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Am nächsten Morgen durchwanderten wir, kurz
vor dem Aurbruch, das „tote Solfatarental der
Trölladyngja". Am Fuße der tiefeingeschnittenen Tonwände,
in den uns schon bekannten, leuchtenden
Zersetzungsfarben schlich ein halbersticktes Bächlein, in dem hübsche
Kristalle funkelten.
Unser Tagesritt, zuerst durch angenehme Gegend
führend, ward gegen das Ende, wo er uns fünf Stunden
durch die Hafnarfjarđarhraun (Lava von Hafnarfjörđur)
brachte, sehr ermüdend und etwas deprimiert, im
Gedanken an das vor uns liegende Unternehmen der
nächsten Monate kam ich nachts 11 Uhr in Reykjavík
an. Im allgemeinen hatte ich aber doch auf unserem
sechstägigen Ritt durch die Halbinsel Reykjanes bewiesen,
daß ich mich für diese Fortbewegungsmethode genügend
eigne, so daß der Ausführung unserer ursprünglichen
Pläne nichts im Wege stand.
Für unseren langen Ritt durchs Südland und über
den Sprengisandur nach Akureyri, zu dem wir mit den
Abstechern nach Laki und dem Tungnafellsjökull 23 Tage
brauchten, mußten wir noch einen zweiten Führer haben.
Für einen einzelnen Führer ist es unmöglich — selbst
auf einigermaßen gutem Terrain — mehr als acht Pferde
zu treiben, wir hatten aber jetzt fünfzehn. In der Person
von Jön Felixsson wurde derselbe, durch Ögmundur
Sigurdssons Vermittlung gefunden.
Jón Felixsson, aus der Gegend der Hekla gebürtig,
schon lange in Reykjavík ansässig, war nicht mehr
jung, aber — wie der Isländer es scheinbar ohne Aus-
nahme ist — noch immer ein vorzüglicher, unermüdlicher
Reiter. Er verstand einige Worte dänisch und englisch,
ohne es selbst zu sprechen. Zusagen, daß wir isländisch
sprechen konnten, wäre eine unrichtige Behauptung.
Trotz meiner eifrigen Studien in Berlin mußte ich leider
erleben, daß eine junge vom Kontinent zurückkehrende
Isländerin an Bord der „Ceres", der ich einen isländischen
Satz vorsprach, mich sehr nachdenklich fragte: „But
this was not german?" Seitdem begnügte ich mich
zuzuhören. Da wir nun zwar nicht selbst mit ihm
reden konnten, besuchten wirjön doch aus Höflichkeit
und hörten geduldig in einem düsteren Schuppen
zwischen Pferdegeschirren und Wirtschaftsgerät stehend,
seiner isländischen Unterhaltung mit Sigurđur zu, die
sich um Pferde und Packkisten zu drehen schien.
Sigurđur führte hauptsächlich die Verhandlung,
oft kehrte am Anfang seiner Sätze das Wort „Heldur"
wieder; ich kombinierte daraus, leider falsch. Als ich
am Abend unseren isländischen Freunden auf ihre
Fragen mitteilte: „Unser zweiter Führer heißt Heldur, er
wohnt da und da etc.", fand ich überraschend wenig
Verständnis. Nach langer Zeit erst wurde mir klar,
daß „Heldur" der Komparativ von „gern" sei, ich mich
also trotz vorsichtiger Zurückhaltung noch einmal
herrlich blamiert hatte. Nächst dem Führer waren die
Pferde wichtig. Sie waren alle auf gutem Gras und
jene, die uns schon begleitet gehabt, erholten sich
dabei von der nicht zu schweren Arbeit der
Reykjaneswoche.
In der Folge wurden sie frei getrieben und nicht
wie in den ersten acht Tagen alle aneinandergekoppelt.
Diese Art wird nur angewendet, wenn auf betretenen
Wegen mit einem Führer bis zu acht Packpferden außer
den Reitpferden mitgenommen werden. Der Führer
nimmt dabei in die linke Hand einen, am Zaum des
vordersten Pferdes befestigten Lederriemen, an den
Schweif dieses ersten Pferdes ist wiederum ein Strick
vom Zaum des zweiten eingeknotet und so weiter.
Für den Führer ist dieses Ziehen scheinbar
ermüdender als das mit viel lautem »Ho ho" verbundene
Treiben der freilaufenden Pferde. Muß er doch zu-
gleich auf den Weg für sein eigenes Pferd sehen und
den Zug hinter sich beachten, da bisweilen ein Strick
sich löst und die Hälfte der Pferde dann stehen bleibt,
natürlich fressend, wenn was da ist.
Den Pferden mag es oft peinlich sein, wenn ihr
Hintermann strauchelnd, vehement an ihrem Schweif
zerrend, sie zum Stehen bringen möchte, während
wiederum vorn der andere am Zaumstrick zieht.
Das Einpacken des Proviants machte uns dieses
Mal insofern geringere Mühe, als einfach die noch in
Reykjavík in einem von Herrn Konsul Thomsen
liebenswürdig zur Verfügung gestellten Zimmer zurückgestellten
mehreren hundert Dosen in Kisten und leinene „packing-
cases" verstaut wurden. Die Erwerbung dieser drei Paar
„packing-cases", ein Resultat meines glücklicherweise
selten auftretenden Eigensinns, rächte sich schwer an mir.
Wer in Island wochenlange Ritte zu machen beab-
sichtigt, lasse sich durch nichts veranlassen, Konserven-
dosen in „packing-cases" auf dem Pferderücken über
die Lava zu befördern. Nach zwei oder drei Tagen starken
Rittes sind die Etiketts zerkratzt, wenige hie und da
verteilte Buchstaben lassen ebensowohl auf Mirabellen
als auf Beefsteak schließen.
Die Unterbringung des mitzunehmenden Proviants
machte uns aber recht viel Mühe, es blieb so wenig
Platz übrig, daß Herr Reck und ich wiederum für per-
sönliche Ausrüstung jeder nur eine Packkiste bekamen.
Bei den Größenverhältnissen derselben (ca. 30 cm breit,
50 cm hoch, 60 cm lang), mag man sich vorstellen, wie
viel wir an Wäsche, Kleidung, Arbeitszeug, Büchern
und sonstigen Luxusartikeln für vier Wochen unter-
zubringen vermochten.
Wäre nur nicht noch die Notwendigkeit gewesen,
beiden Kisten gleiches Gewicht zu geben, da ein Pferd
sie trug. — "Sie müssen meine Patronen und meine
photographischen Platten hinübernehmen", erklärte Herr
Reck und dagegen konnte ich nichts tun.
Diese Patronen, von denen nicht eine einzige
verschossen wurde, verlangten sehr sorgfältige Behandlung,
sie durften nicht so und nicht so in der Kiste
untergebracht werden und stählten meine Geduld dadurch,
daß sie mir treu blieben, während der ganzen Reise;
nur für den Heimritt auf der Poststraße von Akureyri
nach Reykjavík durfte ich sie gegen einen
anspruchsloseren Gast eintauschen.
Unsere Karawane würde sich nun aus zwölf
Packpferden und acht Reitpferden, da bei täglichen
vielstündigen Ritten gewechselt werden muß,
zusammensetzen.
Die Praxis der Reykjanes-Woche hatte uns schon
gezeigt, daß das Abladen, Absatteln, Auspacken und
Setzen der Zelte am Abend geraume Zeit in Anspruch
nahm. Ebenso währte das Abbrechen des Lagers am
Morgen, sowie das Eintreiben, Satteln und Beladen der
Pferde stets mehrere Stunden; nur wenn wir ganz be-
sonderen Wert darauf legten, schnell fortzukommen,
ließ letzteres sich in zwei Stunden bewerkstelligen.
Meine Pflicht war es, sofort nach Eintreffen am
Zeltplatz die Kisten zu öffnen, je vier Dosen gleicher
Konserven herauszusuchen und zu öffnen (à Person
l Pfund Suppe und l Pfund Fleisch mit Gemüse, sowie für
alle zusammen 2 Pfund Obst), die Spirituskocher zu füllen,
Kochgeschirr zusammenzufinden etc. Es wäre sehr
angenehm gewesen, wenn jeden Morgen alles in gleicher
Weise hätte gepackt werden können, so daß es am
Abend leicht zu finden gewesen wäre, es war dies un-
durchführbar, da jeden Tag nach verbrauchtem Proviant
das Gewicht einzelner Kisten sich verringerte und
immer unter je zwei Packkisten der Ausgleich her-
gestellt werden mußte. Der hierin erfahrene Führer
mußte daher das Packen allein ausführen und da er
kein Wort deutsch verstand, also die Etiketts nicht
lesen konnte, war stets ein arges Durcheinander.
Sowie dann das große Zelt stand, konnte ich mit
dem Kochen beginnen, und fast immer war die Suppe
heiß, wenn die Führer mit dem Aufstellen meines
kleinen Zeltes und der Sorge für die Pferde fertig waren.
Herr Reck half ihnen gewöhnlich, schon um ein wenig
den begreiflicherweise nagenden Hunger zu vergessen.
In gleicher Weise wie abends für das Mittagessen,
hatte ich am Morgen für unseren Tee zu sorgen.
Wir aßen dazu Friedrichsdorfer Zwieback, Sökeland's
Pumpernickel, den die Isländer besonders schätzten,
Knorr's Hafercakes und englische Watercakes, sowie
Marmelade in reichlichen Mengen und einige dicke
Scheiben Zervelatwurst.
Der Sattelbissen, der nur aus 1/4 Pfund Suchard-
Schokolade und vier Cakes bestand, wurde in der
Satteltasche untergebracht.
Das herrliche Wetter, welches uns während der
Reisewoche in Reykjanes fast immer treu gewesen,
ließ uns auch jetzt hoffnungsvoll in die Zukunft sehen.
Allerdings erleichtert gutes Wetter jeden Ritt in
Island wesentlich, — die Pferde fühlen sich wohler, die
photographischen Aufnahmen gelingen und auch der
Mensch genießt die herrliche Fernsicht.
Mit unseren verschiedenen Freunden waren wir
noch mehrfach zusammen. Besonders ist mir ein Abend
erinnerlich in dem gastlichen Hause des würdigen
Dompredigers t>orkelsson, dessen Tochter, die Braut
eines jungen isländischen Kaufmanns, in Edinburgh und
Kopenhagen, wie die meisten Isländerinnen der
gebildeten Stände, ihre Erziehung vollendet hatte und uns
Beethoven und Schumann sehr schön vorspielte.
Langsam sank der rotglühende Sonnenball im
fernen Westen, als wir uns um 11 1/2 Uhr p. m. um den
zierlich gedeckten Tisch zu einem Mitternachtstee
versammelten.
Wie viele Male noch sahen wir, nach dieser
lichten Nacht in überwältigender Schönheit das
Tagesgestirn den Horizont berühren, — wir ahnten noch nicht,
welch' großartige Natur wir schauen, welchen Schatz
wertvoller Erinnerungen wir mit uns in die Heimat
tragen würden.
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