Ina von Grumbkow

Ísafold
Reisebilder aus Island

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Online Version erstellt von Dieter Graser

Kapitel IV.

Wieder in Reykjavík.


Am nächsten Morgen durchwanderten wir, kurz vor dem Aurbruch, das „tote Solfatarental der Trölladyngja". Am Fuße der tiefeingeschnittenen Tonwände, in den uns schon bekannten, leuchtenden Zersetzungsfarben schlich ein halbersticktes Bächlein, in dem hübsche Kristalle funkelten.

Unser Tagesritt, zuerst durch angenehme Gegend führend, ward gegen das Ende, wo er uns fünf Stunden durch die Hafnarfjarđarhraun (Lava von Hafnarfjörđur) brachte, sehr ermüdend und etwas deprimiert, im Gedanken an das vor uns liegende Unternehmen der nächsten Monate kam ich nachts 11 Uhr in Reykjavík an. Im allgemeinen hatte ich aber doch auf unserem sechstägigen Ritt durch die Halbinsel Reykjanes bewiesen, daß ich mich für diese Fortbewegungsmethode genügend eigne, so daß der Ausführung unserer ursprünglichen Pläne nichts im Wege stand.

Für unseren langen Ritt durchs Südland und über den Sprengisandur nach Akureyri, zu dem wir mit den Abstechern nach Laki und dem Tungnafellsjökull 23 Tage brauchten, mußten wir noch einen zweiten Führer haben. Für einen einzelnen Führer ist es unmöglich — selbst auf einigermaßen gutem Terrain — mehr als acht Pferde zu treiben, wir hatten aber jetzt fünfzehn. In der Person von Jön Felixsson wurde derselbe, durch Ögmundur Sigurdssons Vermittlung gefunden.

Jón Felixsson, aus der Gegend der Hekla gebürtig, schon lange in Reykjavík ansässig, war nicht mehr

jung, aber — wie der Isländer es scheinbar ohne Aus- nahme ist — noch immer ein vorzüglicher, unermüdlicher Reiter. Er verstand einige Worte dänisch und englisch, ohne es selbst zu sprechen. Zusagen, daß wir isländisch sprechen konnten, wäre eine unrichtige Behauptung. Trotz meiner eifrigen Studien in Berlin mußte ich leider erleben, daß eine junge vom Kontinent zurückkehrende Isländerin an Bord der „Ceres", der ich einen isländischen Satz vorsprach, mich sehr nachdenklich fragte: „But this was not german?" Seitdem begnügte ich mich zuzuhören. Da wir nun zwar nicht selbst mit ihm reden konnten, besuchten wirjön doch aus Höflichkeit und hörten geduldig in einem düsteren Schuppen zwischen Pferdegeschirren und Wirtschaftsgerät stehend, seiner isländischen Unterhaltung mit Sigurđur zu, die sich um Pferde und Packkisten zu drehen schien.

Sigurđur führte hauptsächlich die Verhandlung, oft kehrte am Anfang seiner Sätze das Wort „Heldur" wieder; ich kombinierte daraus, leider falsch. Als ich am Abend unseren isländischen Freunden auf ihre Fragen mitteilte: „Unser zweiter Führer heißt Heldur, er wohnt da und da etc.", fand ich überraschend wenig Verständnis. Nach langer Zeit erst wurde mir klar, daß „Heldur" der Komparativ von „gern" sei, ich mich also trotz vorsichtiger Zurückhaltung noch einmal herrlich blamiert hatte. Nächst dem Führer waren die Pferde wichtig. Sie waren alle auf gutem Gras und jene, die uns schon begleitet gehabt, erholten sich dabei von der nicht zu schweren Arbeit der Reykjaneswoche.

In der Folge wurden sie frei getrieben und nicht wie in den ersten acht Tagen alle aneinandergekoppelt. Diese Art wird nur angewendet, wenn auf betretenen Wegen mit einem Führer bis zu acht Packpferden außer den Reitpferden mitgenommen werden. Der Führer nimmt dabei in die linke Hand einen, am Zaum des vordersten Pferdes befestigten Lederriemen, an den Schweif dieses ersten Pferdes ist wiederum ein Strick vom Zaum des zweiten eingeknotet und so weiter.

Für den Führer ist dieses Ziehen scheinbar ermüdender als das mit viel lautem »Ho ho" verbundene Treiben der freilaufenden Pferde. Muß er doch zu- gleich auf den Weg für sein eigenes Pferd sehen und den Zug hinter sich beachten, da bisweilen ein Strick sich löst und die Hälfte der Pferde dann stehen bleibt, natürlich fressend, wenn was da ist.

Den Pferden mag es oft peinlich sein, wenn ihr Hintermann strauchelnd, vehement an ihrem Schweif

zerrend, sie zum Stehen bringen möchte, während wiederum vorn der andere am Zaumstrick zieht.

Das Einpacken des Proviants machte uns dieses Mal insofern geringere Mühe, als einfach die noch in Reykjavík in einem von Herrn Konsul Thomsen liebenswürdig zur Verfügung gestellten Zimmer zurückgestellten mehreren hundert Dosen in Kisten und leinene „packing- cases" verstaut wurden. Die Erwerbung dieser drei Paar „packing-cases", ein Resultat meines glücklicherweise selten auftretenden Eigensinns, rächte sich schwer an mir.

Wer in Island wochenlange Ritte zu machen beab- sichtigt, lasse sich durch nichts veranlassen, Konserven- dosen in „packing-cases" auf dem Pferderücken über die Lava zu befördern. Nach zwei oder drei Tagen starken Rittes sind die Etiketts zerkratzt, wenige hie und da verteilte Buchstaben lassen ebensowohl auf Mirabellen als auf Beefsteak schließen.

Die Unterbringung des mitzunehmenden Proviants machte uns aber recht viel Mühe, es blieb so wenig Platz übrig, daß Herr Reck und ich wiederum für per- sönliche Ausrüstung jeder nur eine Packkiste bekamen. Bei den Größenverhältnissen derselben (ca. 30 cm breit, 50 cm hoch, 60 cm lang), mag man sich vorstellen, wie viel wir an Wäsche, Kleidung, Arbeitszeug, Büchern und sonstigen Luxusartikeln für vier Wochen unter- zubringen vermochten.

Wäre nur nicht noch die Notwendigkeit gewesen, beiden Kisten gleiches Gewicht zu geben, da ein Pferd sie trug. — "Sie müssen meine Patronen und meine photographischen Platten hinübernehmen", erklärte Herr Reck und dagegen konnte ich nichts tun.

Diese Patronen, von denen nicht eine einzige verschossen wurde, verlangten sehr sorgfältige Behandlung, sie durften nicht so und nicht so in der Kiste untergebracht werden und stählten meine Geduld dadurch, daß sie mir treu blieben, während der ganzen Reise; nur für den Heimritt auf der Poststraße von Akureyri nach Reykjavík durfte ich sie gegen einen anspruchsloseren Gast eintauschen.

Unsere Karawane würde sich nun aus zwölf Packpferden und acht Reitpferden, da bei täglichen vielstündigen Ritten gewechselt werden muß, zusammensetzen.

Die Praxis der Reykjanes-Woche hatte uns schon gezeigt, daß das Abladen, Absatteln, Auspacken und Setzen der Zelte am Abend geraume Zeit in Anspruch nahm. Ebenso währte das Abbrechen des Lagers am Morgen, sowie das Eintreiben, Satteln und Beladen der Pferde stets mehrere Stunden; nur wenn wir ganz be- sonderen Wert darauf legten, schnell fortzukommen, ließ letzteres sich in zwei Stunden bewerkstelligen.

Meine Pflicht war es, sofort nach Eintreffen am Zeltplatz die Kisten zu öffnen, je vier Dosen gleicher Konserven herauszusuchen und zu öffnen (à Person l Pfund Suppe und l Pfund Fleisch mit Gemüse, sowie für alle zusammen 2 Pfund Obst), die Spirituskocher zu füllen, Kochgeschirr zusammenzufinden etc. Es wäre sehr angenehm gewesen, wenn jeden Morgen alles in gleicher Weise hätte gepackt werden können, so daß es am Abend leicht zu finden gewesen wäre, es war dies un- durchführbar, da jeden Tag nach verbrauchtem Proviant das Gewicht einzelner Kisten sich verringerte und immer unter je zwei Packkisten der Ausgleich her- gestellt werden mußte. Der hierin erfahrene Führer mußte daher das Packen allein ausführen und da er kein Wort deutsch verstand, also die Etiketts nicht lesen konnte, war stets ein arges Durcheinander.

Sowie dann das große Zelt stand, konnte ich mit dem Kochen beginnen, und fast immer war die Suppe heiß, wenn die Führer mit dem Aufstellen meines kleinen Zeltes und der Sorge für die Pferde fertig waren. Herr Reck half ihnen gewöhnlich, schon um ein wenig den begreiflicherweise nagenden Hunger zu vergessen.

In gleicher Weise wie abends für das Mittagessen, hatte ich am Morgen für unseren Tee zu sorgen. Wir aßen dazu Friedrichsdorfer Zwieback, Sökeland's Pumpernickel, den die Isländer besonders schätzten, Knorr's Hafercakes und englische Watercakes, sowie Marmelade in reichlichen Mengen und einige dicke Scheiben Zervelatwurst.

Der Sattelbissen, der nur aus 1/4 Pfund Suchard- Schokolade und vier Cakes bestand, wurde in der Satteltasche untergebracht.

Das herrliche Wetter, welches uns während der Reisewoche in Reykjanes fast immer treu gewesen, ließ uns auch jetzt hoffnungsvoll in die Zukunft sehen.

Allerdings erleichtert gutes Wetter jeden Ritt in Island wesentlich, — die Pferde fühlen sich wohler, die photographischen Aufnahmen gelingen und auch der Mensch genießt die herrliche Fernsicht.

Mit unseren verschiedenen Freunden waren wir noch mehrfach zusammen. Besonders ist mir ein Abend erinnerlich in dem gastlichen Hause des würdigen Dompredigers t>orkelsson, dessen Tochter, die Braut eines jungen isländischen Kaufmanns, in Edinburgh und Kopenhagen, wie die meisten Isländerinnen der gebildeten Stände, ihre Erziehung vollendet hatte und uns Beethoven und Schumann sehr schön vorspielte.

Langsam sank der rotglühende Sonnenball im fernen Westen, als wir uns um 11 1/2 Uhr p. m. um den zierlich gedeckten Tisch zu einem Mitternachtstee versammelten.

Wie viele Male noch sahen wir, nach dieser lichten Nacht in überwältigender Schönheit das Tagesgestirn den Horizont berühren, — wir ahnten noch nicht, welch' großartige Natur wir schauen, welchen Schatz wertvoller Erinnerungen wir mit uns in die Heimat tragen würden.


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