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6. Tag, Jökulsá á Fjöllum - Dreki

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Copyright © Dieter Graser

Dienstag 19. Juli 1994


Jökulsá á Fjöllum
Gut geschlafen. Das Zelt steht ruhig, ein gutes Zeichen, also kein Wind! Der Blick hinaus zeigt klares Wetter, 3/8 Cirren und Alto Cumulus. Zum Frühstück Müsli und eine Tasse Tee. Aufbruch gegen 7 Uhr. Ich rechne damit gegen 9 Uhr die Piste F88 Heršubreiš - Askja am Mišfell ("Mittelberg - Berg in der Mitte") zu erreichen. Am Fuß der Dyngjufjöll kann ich von der Brücke aus schon das die Morgensonne spiegelnde Blechdach der Hütte von Dreki sehen. Das sind immerhin 17 Kilometer Luftlinie. Der Karte nach geht es zuerst um die südlichen Ausläufer des Upptyppingar herum und dann auf den Mišfell zu. Der Vikursandur ("Bimsstein-Sander") ist im Ostteil eine fast vollkommen flache Kies- und Sandebene aus der allenthalben metergroße Lavatrümmer herausragen. Die schwarze Farbe des Sandes wird aber durch eine gelbliche Bimssteinauflage ins Freundliche gemildert.

Vikursandur
Wieder einmal gehe ich direkt auf den Heršubreiš zu, nur diesmal komme ich direkt von Süden. Ich komme gut voran, ab und zu Stellen mit tiefem Sand, aber die können meist umgangen werden. Es ist fast windstill und eine vollkommene Ruhe liegt über der Landschaft. Viel Zeit zum Schauen. Da ich mein kleines Stativ verloren habe lege ich den Photo auf einen großen Lavablock auf um selbst mit ins Bild zu kommen.

Die Einteilung einer Tagesetappe folgt immer dem gleichen Muster. Die ersten zehn Kilometer gehe ich in zweieinhalb bis drei Stunden ohne größere Pause durch. In den kurzen Pausen des Vormittags bleibt der Rucksack meist auf den Schultern, wenn möglich suche ich mir einen gestuften Felsblock auf dem ich sitzen und gleichzeitig den Rucksack abstützen kann. Gibt es keinen geeigneten Felsblock, so klemme ich im Stehen meine Skistöcke unter den Rucksack, so ist während dieser Zeit wenigstens der Rücken entlastet. Unabhängig vom Zeitpunkt des Aufbruchs ist um 12 Uhr Mittagspause. Sie verschiebt sich dann höchstens nur so lange, bis ein geeigneter "Brotzeitfelsen" gefunden ist. Die Mittagspause, mit Trockenfisch, Müsliriegel und Tee aus der Thermosflasche, kann bis zu einer dreiviertel Stunde dauern. Am Nachmittag lege ich dann nach jeder Gehstunde eine Zehn-Minuten-Pause ein. Wichtig ist nun, daß der Rucksack von den Schultern kommt. In der Deckeltasche ist der Müsliriegelvorrat (vier Stück) für den Tag. Sollte vom Vortag noch einer übrig sein, dann um so besser. Die Thermosflasche gibt bei etwas Sparsamkeit auch noch zwei nicht ganz gefüllte Becher Tee her. Für unterwegs stecke ich mir morgens noch drei, vier Mineralbonbons in die Hosentasche.

Südlich des Mišfell ist aber nirgendwo die Kreuzung mit der Piste Heršubreiš - Askja zu entdecken. Nicht einmal die Spur einer nicht mehr benutzten Piste. Statt dessen geht es weiter in vielen Windungen der Lava ausweichend nach NNW, dem Fuß der Heršubreišartögl ("Schweif des Heršubreiš") entgegen. Vor 24 Stunden war ich in weniger als zehn Kilometer Luftlinie nördlich des Upptyppingars genau östlich von hier. Ich habe diesen Berg fast vollkommen umkreist und bin seit heute morgen unterwegs, ohne den Dyngjufjöll, die nun linker Hand liegen, nähergekommen zu sein. Über den Vikursandur hinweg sehen die Dyngjufjöll aber noch sehr weit entfernt aus. Es geht mir sicher nicht um ein schnelles Ankommen an einem bestimmten Ziel, aber ein Ziel klar vor Augen zu haben und dann stundenlang mühsame Umwege zu gehen, hat etwas Entmutigendes. Um 9:30 erreiche ich dann doch die Kreuzung, genau am südlichen Hangfuß der Heršubreišartögl. Lege eine Pause ein.

Noch 13 Kilometer bis Dreki am Fuß der Dyngjufjöll. Ich rechnen mir aus, daß ich dort gegen 15 Uhr eintreffen müßte. Auf der F88 herrscht vergleichsweise reger Verkehr, ich bin wieder auf einer Hauptstraße. Merke nun, daß der lange gestrige Tag und der Sandsturm viel Kraft gekostet haben. Das Wetter ist freundlich und mild, aber etwas kühlender Wind wäre mir willkommen. Das seit gestern rationierte Wasser reicht noch für zwei kleine Pausen. Ein Schweizer Paar kommt mir mit Mountainbikes entgegen. Wir halten einen kleinen Plausch und man wünscht sich gegenseitig weiter eine gute Fahrt. Pünktlich um 12 Uhr Mittagspause auf einem günstigen Brotzeitfelsen fünf Meter neben der Straße - Haršfiskur und etwas Wasser. Ein Jeep kommt vorbei und hält an. Der Fahrer fragt mit hart gefärbtem Akzent auf Englisch ob alles OK wäre und, mit Blick auf meine fast geleerte Wasserflasche, ob ich noch genug Wasser hätte. Na ja, bis Dreki komme ich durch, ist ja nicht mehr weit. Ich könnte von ihnen Wasser haben, sie hätten noch 15 Liter als Reserve dabei, sicher sei sicher. Das junge schweizer Paar sich hat also die Hinweise für Touren im Hochland zu Herzen genommen, brav. Wir wechseln dann auf allemannisch, was dem Schweizer entgegenkommt da sein Englisch eine zum Verwechseln isländische Färbung hat. Während unserer Unterhaltung geht mir locker ein Liter Wasser die Kehle hinunter. Ich kann noch mal auffüllen und trinke auch das weg. Dann geht es wieder weiter, Tschau - man sieht sich in Dreki.

Vorbei am bunten Vikrafell wird das Relief etwas bewegter. In vielen Kurven geht es immer ein wenig bergauf und bergab. Es ist abwechslungsreich aber trotzdem klemme ich öfters die Skistöcke unter den Rucksack und ruhe den Rücken für ein paar Minuten aus. Ein tiefschwarzer Lavastrom mit reicht von Nordwesten kommt fast bis an die Piste heran. Von einer Kuppe aus sehe ich dann die Hütte von Dreki - noch etwa zwei Kilometer! Zu guter Letzt sind noch zwei Bäche mit einladend klarem Wasser zu queren. Die Furten sind nur schmal und flach, aber zehn Kilometer weiter östlich gelegen wären sie mir lieber gewesen! An der Hütte zahle ich bei den beiden netten Mädchen für mein Zelt 700 Kronen für zwei Nächte. Nur drei Zelte stehen oberhalb der Hütte. Ich kann mir einen schönen Platz mit großen und schweren Steinen zum Sichern der Heringe aussuchen, denn der Boden besteht fast ausschließlich aus Bimsstein und ist sehr weich. Das Zelt steht dann auch sehr gut und ich bin zufrieden. Danach wasche ich mir erst Mal am Wasserhahn den schwarzen Dreck, der in allen Poren itzt, vom Körper und aus den paar Haaren. Und dann noch eine Rasur und Socken, Hemd und die ganze Unterwäsche gewaschen. Bei leichtem Wind ist bis zum Abend auch alles wieder trocken. Frisch eingekleidet gibt es dann ein Käffchen mit Schokolade - die erste Etappe muß gefeiert werden.

Die beiden jungen Holländer von der Kreppa sind auch da. Der Sandsturm hat auch sie bös erwischt. Das "Informationsfahrzeug" hat sie dann aufgelesen und mit Sack und Pack nach Dreki mitgenommen. Der Fahrer erzählte ihnen, daß er die Brücke an der Kreppa kontrollieren mußte, da es am Oberlauf der Kreppá eine Flutwelle gegeben hätte. Leider konnte ich nichts genaueres darüber herausbringen, aber es ist durchaus möglich, daß ein Eisstausee ausgebrochen ist. Meine abendlichen Bedenken an der Jökulsá á Föllum waren also nicht ganz unberechtigt.

Heršubreiš
Mache die Bekanntschaft von Angelika, einer Erdkundelehrerin aus dem Ruhrgebiet. Gemeinsam erforschen wir die Drekagil ("Drachenschlucht"), kehren aber schon bald um und holen die Sandalen um leichter durch den Bach zu furten. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl durch kaltes, klares Wasser zu waten - was für eine Wohltat für die Füße! Die Schlucht ist wild und geologisch interessant, dafür nicht ganz einfach zu gehen. Es ist schön mit jemandem angenehm plaudern zu können. Zurück am Zelt koche ich mir eine Riesenportion Spaghetti, mit Tomatensoße und kleingehackter Dosenwurst. Schmeckt überraschen gut! Danach Kaffe und Kekse vor Angelikas Zelt und einen kleinen Spaziergang den steilen Hang oberhalb des Platzes hinauf. Herrlicher Blick auf den Virkursandur in weichem, streifenden Abendlicht. Gegen 23 Uhr noch Notizen gemacht. In der Nacht einmal leichter Regen, aber sonst alles ruhig.