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In der Nacht zunehmender Wind aus Süd, irgendwann weckt mich kurz ein Regenschauer. Um 6 Uhr ist der
Himmel bedeckt und ein kräftiger Wind bläst das Tal herunter. Ich bin froh nicht mehr im Hochland zu
sein, sicher ist es heute dort oben entschieden ungemütlicher als gestern. Aufbruch kurz nach 8 Uhr.
Heute ist Sonntag. Hans weiß, daß ich heute hier in der Gegend sein müßte. Wir haben uns
unverbindlich abgesprochen, daß sie die Geländearbeiten in diesem Tal, wenn möglich, auf den Tag legen
an dem ich voraussichtlich vom Hochland herunterkomme. Also Augen auf, ob nicht irgendwo der gute, alte
Nissan Patrol zu sehen ist.
Das Lee der Berge löst die Wolken auf, die mir immer wieder einen Regenschauer nachschicken. Talauswärts,
nach Norden zu, reißt es Löcher in die Wolkendecke. Einzelne Berghänge sind wie von Scheinwerfern
beleuchtet während andere in blauem Schatten liegen. Es geht stetig leicht bergab und ich komme gut voran.
Ich bin weniger euphorisch als gestern Nachmittag, aber immer noch gut gelaunt. Hin und wieder stehen
Fahrzeuge und Zelte von Isländern an den "schönen Stellen" im Tal, aber sie scheinen alle noch zu schlafen.
Es ist schließlich Sonntag und morgen ist der erste Montag im August, also ein Feiertag. Ganz Island soll
an diesem Wochenende unterwegs sein, sagt man. Einer ist aber doch schon auf und wähnt sich schlaftrunken
in friedvoller Einsamkeit. Mein Juchzger schreckt ihn bei seinem Morgengeschäft auf, daß er einen Satz
macht. Nix für ungut, ich konnte es mir nicht verkneifen!
Die Bäche aus den Seitentälern werden immer größer und überschwemmen den Weg auf weiten Strecken.
Es ist schwierig sich keine nassen Füße zu holen. Bei einer längeren "Bachquerung" passiert mir dann
der einzige Unfall meiner Reise. Ein Stein, auf dem ich am Rand der überfluteten Fahrspur trete, gibt
nach und bringt mich aus dem Gleichgewicht. Der schwere Rucksack zieht mich über den Kopf gegen die
hangseitige Böschung. Im Reflex versuche ich mich abzustützen was mir allerdings die rechte Schulter mit
dem bekannten, stechenden
Schmerz quittiert. Es braucht ein paar Sekunden bis ich wieder fähig bin mich zu bewegen. Es wird auch
Zeit, denn ich liege mit der linken Seite im Wasser, das hier munter über die Böschung pritschelt. Es
gelingt mir mich aufzurappeln und auf trockenes Terrain zu kommen. Nichts weiter passiert, die Schulter
geht schon wieder. Der Photo in der Tasche hat es auch überlebt und nach einer kleinen Pause bekomme ich
auch den Rucksack wieder auf den Buckel. Trotzdem war das ein Dämpfer und ich brauche einige Zeit um mich
davon zu erholen.
Um 10:30 Uhr erreiche ich den ersten Hof und mache am Straßenrand die erste Brotzeitpause. Das Tal ist
weit geworden und auf denn Wiesen wird Heu gewendet. Es ist sonnig und angenehm wenngleich auch ein
frischer Wind das Tal heraus bläst. Dann geht es weiter, immer der Straße entlang. Sie ist zwar nicht
geteert, aber sonst eben eine richtige Straße. Eigenartigerweise habe ich wieder das Gefühl mit Straßen
nicht zurechtzukommen. Jeder Bergsteiger kennt die Unlust die einen befällt, wenn man nach einer Bergtour
noch einen "Talhatscher" hinter sich bringen muß. Es ist verrückt, nach fast 300 Kilometer zu Fuß über
das Hochland folgt jetzt ein ganz ordinärer Talhatscher! Ich habe das Gefühl nicht vom Fleck zu kommen.
Und wenn doch, dann viel zu langsam. Das Gehen wird eintönig, ich bin ungeduldig. Es ist die Psyche,
die mir hier diesen Streich spielt. Ich bin von Hochland herunter, ich bin jetzt in bewohnten Gegenden,
das Unterbewußt sein sagt mir, ich bin jetzt angekommen und die innere Spannung läßt binnen weniger
Stunden nach. Erst ihr Fehlen macht deutlich wie stark und wie präsent sie gewesen sein muß. Jetzt
hinterläßt sie ein Motivationsloch. Kein Kilometerfressen mehr, sondern ein Talhatscher.
Um 12 Uhr Mittagspause an einem kleinen Wiesenbach, am Nordende des Bergsturzgebietes von Hólar.
Ein neues Problem zeichnet sich ab. Die Bäche aus denen man sein Trinkwasser schöpfen will führen
nicht mehr unbedingt und selbstverständlich Trinkwasserqualität. Ein prüfender Blick in Richtung
Oberlauf ist in besiedeltem Gebiet schon angebracht. Von der Höhe des Bergsturzes herunter sind die
nächsten, fast schnurgeraden, 5 bis 6 Straßenkilometer übersehbar. Ich bin mürbe und fasse einen
Entschluß. Was bis jetzt untrennbar zur Idee dieser Tour gehört hat, nämlich zu Fuß und mit
größtmöglicher, aber auch noch sinnvoller (vernünftig wäre in diesem Zusammenhang sowieso der falsche
Ausdruck) Unabhängigkeit von fremder Hilfe das Hochland zu bereisen, kann ich jetzt ganz undogmatisch
zu Seite legen. Meine Idee dieser "Erfahrung" habe ich verwirklicht. An diesem Ziel war ich schon
gestern Abend angekommen. Ab jetzt wird der Daumen rausgehalten, wenn ein Fahrzeug kommen sollte,
das so aussieht als hätte mein Rucksack darin Platz.
Der Verkehr ist aber recht spärlich. So komme ich doch noch einige Kilometer zum Laufen. Der Fahrer des
ersten Wagens talauswärts hält auch prompt an, allerdings nur um mir mitzuteilen, daß er leider keinen
Platz mehr in seinem kleinen Suzuki hat - was offensichtlich zutrifft. Ich bedanke mich für die nette
Geste. Nach 20 Minuten dann das zweite Fahrzeug, ein hochbeiniger Toyota. Der Fahrer, ein jüngerer Bauer
aus dem Tal nimmt mich ein paar Kilometer bis kurz vor Saubęr mit. Er sagt mir noch, daß ich ab der
Brücke und Kreuzung hier, mit mehr Verkehr rechnen könne. Viel Glück und Danke. Die Straße ist sogar
geteert, was für mich nicht unbedingt angenehmer zu gehen ist. Noch 26 km bis Akureyri, steht auf dem
Schild an der Einmündung. Irgendwie will ich da heute noch hinkommen, aber vorerst dackle ich noch weiter.
Ein alter Traktor kommt mir entgegen. Der Bauer hebt kurz die Hand. Nach einer halben Stunde überholt
mich der selbe Traktor und der Bauer winkt wieder freundlich. Ich frage mich, wie oft ich ihm wohl
noch begegnen werde. Sonst ist nicht viel los hier. Zumindest der Gegenverkehr verstärkt sich, aber es
sind alles vollbesetzte Famillienkutschen und die sind Insassen im Sonntagsstaat. Irgenwo muß hier
ein Familientreffen sein. In Richtung Norden habe ich scheinbar kein Glück.
Etwas Abwechslung gibt es für mich, als ein paar Kilometer voraus plötzlich ein Segelflugzeug am
Windenseil in den Himmel steigt. Es ist ein älterer Vogel aus der Vorkunststoffzeit, der kaum gegen
den Wind ankommt der mich talauswärts schiebt. Der Himmel ist vollkommen bedeckt und es hängen auch
ein paar Regenstreifen unter den Wolken. Thermik gibt es heute keine aber er findet eine kleine Welle
und macht Höhe - bis er in den Regen eintaucht. Er landet und startet gleich wieder zu einem zweiten
Versuch. Diesmal erwischt er die Welle besser, stellt sich gegen den Wind und läßt sich mit Minimalfahrt
nach Süden emportragen. So fliegt man also in Island! Inzwischen habe ich den Flugplatz erreicht und
beobachte wie zwei weitere Segler startklar gemacht werden.
das Team
Ein Aufschluß liegt noch am Weg und dann steuern wir eine Tankstelle mit Kaffee an. Wir haben Glück,
der örtliche Frauenverein veranstaltet ein Kuchenbuffet. Man zahlt 700 Kronen und dann gibt es Kaffee
und Kuchen satt. Als Vorspeise allerdings noch Flatbrauš mit geräuchertem Lachs und zum Abschluß
hauchdünne Pfannkuchen mit Schlagsahne! Ich fürchte, daß von meinen 700 Kronen nicht mehr viel für
wohltätige Zwecke übrig blieb, aber eine Wohltat war es fürwahr. Die Damen sollten eigentlich wissen,
daß es gefährlich sein kann, so nahe an der Grenze zum Hochland ein Kuchenbuffet zu veranstalten.
Noch ein paar Aufschlüsse und dann fahren wir über Akureyri in Richtung Skišadal. Heute brauche ich mir
keine Gedanken machen, wo ich das Zelt aufstellen soll. Ich bin zufrieden. Bei Dalvík ins Tal einbiegen
ist wie nach Hause kommen. Óskar ist mit dem Fendt noch auf dem oberen Heufeld und Hans setzt mich in
Dęli ab, um mich eine Stunde später dort abzuholen. Lene stellt eine Riesenkanne Milch auf den
Küchentisch. Die Kinder sind groß geworden und ein neues ist dazugekommen. Es gibt viel zu erzählen.
Später holt Hans mich wieder ab und wir fahren zum "neuen Haus" Möšruvellir. Der alte Schafstall
ist wohnlicher als ich mir ihn vorgestellt habe.
Vom Hangar aus fährt ein alter, roter Geländewagen zur Straße. Ich bedauere schon, daß er vor mir die
Straße erreicht und damit nicht mehr als mögliche Mitfahrgelegenheit in Frage kommt, aber dann biegt er
auch noch nach links ab und fährt damit sowieso in der falschen Richtung. Schade, der hatte sicher
noch Platz. Im Weitergehen wende ich mich wieder den Segelflugzeugen zu und wundere mich noch, warum
der rote Geländewagen so langsam fährt. Erst als ich hinter seinem Steuer den grinsenden Thomas sehe,
erkenne ich seinen alten Ford Bronco wieder. Hans sitzt neben ihm und lacht wohl über meinen
seltsamen Gesichtsausdruck. Vom Flugplatz her kommt nun auch der weiße Nissan Patrol mit dem Rest der
Maria, Geli und dem Rest der Geographenmannschaft. Eigentlich habe ich nicht mehr ernsthaft gerechnet
sie zu trefen, es gibt zu viele Möglichkeiten sich zu verpassen. Nach der Begrüßung und einem
"Zielphoto" verstauen wir den Rucksack. Jetzt, da ich ihn nicht mehr tragen muß, ist die Tour auch
wirklich an ihrem Ende angekommen.