5. Tag, Bolungavík

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Dieter Graser © 2014

Mittwoch, 07. Juli 2010


Um 6:00 Uhr der obligatorische Blick aus dem Zelt. Der Nebel lieg auf und ich kann nicht einmal die Hütte der Hüttenwartin erkennnen. Ein steifer Nordostwind weht von der See her. Die Brandung vom nur etwa 200 m entfernten Strand ist deutlicher lauter. Wecker abgeschaltet und weitergepennt. Kein Wetter für mich um über den Pass zu gehen. Geduld, Geduld ...

Brandung
Um 10:00 Uhr leichte Besserung. Der Nebel ist auf etwa 50 m über Grund gestiegen. Das Meer hat Schaumkronen. Mache mir eine Thermoskanne Tee und frühstücke einen Müsliriegel - ich muß mit meinen Vorräten haushalten. Ich habe nur noch 4 Doppelpackungen Trekkingfutter, da reicht aber auch schon mal eine halbe Packung um bei Kräften zu bleiben. Heute kann ich auf die von der isländischen Gruppe zurückgelassenen Reste zurückgreifen.

Besuch
Etwa um 11:00 Uhr höre ich Stimmen vor dem Zelt. Irgendetwas osteuropäisches. Halb im Schlafsack schaue ich zum Zelteingang heraus.
Hallo - woher - wohin? Aha 4 Tschechen auf dem Weg zum Reykjafjörður.
Wie geht's den Socken? - Oh, they are all dry.
Großes Gelächter. Das wird jetzt zum Standardwitz der Tour.
Ob ich aus München wäre? - ja, könnte man so sagen.
Ob ich eine Webseite hätte - ja, auch das.
Ahh, my great inspiration in long winter evenings!
Ach, da freut man sich doch in aller Bescheidenheit. Die einzige Frau im Team tritt von einem Bein auf das andere. Ihr ist nach der Furt des Talbaches offensichtlich noch kalt und sie will weiter. Die Gruppe hat auch eine Gezeitentabelle dabei und um Mittag sollte für die Passage der Bolungavíkurófæra günstig sein. Am Horn haben sie vier Tage in Regen und Sturm ausgeharrt - eine Zeltstange ging dabei zu Bruch. Schnell noch zwei Fotos gegenseitig und schon marschieren sie weiter.

Gegen 15:00 Uhr erneut Stimmen.
Hallo? - keine Antwort
Sehe gerade noch zwei hohe schlanke Klättermusen Rucksäcke hinter der alten Düne verschwinden. Ach so - die wortkargen Flamen auf Nordkurs. Sei's drum, da will ich nicht stören. Das war die vierte Begegnung mit ihnen, bei nur einer Kontaktaufnahme. Im bayrischen Gebirg hätte dieses mehrfach verweigerte "Servus" schön langsam ein geknurrtes "Saupreißn, flämische" zur Folge gehabt. Aber vielleicht liegt dieser Mangel an traditioneller, alpiner Höflichkeit einfach nur daran, dass die in Belgien kein Gebirg haben? Ober mir geht das Rumwarten im Küstennebel mittlerweile einfach auf den Geist?

Beschließe, für die nächste Nacht die Hütte auszuprobieren. Packe mein Zelt zusammen und ziehe in die Hütte um. Die Hüttenwartin Hildur (so heißt sie, habe ich inzwischen rausbekommen) bemerkt mein Treiben und schaut herüber. Die Gasheizung wird angeworfen und wir kommen in eine längere Unterhaltung. Eigentlich wäre die Hütte heute ausgebucht, aber die Gruppe hat wegen des schlechten Wetters abgesagt. Glück für mich, so kann ich mich ausbreiten und ein paar Sachen trocknen. Der Fisch, den die letzte Isländergruppe zurückgelassen hat, war nicht mehr so frisch, so hat in Hildur an die Füchse verfüttert. Sie hätte aber frischen Fisch in ihrer Hütte - wenn ich wollte - um 19:00 Uhr zum Abendessen? Will schon versprechen, dass ich einen schönen trockenen Weißwein oder eine Secco mitbringen werde, aber mir fällt gerade noch ein, dass einen solchen gar nicht im Rucksack habe. Nehme die Einladung aber trotzdem gerne an.

Bratkartoffeln
Essen war das falsche Thema! Hungrig wie ich bin gehe ich in die Hüttenküche, krame eine Pfanne hervor, schnippele übig gebliebene Salamischeiben klein und schneide die ebenfalls zurückgelassenen gekochten Kartoffeln in Scheiben. Bratkartoffeln nach Art des Hauses zu Mittag! Hinterher ein Käffchen und etwas an den Aufzeichnungen geschrieben.

Am Abend bei Hildur zum Fischessen. Ein Riesenportion Ýsa (Schellfisch) paniert mit Kartoffeln. Der Blick durch das Fenster des gemütlich, engen Zimmers nach draußen auf die Sichel des sturmgepeitschten Strandes und die graue Brandung in der Bucht machen die Hütte heute Abend zu einer einsamen bewohnten Insel an Nordrand der Welt. Zwei regennasse Füchse holen sich ihre Portion von einem Tellerchen ab. Im Radio kommt die Nachricht: Deutschland - Spanien 0:1, uninteressant - Wetterbericht ist wichtiger. Wir essen und ich höre Geschichten aus dem Leben einer Hüttenwartin in Hornstrandir und dem Leben in Ísafjörður. Ich bleibe bis gegen 23:00 Uhr. Auf dem Rückweg zur Gäste-Hütte streichen noch die Füchse in der blauen Dämmerung durchs Treibholz. War ein unverhoffter und netter Abend mit einem sympathischen Menschen.


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