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11. Tag Jeepfahrt über das nördliche Hochland

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Copyright © Dieter Graser

Ostersonntag 29. März 1997


Um halb Sieben aufgewacht. Alles in allem war die Nacht nicht sehr lang. Das Wetter sieht ganz passabel aus. Ich bereite mich seelisch und ausrüstungsmäßig darauf vor heute mit den Skiern nach Norden aufzubrechen, falls sich in der anderen Hütte niemand finden sollte, der in diese Richtung fährt. Nach dem Frühstück spreche ich also die ersten Fahrer an, die gerade ihre Jeeps beladen. Ja, nach Norden fahren sie, es wird zwar eng, aber ich sollte mal mein Gepäck nur herbringen. In kürzester Zeit raffe ich meine restliche Sachen noch zusammen und schreibe noch ein paar Zeilen in das Hüttenbuch. Als ich meine Pulka zur anderen Hütte schleppen will, kommt Kjartan auf mich zu und sagt mir, daß sie es sich anders überlegt hätten und nun auch nach Norden fahren würden. In ihrem Wagen wäre auch mehr Platz und sie hätten den anderen schon Bescheid gegeben. Die Wodkatrinkerei war schlußendlich doch noch zu etwas nütze! Pulka, Rucksack und Skisack werden auf der Ladefläche des Toyotas festgezurrt und schon fahren wir zur "Tankstelle" an der Wetterstation hinauf. Ich habe nicht einmal Zeit mich von den Österreichern zu verabschieden.

An der Zapfsäule steht schon eine Horde von Jeeps und wartet darauf vom Meteorologen aufgetankt zu werden. Die bulligen Fahrzeuge brauchen im tiefen Schnee viel Sprit und notfalls muß noch genug für die Standheizung übrigbleiben, um einen Schneesturm überstehen zu können - also bis zum Rand auffüllen. Trotz Sonne ist es kalt. Ein mäßiger Westwind treibt dünne Wolken so flach über das Hochland daß sie an jedem besseren Hügel hängen bleiben. Wir starten in einer Dreiergruppe nach Norden. Kjartan hat das GPS eingeschaltet und steht im Funkkontakt mit den beiden anderen Fahrzeugen. Mit 30 bis 40 km/h wühlen wir uns durch den Schnee. Irgendwie komme ich mir überflüssig vor. Heute wäre sicher gutes Skiwetter und ich könnte gut vorankommen. Ich bedauere ein wenig meine Entscheidung die Tour abgebrochen zu haben. Aber ein guter Tag will noch nichts heißen, bis zur Ringstraße müßte ich auf Skiern 4 - 5 Tage rechnen. Andererseits, wenn alles klappt dann kann ich heute Abend schon in Dæli sein.

Bei Hveravellir
Am Dúfunefsfell erreichen wir die Kjölurpiste und folgen ihr bis zur Brücke über die Seyðisá. Zu meiner Überraschung verlassen wir hier die Piste nach Nordosten. Kjartan meint, er selbst sei diese Route noch nie gefahren, aber die beiden anderen Fahrer würden sie kennen. Wir folgen offensichlich dem alten Kjalvegur Richtung Blanda und Strangakvísl. Für mich besonders nett, weil ich dem Fahrer auch ohne Karte und GPS genau sagen kann wo wir uns gerade befinden und wohin wir fahren. Trotz Winter und Schnee erkenne ich alle Warten und den den Wege wieder, den ich schon zweimal zu Fuß gegangen bin. Die Blanda ist an der Furt dick zugefroren und der Flußverlauf ist als solcher unter dem Schnee kaum zu erkennen. Meinen beiläufigen Hinweis hätte ich zugunsten Eyðisī Nervenruhe besser unterlassen sollen, da sie Flußüberquerungen auf Eisbrücken nicht besonders schätzt. Über den Strangakvísl (nahe bei meinem alten Zeltplatz) nehmen wir die Brücke und dann verlassen wir den "alten Kjalvegur" und halten nördlich auf den Stausee Blöndulón zu.

Fjallabil
Es kommt zu einer unfreiwilligen Pause, da einer der Jeeps Probleme mit dem Differential hat. Die drei Männer fühlen sich nun endlich richtig gefordert, haben im nu den Werkzeugbestand einer mittleren Werkstatt bereitgelegt und kriechen unter den hochbeinigen Jeep. Die Damen nutzen die Pause für ein Sonnenbad und ich für ein paar Photos und eine Positionsbestimmung. Nach etwa einer halben Stunde geht es wieder weiter. Eine der Frauen läßt sich an einem Seil auf Skiern hinterherziehen. Mit etwa 40 km/h geht es weiter nach Norden. An einer großen Hütte, die im Sommer offensichtlich von einem Reittouren-Veranstalter genutzt wird, machen wir eine Brotzeitpause. Die nächsten Wegpunktkoordinaten werden ausgetauscht und die Führungswechsel werden abgesprochen. Es geht durch ein weite, flach wellige Landschaft weiter nach Norden. An den Stellen wo die Straße auf einem Rücken oder über eine niedrige Erhebung führt, ist durch die verblasene, dünne Schneedecke gut erkennbar. Der Jeep mit der Skifahrerin hinter sich vermeidet aber lieber diese steinigen Stellen und versucht in den schneereicheren Mulden zu bleiben. Aber dann verschwindet sie wieder für Kilometer und Kjartan grinst zufrieden als Ihn sein Boots-GPS punktgenau zu einem einsamen Wegweiser leitet. Der Himmel ist etwas bedeckt, trotzdem ist die Sicht klar und im Osten erkennt man die Pyramide des Mælifell und weit im Westen markiert ein Sendemast und eine Reihe von gerade noch erkennbaren Leitungsmasten die Kjölur-Piste.

Zwischen den Wagen bricht reger Funkverkehr aus. Wir sind den anderen voraus und Kjartan erklärt mir, daß wir uns hier irgendwo mit einem vierten Fahrzeug treffen sollen. Wir halten an und lassen die anderen beiden Fahrzeuge aufschließen. Nach wenigen Minuten Warten erscheint ein weiterer Jeep über einen Hügel und hält auf uns zu. Es ist der junge Bauer von Hof Steiná, mit dem wir hier verabredet sind und der uns vom Plateau des Hochlandes in das Svartádalur hinunterlotsen soll. Er hat seine ganze Familie zu diesem kleinen Ausflug mit eingepackt und die Kinder winken uns durch die Autoscheiben zu. Langsam fällt das Gelände nach Nordosten ab und ich bedauere, daß meine Ski fest auf der Ladefläche verzurrt sind. Schließlich geht es über einen langen, mäßig geneigten Firnhang hinunter ins Svartádalur.

Direkt bei dem Hof Steiná beginnt die Scheedecke sich in große Flecken, zwischen denen graubraunes Gras des letzten Jahres zum Vorschein kommt, aufzulösen. Als wir am Hof angekommen aussteigen empfängt mich milde Luft und eine Geruchsmischung aus erstem Frühlingstag und Landwirtschaft. Die Sonne hat den Matsch vor der Scheune angetaut und der Hofhund weiß gar nicht wen von den Angekommenen er zuerst begrüßen soll. Die Kinder des Bauern hüpfen aus dem hohen Auto und haben praktischerweise alle Gummistiefel an den Füßen. Alles scheint auf einen Ostersonntagnachmittagskaffee hinauszulaufen aber Kjartan und Eyðis drängt es weiter. Sie wollen heute noch über die Ringstraße nach Reykjavík zurück und das bedeutet noch 5-6 Stunden Fahrt. Mir ist es nur recht wenn ich möglichst bald zur Ringstraße komme. Zuerst müssen die Spezialreifen des Jeeps mit dem eingebauten Kompressor von 1.2 bar wieder auf straßentauglichen Druck gebracht werden bevor wir auf der aufgeweichten Schotterstraße das Tal hinausfahren. Überall tiefe Pfützen, manchmal noch hohe Schneemauern an der Bergseite der Straße. Aber die Sonne hat schon Kraft und südexponierte Hänge sind schon schneefrei. Das Eis der Svartá ist schon aufgebrochen und die Schollen treiben im Fluß. Einige Pferde suchen zwischen den Altschneeresten nach letztjährigem Gras. Ostersonntag der 30. März, der erste Frühlingstag in Nordisland? Im Vergleich zu den Verhältnissen im Hochland will es mir so vorkommen, aber es ist noch zu früh im Jahr. Ernsthaft Frühling wird es hier erst im Mai und selbst Ende Juni kann noch Schnee liegen.

Bei der Schule von Húnaver rufe ich mit dem Autotelephon noch schnell Óskar in Dæli an und teile ihm mit, daß ich die Ringstraße erreicht habe. Zwar bin ich nun im Norden, aber immer noch etwa 140 km von Dæli entfernt. Wir laden Pulka, Ski- und Rucksack von der Ladefläche des Jeeps und Kjartan und Eyðis verabschieden sich in Richtung Reykjavík. Vielen Dank für alles! Es ist etwa 3 Uhr Nachmittags und ich habe es überhaupt nicht eilig. Ich fühle mich als hätte ich nun alle Zeit der Welt - und das ist auch die richtige Einstellung, denn der Verkehr auf der Ringstraße ist alles andere als dicht. Alle 5 Minuten mal ein Auto und die meisten davon in Gegenrichtung unterwegs. Viele sind vollbesetzt und haben Ski auf dem Dach, sie kommen offensichtlich vom Skigebiet bei Akureyri. Den Daumen brauche ich sowieso nur bei Autos rauszuhalten, die so aussehen als könnten sie mein Gepäck auch noch mit verstauen. Nach einer Dreiviertel Stunde klappt es, eine Frau mit einem kleinen Suzuki-Jeep nimmt mich mit. Der Schlitten paßt gerade noch hinten rein und der Skisack stößt vorne an der Frontscheibe an. Von der Frau erfahre ich, daß heute am Ostersonntag keine Busse fahren, sie kann mich auch nur bis ins Skagafjörðurtal mitnehmen. Im Vorbeifahren sehe ich daß Tankstelle, Supermarkt und Restaurant von Varmahlið, im Sommer die große Touristendrehscheibe des Skagafjörður, geschlossen sind. Auf der Ostseite des Tales setzt sie mich dann an einer Kreuzung ab.

Ringstraße
Es ist sonnig, ich futtere erst mal zwei Müsliriegel und trinke etwas heißen Tee und schaue mir die Berge an. Von meinem Standpunkt aus kann ich jedes Fahrzeug das Richtung Akureyri fährt schon sehen, wenn es von der Vatnsskarð hinunter nach Varmahlið fährt. Ich habe als gut 5 Minuten Vorwarnzeit. Aber nur selten fährt ein Fahrzeug in meine Richtung. Schließlich geht es aber auch von hier weiter. Ein junger Bursche mit einem dicken Mercedes nimmt mich mit. Die offizielle Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften beträgt in Island 90 km/h - wir donnern mit 180 km/h die Straße das Tal hinauf. Mein Chauffeur grinst nur und meint trocken "Itīs just bad habits". Ich kann ihm da nur zustimmen. Na gut, die Straße ist recht breit, sehr übersichtlich und sogar geteert, aber bei manchen Bodenwellen knalle ich mit dem Kopf ans Wagendach. Gott sei Dank ist kaum Verkehr! Über den Paß der Öxnadalsheiði geht es etwas verhaltener, oben liegt sogar noch etwas Schnee auf der Fahrbahn. Bergab und etwas tiefer wird die verlorene Zeit aber wieder hereingeholt und auf dem neu ausgebauten Teilstück lese ich aus dem Augenwinkel 210 km/h vom Tacho ab. Zwangläufig wendet sich das Gesprächsthema der Qualität von Autos zu.

Noch während dem Ausladen an der Abzweigung nach Dalvík ergibt sich gleich eine Mitfahrgelegenheit mit einer Familie aus Ólafsfjörður. Der Mann spricht leidlich englisch und ist erst vor ein paar Jahren mit Frau und Tochter aus den Westfjorden hierhergezogen und jetzt kommen sie von einem Osterausflug nach Akureyri zurück. Während er munter drauflos redet ist seine Frau offensichtlich gar nicht begeistert, daß er unbedingt diesen Fremden mitnehmen will. Kurz vor Dalvík, an der Abzeigung ins Svarvaðardalur, setzen sie mich ab. Als der Mann mir zum Abschied die Hand schüttelt, tut er dies mit mit einer Pranke, die in der Abgeschiedenheit der Westfjorde, auch über die lange Reihe seiner Vorfahren, wohl nichts an der anatomischen Eigentümlichkeit verloren hat, die sie vor 1000 Jahren befähigt hatte mal eben über den Atlantik zu rudern.

An der Abzweigung warte ich nun darauf, daß irgendwer mal taleinwärts fahren würde. Aber Fehlanzeige. Ich genieße noch eben die letzten wärmenden Sonnenstrahlen und überlege ob ich vom Ort aus wohl in Dæli anrufen könnte als die örtlichen Lögreglan (Polizisten) schon zum zweiten mal an mir vorbeifahren und sehr neugierig, wenn nicht sogar mißtrauisch, zu mir herüberschauen. Ich werde das Gefühl nicht los, daß es nützlicher wäre, wenn sie auf der Ringstraße etwas mehr die Einhaltung der Höchstgeschwindigkeit überwachen würden, als hier, einen halben Kilometer vor dem Eismeer einen Fremden so seltsam anzuschauen. Nachdem ich immer noch dastehe halten sie an und fragen wo ich denn hin wolle. "To Dæli" sagte ich. "To Óskar Gunnarson?"- "Já" - "You may call him ..." und der eine Polizist reicht mir sein Handy aus dem Auto. Aber trotz dieser Geste wirken sie nicht gerade freundlich. Ich erwische Óskars jungen Sohn Thómas am Telephon und keine Viertelstunde später kommt Óskar mit dem roten Volvo das Tal herausgedonnert. Er klettert aus dem Auto und drückte mich bärenmäßig an seinen Stalloverall - von wegen spröde Isländer. Er grinst erstaunt, daß die Polizei mich ausgerechnet ihn anrufen hat lassen. Ich kapiere nun gar nichts mehr, aber Óskar meint nur "This is another story ..., letīs first go home"


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