Ina von Grumbkow

Ísafold
Reisebilder aus Island

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Online Version erstellt von Dieter Graser

Kapitel IX.

Zur Kaldakvisl.


Nach 1 1/2 Stunde Rittes von Kiling kamen wir an die Námskvísl, die wir vor zehn Tagen als harmlosen

Bach gekreuzt hatten. Merklich hatte sie sich verändert; die Führer trieben die Packpferde hinein. Kaum im Wasser, verloren diese den Boden, erreichten aber tapfer gegen die starke Strömung schwimmend das jenseitige Ufer. Drüben liefen sie dann schleunigst weiter, um trocken zu werden undd Gras zu finden.

Da hielten wir nun vor dem vielverzweigten, jetzt tiefen und reißenden Strom, — durchschwimmen wollten wir ihn nicht, — unsere bei der Ausreise von Reykjavík mit Rücksicht auf die Packpferde stark reduzierte Kleidungsausrüstung hätte uns kaum Ersatz genug geboten. —

Nachdem erfolglos die beiden Führer abwechselnd an verschiedenen Stellen des Flusses nach einem geeigneten Übergang suchten, die Packpferde jenseits einen immer größeren Vorsprung gewannen, gelang es endlich nach einer halben Stunde Zeitverlustes SigurQur, uns leidlich trocken drüben zu landen. Dort am Ufer bleiben zu können, wäre recht einladend gewesen, wir waren alle müde genug von unseren verschiedenen kühlen und feuchten Fluß-Aufenthalten, aber nicht ein Halm Gras wuchs dort und — die Packpferde waren ja mit Zelten, Konserven etc. auf und davon, also ihnen nach.

Nach einer Stunde Reitens fanden wir sie an einem bescheidenen grünen Fleckchen friedlich grasend; weiter gings.

Jetzt entwickelte sich wie mehrfach zuvor, bei Pferd und Mensch, wenn sie das Ziel nahe fühlen, das Verlangen nach stärkstmöglichem Tempo, und wie die wilde Jagd fegten wir denn auch über alles hinweg, daß Sand und Steinchen uns um die Ohren sausten und nach einem ermüdenden, wenn auch kurzen Tagesritt erreichten wir um 8 Uhr abends den Zeltplatz Löđmundur. Der weite Talkessel, von schönen Bergen umragt, an denen nur die Schneenecke wenig abgeschmolzen waren, bot uns schon einmal Ruhe, — murmelnd floß der frische Bach wie damals, — kehrten wir nach zwanzig Jahren dorthin zurück, wir würden alles ebensowenig verändert finden wie jetzt nach einer Abwesenheit von zwölf Tagen. — Ewigkeitsruhe der Natur, deren Harmonie uns durchnutet, wo nicht die täglichen Nichtigkeiten der Zeit die Fäden lockern, die uns selbst mit der Ewigkeit verbinden.

Um 11 Uhr am nächsten Vormittag zogen wir weiter, zuerst drei Stunden lang auf die Hekla zu, bis wir nach Kreuzung der Helliskvisl diese Richtung verließen, und nach Norden reitend, nach weiteren drei Stunden über Lava und Sande an dem besprochenen Tungná-Boot ankamen.

Die Tungná ist hier zirka 300 m breit, aber sehr tief und reißend. Das Gestein zwingt ihren Lauf, nicht mehr kann sie selbst wählen und sich kilometerbreit ausdehnen; sausend, wirbelnd, schäumend quirlen die, sich gegenseitig überstürzenden graugelben Wasser an uns vorüber, wie ergrimmt über den Zwang, den auch das Gefälle, das sie zu noch größerer Schnelligkeit anzutreiben scheint, ausübt. Der Versuch, ihrer Wellenbewegung mit den Augen zu folgen, macht einen schwindeln.

Zwei Boote lagen diesseits, eins genau gegenüber. Zuerst wurden die Pferde abgeladen und abgesattelt, darauf trieben die Führer sie flußaufwärts auf eine Sandbank und jagten sie von dort mit Hülfe von Peitsche und Steinwürfen in den Fluß hinein. Tapfer schwimmend wurden sie doch von der Strömung weit mitgerissen, so daß sie genau an der dem Boot gegenüberliegenden flachen Uferstelle landeten. Im Trab jagten sie dem fernen Gras zu und nach wenigen Minuten war nichts mehr von ihnen zu erblicken.

Sigurđur und Jón packten unterdessen Kisten und Sättel in das Boot, Herr Reck und ich stiegen ein und die beiden Führer ruderten gewandt, zuerst mit äußerster Kraft gegen den Strom, — es war eine etwas schwindlige Sache und recht befriedigend glücklich drüben zu landen. Noch zwei mal wurde das Boot mit Kisten beladen

herübergerudert und Herr Reck schaffte alles auf das höhere Land.

Sollte ich mich nicht auch ein wenig nützlich machen können? Wir wußten, daß eine Flußkreuzung in der Art wie wir sie jetzt vornahmen, da das Davonjagen der Pferde dabei unvermeidlich war, mindestens vier Stunden Zeit in Anspruch nahm, — etliche Stunden Ritt hatten wir aber außerdem heute noch vor uns. Ich begab mich daher mit meiner Peitsche bewaffnet schleunigst landeinwärts in der Hoffnung, vielleicht eine Spur von den lieben, ausgerissenen Tieren zu entdecken. Wirklich, nach zwanzig Minuten Wanderns sah ich sie in einiger Entfernung friedlich grasen. Ich umging sie und es gelang mir dem sanftesten von ihnen einen Zaum, aus meiner Gamasche kunstvoll gefertigt, anzulegen. Leider besaß ich nicht die Gewandtheit der kleinen Isländerin von Skäl mich ohne Bügel hinaufzuschwingen, sonst wäre es mir vermutlich gelungen, alle Pferde zum Bootplatz zu treiben. Eines brachte ich aber, die anderen folgten langsam, beständig weiterfressend. Sigur9ur war sehr erfreut, schnell sprang er auf, Jön folgte ihm mit den Zäumen, binnen kurzem waren alle Pferde zur Stelle und, wie sie mir sagten, eine Stunde gespart durch mein Bemühen. Um 9 Uhr konnten wir den Bootplatz wieder verlassen. Lange Zeit noch hatten wir die rauschende Tungnä neben uns. Wir kamen an die Stelle, wo die Kaldakvisl in sie ein- mündet, ein weiter See dehnte sich hier, — bleiern schien die Wasserfläche zu ruhen, aber das Zwielicht täuschte, fast ohne Laut jagten die Massen ihrem fernen Ziel, dem Ozean zu.

Die Kaldakvísl sah der Tungná zum Verwechseln ähnlich, es schien nicht als könnten wir sicherer durch diesen Fluß zu den Fiskivötn gelangen, als durch die Tungná-Furt am Kirkjufell.

Auf Thoroddsens Karte von Island zieht die Kaldakvisl als ein bescheidenes Flußfädchen an der Westgrenze der Piskivötn-Gegend entlang, — aber mehr als ein Bericht Reisender spricht von der hohen Lebensgefahr, die bei ihrem Durchreiten droht.

Um 12 Uhr nachts — der Zwielichtsstunde — machten wir am Ufer der Kaldakvisl Halt. Jón war äußerst mißlaunig, kaum wollte er essen, — fand er doch die Furt der Kaldakvísl, von der er viel erzählt hatte, nicht wieder.

Den nächsten Morgen zog er mit Sigurđur an den Fluß, — nach drei Stunden kehrten sie zurück mit der Nachricht, es sei unmöglich, hindurchzureiten.

Wären die Fiskivötn unser Endziel gewesen und hätten wir in der Gegend einige Wochen bleiben können, bis die Gletscherschmelze abgenommen, dann hätten wir uns wohl jetzt einen Durchritt erzwungen. Wir konnten aber nicht riskieren, daß, wenn wir nach sechs Tagen zurück wollten, der Fluß noch mehr gestiegen sei.

Herr Reck mußte einen seiner Lieblingspläne aufgeben, — wir beide mußten uns bescheiden, die Fiskivötn nicht zu erreichen. Jetzt leben sie weiter in der Phantasie als das unbekannte Paradies der malerischen Seen, der wilden Schwäne, der unerforschbaren Naturwunder.

Wenn ich Jón Trausti's Einleitung zu „Heiđarbýliđ" lese, tritt mir die Szenerie der erträumten Fiskivötn lebendig vor die Seele und in den wachen Träumen auf dem Pferderücken malte ich mir das Land, das ich nie sehen sollte.

Nordwärts ging es, über den Sprengisandur nach Akureyri.

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