entmutigendes. Um 9:30 erreiche ich dann doch die Kreuzung, genau am
südlichen Hangfuß der Heršubreišartögl. Lege eine Pause ein.
Noch 13 Kilometer bis Dreki am Fuß der Dyngjufjöll. Ich rechnen mir aus, daß ich dort gegen 15 Uhr
eintreffen müßte. Auf der F88 herrscht vergleichsweise reger Verkehr, ich bin wieder auf einer
Hauptstraße. Merke nun, daß der lange gestrige Tag und der Sandsturm viel Kraft gekostet haben.
Das Wetter ist freundlich und mild, aber etwas kühlender Wind wäre mir willkommen. Das seit gestern
rationierte Wasser reicht noch für zwei kleine Pausen. Ein Schweizer Paar kommt mir mit Mountainbikes
entgegen. Wir halten einen kleinen Plausch und man wünscht sich gegenseitig weiter eine gute Fahrt.
Pünktlich um 12 Uhr Mittagspause auf einem günstigen Brotzeitfelsen fünf Meter neben der Straße -
Haršfiskur und etwas Wasser. Ein Jeep kommt vorbei und hält an. Der Fahrer fragt mit hart gefärbtem
Akzent auf Englisch ob alles OK wäre und, mit Blick auf meine fast geleerte Wasserflasche, ob ich
noch genug Wasser hätte. Na ja, bis Dreki komme ich durch, ist ja nicht mehr weit. Ich könnte von ihnen
Wasser haben, sie hätten noch 15 Liter als Reserve dabei, sicher sei sicher. Das junge schweizer Paar
sich hat also die Hinweise für Touren im Hochland zu Herzen genommen, brav. Wir wechseln dann auf
allemannisch, was dem Schweizer entgegenkommt da sein Englisch eine zum Verwechseln isländische
Färbung hat. Während unserer Unterhaltung geht mir locker ein Liter Wasser die Kehle hinunter. Ich
kann noch mal auffüllen und trinke auch das weg. Dann geht es wieder weiter, Tschau - man sieht sich
in Dreki.
Vorbei am bunten Vikrafell wird das Relief etwas bewegter. In vielen Kurven geht es immer ein wenig
bergauf und bergab. Es ist abwechslungsreich aber trotzdem klemme ich öfters die Skistöcke unter den
Rucksack und ruhe den Rücken für ein paar Minuten aus. Ein tiefschwarzer Lavastrom mit reicht von
Nordwesten kommt fast bis an die Piste heran. Von einer Kuppe aus sehe ich dann die Hütte von Dreki -
noch etwa zwei Kilometer! Zu guter Letzt sind noch zwei Bäche mit einladend klarem Wasser zu queren.
Die Furten sind nur schmal und flach, aber zehn Kilometer weiter östlich gelegen wären sie mir
lieber gewesen! An der Hütte zahle ich bei den beiden netten Mädchen für mein Zelt 700 Kronen für
zwei Nächte. Nur drei Zelte stehen oberhalb der Hütte. Ich kann mir einen schönen Platz mit
großen und schweren Steinen zum Sichern der Heringe aussuchen, denn der Boden besteht fast
ausschließlich aus Bimsstein und ist sehr weich. Das Zelt steht dann auch sehr gut und ich bin
zufrieden. Danach wasche ich mir erst Mal am Wasserhahn den schwarzen Dreck, der in allen Poren
itzt, vom Körper und aus den paar Haaren. Und dann noch eine Rasur und Socken, Hemd und die ganze
Unterwäsche gewaschen. Bei leichtem Wind ist bis zum Abend auch alles wieder trocken. Frisch
eingekleidet gibt es dann ein Käffchen mit Schokolade - die erste Etappe muß gefeiert werden.
Die beiden jungen Holländer von der Kreppa sind auch da. Der Sandsturm hat auch sie bös erwischt.
Das "Informationsfahrzeug" hat sie dann aufgelesen und mit Sack und Pack nach Dreki mitgenommen. Der
Fahrer erzählte ihnen, daß er die Brücke an der Kreppa kontrollieren mußte, da es am Oberlauf der
Kreppá eine Flutwelle gegeben hätte. Leider konnte ich nichts genaueres darüber herausbringen,
aber es ist durchaus möglich, daß ein Eisstausee ausgebrochen ist. Meine abendlichen Bedenken an
der Jökulsá á Föllum waren also nicht ganz unberechtigt.
Heršubreiš
Gut geschlafen. Das Zelt steht ruhig, ein gutes Zeichen, also kein Wind! Der Blick hinaus zeigt klares
Wetter, 3/8 Cirren und Alto Cumulus. Zum Frühstück Müsli und eine Tasse Tee. Aufbruch gegen 7 Uhr.
Ich rechne damit gegen 9 Uhr die Piste F88 Heršubreiš - Askja am Mišfell ("Mittelberg - Berg in der
Mitte") zu erreichen. Am Fuß der Dyngjufjöll kann ich von der Brücke aus schon das die Morgensonne
spiegelnde Blechdach der Hütte von Dreki sehen. Das sind immerhin 17 Kilometer Luftlinie. Der Karte
nach geht es zuerst um die südlichen Ausläufer des Upptyppingar herum und dann auf den Mišfell zu.
Der Vikursandur ("Bimsstein-Sander") ist im Ostteil eine fast vollkommen flache Kies- und Sandebene
aus der allenthalben metergroße Lavatrümmer herausragen. Die schwarze Farbe des Sandes wird aber durch
eine gelbliche Bimssteinauflage ins Freundliche gemildert.
Wieder einmal gehe ich direkt auf den Heršubreiš zu, nur diesmal komme ich direkt von Süden.
Ich komme gut voran, ab und zu Stellen mit tiefem Sand, aber die können meist umgangen werden.
Es ist fast windstill und eine vollkommene Ruhe liegt über der Landschaft. Viel Zeit zum Schauen.
Da ich mein kleines Stativ verloren habe lege ich den Photo auf einen großen Lavablock auf um selbst
mit ins Bild zu kommen.
Mache die Bekanntschaft von Angelika, einer Erdkundelehrerin aus dem Ruhrgebiet. Gemeinsam erforschen
wir die Drekagil ("Drachenschlucht"), kehren aber schon bald um und holen die Sandalen um leichter
durch den Bach zu furten. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl durch kaltes, klares Wasser zu waten -
was für eine Wohltat für die Füße! Die Schlucht ist wild und geologisch interessant, dafür nicht
ganz einfach zu gehen. Es ist schön mit jemandem angenehm plaudern zu können. Zurück am Zelt koche
ich mir eine Riesenportion Spaghetti, mit Tomatensoße und kleingehackter Dosenwurst. Schmeckt
überraschen gut! Danach Kaffe und Kekse vor Angelikas Zelt und einen kleinen Spaziergang den
steilen Hang oberhalb des Platzes hinauf. Herrlicher Blick auf den Virkursandur in weichem,
streifenden Abendlicht. Gegen 23 Uhr noch Notizen gemacht. In der Nacht einmal leichter Regen,
aber sonst alles ruhig.