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13. Tag; Nżidalur, Tungnafellsjökull

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Copyright © Dieter Graser

Dienstag 26. Juli 1994


Der Wind hat deutlich nachgelassen und ich habe bis 7:30 Uhr ausgeschlafen! Der Himmel ist zwar bedeckt, aber es ist trocken. Die Franzosen packen zusammen. Die Firststange eines Zeltes wird herumgereicht. Sie hat die Form eines Flitzebogen. Sonst hat es bei ihnen keine größere Schäden gegeben. Zwei andere Zelte sind aber nachts offensichtlich "abgebaut" worden. Ich verabschiede die Franzosen, die heute Richtung Süden nach Landmannalaugar fahren. Jetzt stehen nur noch zwei Zelte auf dem Platz. Das andere ist das gleiche Zelt wie ich es habe. Es gehört, wie der Lada mit Nürnberger Nummer und den Tourenski auf dem Dach, Flo, 26, freier Photograph und Bergsteiger. Wir kommen schnell ins Gespräch und begutachten die Schneelage in den Rinnen am Tungnafell. Eine davon scheint durchgehend befahrbar zu sein. Flo hat Lust auf eine kleine Skitour. Ich will eigentlich das Jökuldalur erkunden, aber Flo hat bei seiner Bergausrüstung auch noch Kunststoffsbergschuhe und Steigeisen dabei und bietet mir an ihn zu begleiten. Wir haben die selbe Schuhgröße, warum also nicht?

Wir fahren mit dem Lada durch die Furt und gehen dann eine viertel Stunde bis zum Ende der Rinne, die wir uns ausgesucht haben. Der Schnee reicht tatsächlich bis ganz herunter. Es ist guter Firn, nur unten vielleicht etwas sandig und steinig. Sie zieht fast geradlienig etwa 600 Höhenmeter hinauf, ist zwischen 10 und 100 m breit und an einigen Stellen maximal 35° steil. Flo geht mit Ski und Fellen, ich mit den Steigeisen und Skistöcken. Das Wetter ist grau, immer wieder leichte Regenschauer die mit zunehmender Höhe in Schnee übergehen. Flo, konditionell stärker, zieht zum Schluß voraus und steigt noch, oberhalb einer markanten Verflachung, den letzten Hang bis zu einer Plateaurand des Tungnafell auf. Ich habe schon länger die runde Kuppe eines Vorgipfels angepeilt, die mir für heute genügt. Der Ausblick auf den Sprengisandur und den Hofsjökull ist phantastisch, die Sicht auf den Vatnajökull jedoch ist durch den Tungnafell selbst versperrt. Alles liegt da wie auf einer Landkarte. Jeder Fluß und jeder kleine See ist zu erkennen. Nach Norden ist die Sprengisandurpiste bis zum Fjóršungsvatn zu verfolgen. Etwas nordwestlich dann auch der Bergvatnskvisl, mein nächstes Etappenziel auf dem Weg zum Eyjafjöršur. Mein Aufenthaltsort ist allerdings recht ungemütlich denn der Wind hier oben hat Sturmstärke und jagt mir heftige Schneeschauer in den Rücken. Den abgelegten Rucksack muß ich sichern, daß er nicht wegfliegt. Die Phototasche bleibt geschlossen. Es ist sogar schwierig heißen Tee aus der Thermosflasche in den Becher zu gießen.

Flo
Ich treffe Flo wieder auf dem flachen Schneefeld der Verebnung. Hier sind wir weniger exponiert. Zusammen überqueren wie die Schneefläche. Einen kleinen Zwischenfall gibt es, als ich mit einem Bein bis zum Knie in einem Schnee-Wassersumpf einbreche. Die Gamaschen und ein schneller Sprung bewahren mich vor nassen Füßen, Hoppla! Am Beginn der Rinne sprechen wir uns kurz ab. Flo fährt mit den Ski immer ein gutes Stück voraus und wartet dann bis ich nachkomme. Die Abfahrt macht ihm sichtlich Spaß, was ich ihm auch nachempfinden kann. Die Steigeisen jetzt am Rucksack rutsche ich das Schneefeld ab. In meinem Schweinsgalopp bin ich auch ganz schön schnell. Der Firn hat genau die richtige Konsistenz und so habe auch ich meinen Spaß. Etwas weiter unten sind wir aus dem Sturm heraus und aus Schnee ist wieder Regen geworden. Flo macht ein paar Photos für einen Rucksackhersteller und für "Ortlieb" Phototaschen und weiter geht's. Wir toben die Rinne herunter. Dank der festen Schuhe und der Skistöcke ist es kein Problem. Unten freuen wir uns über den Spaß, den wir uns da geleistet haben und stiefeln zum Auto zurück, das uns dann wieder brav über den Fluß setzt.

Es ist 16 Uhr und wir haben einen Bärenhunger. Wir beschließen in der Hüttenküche "Spaghetti Nżidalur" zu kochen und werfen die dazu nötigen Ingredienzen aus unseren Vorräten zusammen. Flo hat Zwiebeln. In meinem Futterpacket ist eine Wurstdose, deren kleingeschnittener Inhalt das die Rolle Hackfleischs übernehmen muß. Inda und Sigga (Sigrišur) laden uns in ihr winziges Büro zu einer Tasse heißer Schokolade ein. Sigrišur kommt aus Akureyri und ihre Familie führen den "Bókabušin Jónassars", Jonas“ Bücherladen. Ich verspreche ihr meine Literatur in Zukunft von dort zu beziehen. Sie kennt sich sehr gut in München und in Oberbayern aus und hat letzten Winter auch manche Skitour in den Kitzbühlern gemacht.

Inda und Sigga
Der Plausch wird unterbrochen, da ein Bus mit weiteren Übernachtungsgästen eingetroffen ist. Wieder Franzosen, die "Assosation des Professeurs de Géographie et de la Biologie de Caen", die aber erst mal ausschwärmen und Pflänzchen bestimmen. Währenddessen kommt von Süden ein schwerer Ford Geländewagen mit Anhänger an der Hütte an. Zwei Mädchen springen heraus schleppen riesige Kochtöpfe, zwei große Gasherde, Flaschen, Steigen mit Gemüse und Obst in die Küche und vereinnahmen diese fast vollkommen. Flo und ich drücken uns in eine Ecke und schauen dem Treiben interessiert zu. Die Mädchen sind Profis, sie sind den Sprengisandur heraufgekommen, nur um heute Abend für die Reisegruppe der 39 Franzosen zu kochen. Morgen Abend sind sie wieder in Landmannalaugar und dann für ein paar Tage in Žórsmörk. Angesichts dieser sich abzeichnenden VöllereiBei einer vollen Steige mit Zitronen kann ich nicht widerstehen dem Skorbut vorzubeugen - schließlich komme ich doch gerade aus der Missetäterwüste - das verpflichtet doch auch irgendwie!

Zu den vielen Fahrzeugen, die jetzt vor der Hütte stehen, kommt noch eines das sich doch etwas von den anderen abhebt. Ein großer japanischer Allrad mit einem Ruderboot auf dem Anhänger. Neugierig schaue ich mir das Behördenfahrzeug an. Im Wagen liegen die mir wohlbekannten, großen Holzkisten von "OTT / Kempten". Die beiden Wasserwirtschaftler haben mir dann auch stolz die darin aufbewahrte Flügelausrüstung zur Abflußmessung gezeigt. Sie wollen heute Nacht zwischen 2 und 6 Uhr weiter im Süden an der Žjórsá den Abfluß messen.

Bis spät am Abend sitzen wir bei Inda und Sigga und lernen isländisch oder bayerisch. Gegen 17 Uhr beginnt es heftig zu regnen. Da es unvermindert so weitermacht beschließe ich, daß ich erst morgen entscheiden werde, wann ich von Nżidalur aufbrechen werde. Flo hatte sein Zelt schon am Morgen abgebaut und schläft auf dem Fußboden in der Hütte, die mit 120 Übernachtungsgästen ausgelastet ist. Ich ziehe mein einsam auf der Wiese stehendes Zelt dem Gedränge vor.