Zurück zu Inhalt

5. Tag Hvítárnes - Þverbrekknamúli

Inhalt Home

Copyright © Dieter Graser

Montag 24. März 1997


Am Morgen leichter Schneefall, alle Berge im weiten Umkreis sind sichtbar. Nur der Bláfell im Süden hat sich in Wolken gehüllt. Also Frühstück und dann Packen. Die Fenster der Hütte sind so vereist, daß sie blind wie Milchglas sind. Als ich fertig bin und den Pulkasack über die Klöntür hiefen will, sind alle Berge verschwunden und es schneit ganz ordentlich. Bemerkenswerterweise kein Wind. Aber es herrscht "White out" - Schnee, Luft und Himmel alles verschwimmt weiß in weiß ineinander. Ich kann nicht einmal die Sichtweite abschätzen - Instrumentenflugbedingungen. Da ich aber keinen sicheren Ort verlassen will, wenn schon dazu GPS und Kompass brauche, blase ich meinen Start vorläufig ab. Ich koche mir noch einen Kaffee und führe meine gestern abgebrochenen Aufzeichnungen weiter. Durch eine freigekratzte Fensterscheibe sehe ich aber nur wenig mehr als eine Schneewehe. Gegen 11:00 Uhr wird die Sicht wieder besser. Es schneit zwar noch immer leicht, aber ich kann auf meinem Kurs einen Berg als Peilpunkt anvisieren und brauche also nicht dauernd auf den Kompass zu starren.

Aufbruch um Mittag. Die Hütte wieder verschlossen. Hoffentlich weiß der zweite Gast des Jahres meine Schaufelei zu schätzen. 7 km auf Kompasskurs 69°, naja 70° tun´s auch. Der Schnee vor der Skispitze ist optisch genauso strukturlos wie 1 km (oder 5 km?) voraus. Nur alle 5 bis 10 m wechselt er seine Beschaffenheit: weicher 5cm tiefer, körniger Lockerschnee, windverpreßter Harsch, der dumpf und hohl in Platten zerbricht, freigeblasene alte Sastrugis mit der Körnigkeit und den Gleiteigenschaften von feinem Styropor, dann geriffeltes Blankeis das wenigstens etwas bläulich schimmert. Es ist flach, aber ich komme trotzdem nicht so zügig voran wie ich mir das vorstelle. Es wird mir warm. Inzwischen gehe ich ohne Anorak und später will mir auch die Jacke zuviel werden. Ich habe mich gerade ausgeschirrt um den Faserpelz auszuziehen als eine erste Böe aus Osten mich wieder den Anorak hervorkramen läßt. Linsenwolken stehen über dem Hofsjökull und den Kerlingerfjöll. Am Nordwestrand des Hofsjökull eine Wolke die aufsteigt wie eine sich an Strand brechende Welle - diese Wolkenerscheinung sehe ich dort nicht zum ersten Mal. Ich beende meine kleine Pause und schaue, daß ich weiterkomme. Der Wind nimmt zu, aber es ist warm und der Schnee wird pappig und beginnt widerlich unter den Ski zu stollen. Wenigstens läuft die Pulka ohne zu mucken, aber die Ski gleiten nicht mehr. Bei jedem Schritt muß ich die Füße anheben und immer wieder versuche ich die Stollen loszuwerden aber das kostet Kraft und stört jeden Bewegungsrythmus. Ich stapfe weiter mit neuem Kurs und Peilpunkt westlicher Hangfuß des Kjalfells. Manchmal laufe ich minutenlang mit geschlossenen Augen denn im Schnee ist eh nichts zu erkennen, nur zu spüren, aber durch das Gestänge und die Pulka habe ich eine recht gute Spurtreue und bleibe auf Kurs.

Begegung auf dem Kjalvegur
Bei einem Kontrollblick voraus sehe ich in unbestimmter, aber wohl größerer Entfernung, etwas Sonderbares. Eine Reihe von kurzen, dunklen Strichen im Weiß. Ich rätsele noch, was das für Felsblöcke, Warten oder Säulen sein mögen, als sich die Position der Striche zueinander langsam verändert. Erst jetzt wird mir klar, daß es nur eine Gruppe von Skiläufern sein kann, die in Gegenrichtung unterwegs ist. Stetig kommen wir uns näher. Ich halte an und mache ein Paar Photos wie sie mir in einer Reihe entgegenkommen. Es sind 8 Isländer, auch ein Mädchen ist dabei, alle Mitglieder der Flugbjörgunarsveit (Flugrettungsgesellschaft). Sie kommen heute von Hveravellir und wollen nach Hvítárnes. Sie haben die direkte Route über den flachen Vulkanschild des Strýtur genommen, das sind immerhin 30 km, auch wenn es bis auf die ersten 5 km immer leicht bergab geht. Sie erkundigen sich nach meiner Route und sie freuen sich, daß sie die Hüttentür nicht ausschaufeln müssen. Das Mädchen fragt, ob ich wüßte daß es in Hvítárnes ein Gespenst gibt? Klar doch, habe aber keinen Besuch bekommen. Jaja, meint einer, das Gespenst ist eine Frau und macht zur Zeit sicher Urlaub auf den Kanaren. Aber wir brauchen doch jemanden der kocht - vielleicht war es auch nur zum Einkaufen in Reykjavík? Ein paar Scherze machen die Runde und ein paar Photos werden geschossen. Die meisten haben den gleichen Ski (Fischer E99) wie ich und ich frage ob sie auch Probleme mit dem stollenden Schnee haben. "Anfangs ja, aber dann haben wir gewachst. - Do you want some?" Ich bekomme zwei Blöcke Skiwachs und mache mich über meine Latten her - You can keep it. Sie wollen weiter, durch den Halt sind sie ausgekühlt und sie haben einen kräftigen Gegenwind. Wir verabschieden uns und jeder zieht weiter in seine Richtung. Ah, was für ein Unterschied, die Ski gleiten wieder! Ich habe mich die letzten Jahre zum Wachsmuffel entwickelt und jetzt diese Lektion!

Zwischen Hvítárnes und Þverbrekknamúli
Der Rückenwind und das Schneefegen treiben mich zur Hütte Þverbrekknamúli. Das GPS hat mir dabei sehr geholfen, obwohl ich ganz gut in Erinnerung hatte, wo die Hütte in etwa liegt. Bei Annäherung an die Hütte die bange Frage: wieviel Schnee liegt vor der Tür? Mist! Die Tür ist in einem Winkel auf der Leeseite der Hütte und die Schneewehe dort reicht bis unters Dach (Photo). Also wieder Schaufeln und wo ist die Hüttenschaufel? Sie ist nicht zu sehen. Allerdings ist der Schnee ziemlich locker, der Tag war nur kurz und wenig anstrengend und so geht die Arbeit schnell voran. Inzwischen habe ich auch die Hüttenschaufel ausgegraben und wühle mich der Türe entlang nach unten. Diesesmal kein Eis am Boden! Riegel vom Eis befreien, öffnen - ein Ruck - und schon stehe ich vor der Innentür und hereinspaziert. Offensichtlich wird die Hütte umgebaut. Es gibt noch keine Küche, aber der Wohnraum hat eine Gasheizung! Desweiteren findet sich ein Primus Gaslicht, etliche Kerzen, ein Kandelaber, eine Petroleumfunzel und das gleiche seltsame Ölofenmodell wie in Hvítárnes. Einheizen, Topf aufsetzen und Schnee schmelzen. Ich dampfe vor dem Ofen daß es eine Freude ist. Es war schlicht zu warm heute, ich habe meine Klamotten von innen her durchgeschwitzt und der Triebschnee hat sie von außen her durchgenäßt.

An der linken Ferse habe ich mir durch die Stapferei mit den aufstollenden Ski eine ordentliche Blase gelaufen. Ganz ideal ist der Schuh für meinen Fuß wohl nicht, aber es gab keine Alternative zu ihm. Socken und Schuhe sind ziemlich feucht geworden. Ich hänge alle Klamotten schön in der Hütte verteilt auf. Der Ofen hat den Raum bis zum Abend auf +16 °C gebracht. Hier kann man´s aushalten. Aber ich will nichts beschreien, denn der Wind fegt deutlich hörbar nasse Flocken um die Hütte. Vor dem Ofen sitzend bis 23:00 Uhr Aufzeichnungen nachgeholt. Zeit zu Schlafen.


Zurück zu Inhalt
6. Tag Þverbrekknamúli