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7. Tag Þverbrekknamúli - Sandfell

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Copyright © Dieter Graser

Mittwoch 26. März 1997


Um 6:30 Uhr aufgewacht, raus aus dem Schlafsack, anziehen, Tensonjacke drüber und zum Häuserl stapfen. Da wird man wenigstens wach bevor man die Hosen runter läßt. Leichter Nordwind, kein Niederschlag, -5°C. Der Hrútfell ist nur zum Teil zu sehen. Schnee und Himmel haben zwar noch die gleiche Farbe, aber es ist ja noch vor Sonnenaufgang. Widerstehe der Versuchung in den Schlafsack zurückzukriechen und werfe Ofen und Teewasser an.

Start um 9:00 Uhr. Gute Sicht, zumindestens der Kjalfell und der Hrútfell sind zu erkennen, mäßiger Wind. Zügig bis zum Steg über die 3 - 4 m breite Klamm. Diese ist jetzt aber vollständig mit Schnee gefüllt und damit nur an der Fußgängerbrücke zu erkennen. Nach dem Steg markieren links einige Steinwarten den Sommerweg. Es geht stetig bergauf, nicht steil, aber es bremst und kostet Kraft. Zudem bin ich aus dem Windschutz des Þverbrekknamúli heraus und habe nun Gegenwind aus NNW. Der Wind nimmt mit der Zeit immer mehr zu, und die Sicht nimmt immer mehr ab. Ab und zu erkenne ich linker Hand den Osthang des Þverbrekknamúli aber dann sinkt die Sicht zeitweise auf Null. Ich navigiere nach GPS und halte die Richtung als Winkel zur Schneedrift die über meinen roten Ski gut zu erkennen ist. Ja, das geht - ganz gut sogar. Ab und zu tauchen die Schemen frei gewehter Lavatrümmer aus dem Weiß auf und bieten den Augen einen Fixpunkt. Regelmäßig überprüfe ich meine Position mit dem GPS und halte mich etwas östlich meiner Kurslinie, um nicht mit dem möglicherweise steilen Uferböschung des Fúlakvísls in Konflikt zu kommen. Die ewige Steigung und der starke Gegenwind bremsen und zehren.

Gegen Mittag wird es flacher und die Sicht bessert sich. Die Umriße der umgebenden Berge werden deutlich und ich erkenne den weiten Talkessel wieder in dem ich mich befinde. Voraus reißt ein Loch im Nebel auf und die Sonne bricht durch. Wind und Schneedrift sind unverändert stark. Ich befinde mich gut einen Kilometer südlich des Sandfells. Über mir eine ovales Wolkenloch von vielleicht einem Quadratkilometern über dem in einem zweiten Stockwerk Linsenwolken die Position von Sandfell und Hrútfell markieren. Die Luft überströmt von NW her den Langjökull und trifft als Fallwind auf die nächsten Berge. Das Aufreißen dieser lokalen Föhnlücke über mir bedeutet zwar im Moment bessere Sicht und sogar Sonne, aber auch, daß sich der in der Höhe der Föhnsturm verstärkt. Bisher war der Wind zwar stark und hinderlich doch einigermaßen konstant. Jetzt wird er zunehmend böiger. Manchmal flaut er etwas ab und dann wieder lassen die plötzlichen Schläge der Leeturbulenzen die Schneedecke an irgendeinem Punkt explodieren und es reißt im Sonnenlicht blendend leuchtende Schneewirbel nach oben. Einige dieser Wirbel jagen an mir vorbei, einer oder zwei durchschütteln mich mit im Licht tobenden Schneekristallen. Schon seit geraumer Zeit trage ich Sturmmaske und Skibrille. Ich überlege ob es vielleicht möglich wäre dieses faszinierende Bild irgendwie photographisch festzuhalten. Aber die Kamera bleibt im schützenden Rucksack - es ist sowieso sinnlos, ich bin zu sehr mit meiner Umwelt und mit mir selbst beschäftigt. Irgendwie bin ich mir bewußt, daß ich mich im Zentrum von etwas befinde, das meine ganze Aufmerksamkeit fordert. Als mich eine grauweiße Böenwand verschluckt hilft nur noch die die Ski breit auseinandergrätschen, sich auf die Skistöcke zu stützen und sich mit tief gebeugtem Oberkörper gegen die Gewalt des Sturmes stemmen. Nach einer kurzen Ewigkeit ist die Wand durchgezogen und es wird noch einmal hell. Ich hole Luft, versuche etwas Schnee von der Brille abzukratzen und setze mich wieder in Bewegung. Kurs gegen den Wind. Nur hundert Meter weiter trifft mich eine zweite Walze und stoppt mich mit Gewalt. Diesesmal zieht es nicht vorüber.

Die Luft ist nur noch ein tobendes Chaos aus jagendem Schnee. Ich ziehe die Ski aus stecke sie in den Schnee, sichere meine Stöcke am Pulkagurt. Auf den drei Schritten zurück zum Schlitten packt mich eine Böe und wirft mich flach in den Schnee. Ich muß weiter, es sind doch nur noch 5 Kilometer bis zur nächsten Hütte! Ich spanne mich wieder ein und zerre am Schlitten, aber es ist nicht der Schlitten, es ist der Sturm der mich nur meterweise vorankommen läßt. Ich habe so wohl nicht mehr als weitere 50 m geschafft bis ich mir eingestehe, was eigentlich schon klar war: es geht nicht weiter! Aus, es hat keinen Sinn, es geht weder weiter noch geht es zurück. Ich bin hier vom Sturm festgenagelt. Das einzige, was ich jetzt nur machen kann, ist zu versuchen das Zelt irgendwie aufzubauen. Ich bin fast froh diese Entscheidung gefällt zu haben, auch wenn es in dieser Situation die einzige noch verbleibende Möglichkeit ist aktiv zu handeln. Also wieder Aushängen und Skiausrüstung sichern und dann vorsichtig das Zelt aus der Pulka kramen.

Alles schon durchgespielt, alles schon oft gemacht - ganz ruhig! Eigentlich fühle ich mich ganz gut, die Temperatur ist sicher nur wenig unter Null. Füße und Hände sind warm und ich schwitze vor Anstrengung. Nur keinen Packsack oder anderen Ausrüstungsgegenstand ungesichert lassen! Ich versuche das wild flatternde Zelt mit dem Wind auszulegen und benutze die Ski als Hauptankerpunkte. Geschafft, aber irgendwie stimmt etwas nicht. Die vereiste Brille behindert die Sicht und immer wieder muß ich sie freikratzen. Der Wind hat Über- und Innenzelt gegeneinander verdreht und ich muß noch mal von vorne anfangen. Jetzt stimmts, alle Eckpunkte sind befestigt, das Zelt liegt flach auf dem Schnee und die beiden Gestängebögen sind drüber aufgestellt. Noch einmal hat mich der Sturm im Stehen einfach umgeworfen. Der kritische Moment kommt, wo ich das Zelt einhängen muß und die Gestängebögen den ganzen Winddruck aushalten müssen, bevor die Sturmleinen Entlastung schaffen. Wie befürchtet verbiegen sich die dünnen Alurohre abenteuerlich und das Zelt wird fast flach auf den Boden gedrückt. Tief vergrabe ich die Schneeheringe der Sturmleinen in härteren Schneeschichten und hoffe daß sie dort schnell festfrieren. Mit gespannten Sturmleinen steht das Zelt schon viel besser! Der Zeltrand wird wieder mit Schneeschollen abgedeckt. Pulkasack und Rucksack sind mit feinsten Schneestaub bedeckt - genauso wie ich, nur daß er an mir auch noch angefroren ist. Über dem Nasenschutz meiner Sturmmaske hat sich eine dicke Eisschicht gebildet. Mit der Ausrüstung wirbelt unvermeidlich auch jede Menge Schnee mit ins Zelt. Nun noch den Schlitten umgekehrt in eine flache Mulde eingraben und die Ränder gut abdecken, daß der Sturm nicht untergreifen kann. Alles wäre fertig und ich will ins Zelt kriechen, aber die Reißverschlüsse des Zelteingangs sind vereist, lassen sich nur schwer öffnen und platzen beim Schließen immer wieder auf, es ist zum Verzweifeln. Irgendwann habe ich es geschafft, ich weiß nicht mehr wie lange ich gebraucht habe, jedes Zeitgefühl war mir abhandengekommen.

Ich bin ich im Zelt und beide Eingänge sind geschlossen. Aber überall im Zelt ist Schnee. In jeder Kleidungsfalte, unter jeder Abdecklasche des Anoraks, selbst in die Reißverschlüsse ist der Schnee gepresst. Ich schwitze und dampfe und irgendwie schafft die Sonne es soweit durch das weiße Chaos zu dringen, daß sich das Zeltinnere erwärmt und der ganze Schneestaub zu schmelzen beginnt. Auf dem buckligen Zeltboden bilden sich bald die ersten Pfützen und alles was nicht durchgeschwitzt war wird jetzt schön langsam naß. Die Isomatte ist auch naß und ich ziehe die Tensonjacke an schließe die gefütterte Kapuze so weit wie möglich und höre erschöpft auf dem Rücken liegend und mit geschlossenen Augen wie das Zelt die Schläge der Böen einsteckt und der Sturm im Gestänge pfeift. Reine Nervensache das Ganze aber ich habe Vertrauen in mein Zelt und fühle mich sicher. Irgendwie vergeht so der restliche Nachmittag und da mir der Sturm bis jetzt die Stoffhütte noch nicht eingerissen hat ( ... braves Zelt, bekommst auch neue Reißverschlüsse!), wage ich es in den Schlafsack umzuziehen. Noch etwas heißen Tee aus der Thermos und zwei Müsliriegel - an Kochen ist nicht zu denken. Zum wiederholten mal die Scheewehe nach außen gedrückt, die sich auf der Leeseite des Zeltes bildet und die bedenklich die Apsis belastet. Mehrfach wird mir so während der Nacht der Kopfraum etwas eng. Trotz allem und einigen Unterbrechungen schlafe ich gut und träume von etwas ganz anderem (Biergarten?). Nur, daß mir vom langen, unebenen Liegen das Kreuz weh tut. Da ich zur Sicherheit voll angekleidet im Schlafsack liege, ist es mollig warm. Mein Wassersack hat sich bei der Flüssigkeitsentsorgung bewährt und hat mir drei Gänge nach draußen erspart. Niemand, der nicht in einer ähnlichen Situation war wird voll ermessen können was das bedeutet!


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8. Tag Sandfell - Hveravellir