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Wir waren am Ziel!
14.8.
Am ersten Abend schon hatte Herr Reck mit
der Eisaxt in das gefährlich abbröckelnde,
überhängende Ufer an unserem Lagerplatz Stufen geschlagen,
um den Seespiegel erreichen zu können. Trygve und
Helgi verzichteten darauf, von dem Wasser zu trinken;
Sigurđur sagte uns, daß sie es für vergiftet hielten
durch die Solfataren. Jedenfalls hatten sie unverkenn-
bar eine abergläubische Furcht vor dem ganzen Gebiet,
und waren gleich den Pferden bestrebt, möglichst bald
wieder fortzukommen.
Als Wichtigstes entwarfen wir jetzt einen Plan für
die systematische Durchforschung der ganzen Gegend.
Wie weit das Terrain um den See überhaupt begehbar
war, darüber waren wir schon in den ersten Stunden
nach unsrer Ankunft belehrt worden. Unabhängig von
Tages- oder Nachtzeit, vom Stand der Sonne und von
Wetter- und Temperaturwechsel, gingen die donnernden
Steinschläge an der nahezu 300 m hohen Südwand,
unmittelbar in die Fluten des Sees.
Der Askja-Kessel (Askja = Schachtel. Der Askja-Kessel ist
eingeschlossen
im Gebirge Dyngjufjöll. Dyngjufjöll bedeutet nach H. Erkes
das Gebirge bei der Dyngja und er glaubt, daß mit Dyngja hier die
Kolotta Dyngja gemeint sein dürfte.)
hat in allen Richtungen fast den
gleichen Durchmesser von zirka 9 km. Der
Durchmesser des in der Südostecke des Kessels eingesenkten,
zum Andenken an meinen Verlobten Knebel - See
benannten, fast runden Sees beträgt 4—5 km. Trotz
dieser Entfernung sahen wir vielfach an der unseren
Zelten gegenüberliegenden Südwand das Stäuben der
Steinlawinen und das Aufspritzen des Wassers am
Uferrand, wenn besonders große Blöcke hineingestürzt sein
mochten. Im Süden und Osten wird, wie bereits
erwähnt, der See von Steilwänden eingeschlossen. Vor
allem an der Südwand sind dieselben völlig unbetretbar.
Die über 300 m hohe Wand besteht hier aus einer
Verschmelzung schroffer nahezu 100 m hoher
Palagonitklippen, deren Spitzen sich scharf gegen den Himmel
abheben, mit Schutthalden, die sich vom Fuß dieser
Klippen bis zum Seespiegel dehnen, — die Bahnen
des nie aussetzenden gefährlichen Steinschlages. Nicht
ein Fuß breit ebenes Land findet sich in
Seespiegelhöhe, die Wand fällt vermutlich unter dem Wasser in
gleichem Winkel zur Mitte des Sees ab. Herrn Recks
zahlreiche Messungen im See ergaben eine rapide
Tiefenzunahme, die hierauf schließen läßt.
An der Westseite wird der See begrenzt von einem
zirka 60 m hohen Ufer. In seinerganzen Längenausdehnung
zeigt dasselbe farbenreich die Schichtung von
basaltischer Lava und bunter Schlacke mit der im Askja-Kessel
allgemeinen goldigen Bimsteinüberdeckung. Die Nordseite
des Sees weist in ihrer Mitte den 80 m tiefen
Rudloffkrater (nach dem mit Dr. von Knebel zusammen
verunglückten jungen Maler Max Rudloff benannt) auf,
an dessen Grund grüngelbe Schwefelwässer unter
wechselnd starker Dampfentwicklung kochen. Der Krater
liegt dem See sehr nahe, so daß ein nur sehr schmaler
Grat es ermöglicht, zwischen ihm und dem See zu
passieren.
Unser Lager hatten wir zehn Minuten östlich von
diesem Krater aufgeschlagen. Unsere Zelte standen
zehn Schritt vom Steilabfall des Seeufers, auf einer
zwar von sehr vielen kleinen Spalten durchrissenen,
doch ziemlich ebenen Fläche.
Die Dyngjufjöll sind nach den von Professor
Johnstrup
(Indberetning om den af Prf. Johnstrup foretagne Under-
segelsereise paa Island i Sommeren 1876. Kjobenhavn 1877)
geschilderten mutmaßlichen Vorgängen durch
einen im März des Jahres 1875 erfolgten Ausbruch des
Rudloffkraters mit Bimstein überschüttet. Ostwärts
reicht diese ununterbrochene Überdeckung, wie bei
unserem Ritt vom Herdubreiđ erwähnt, bis an den
Herdubreiöartögl, der zum Teil noch zugeschüttet ist.
Aber weiter noch wurden leichtere Stücke verweht, so
daß das ganze östliche Island seinen Anteil davon
bekam. Im Sommer 1876 sah noch Professor Johnstrup
breite Streifen schwimmenden Bimsteins einige Meilen
von der nördlichen Küste Islands entfernt. Durch die
Flüsse war derselbe ins Meer geschwemmt.
Der feine Staub dieses Ausbruchs wurde infolge
herrschenden starken Westwinds bis nach Schweden
getragen. In der Nacht vom 29.—30. März 1875 wurde
dort Aschenfall beobachtet.
Der Bimstein auf den Wänden der Dyngjufjöll
und in der Odáđahraun zeigte durchweg eine graugelbe
Farbe, während jener in der Nähe des Kraters,
besonders in der Umgebung unserer Zelte mannigfaltige
Färbungen aufwies. Sowohl goldig und
silbernschimmernde Stückchen von hohem Seidenglanz, die
gesponnenem Glas ähnelten, fanden sich hier, wie
auch zartgraue, lichtrosa und kupferfarbene mit
Übergängen in schwarzblaue Schlacke. Die Größe der
Stücke und Blöcke variierte in weitesten Grenzen bis
zu einem Meter im Durchmesser.
Einen wundervollen Kontrast zu den goldig
überschütteten Hügeln, den dunklen Bergzacken und Schutt-
halden der Südwand, und dem weißen Dampf der Solfa-
taren an ihrem Fuß bildete der Knebel-See, dessen Fluten
immer türkisblau leuchteten. Unter den Sonnenstrahlen
bildeten sich darauf opalisierende Streifen von lichtgrün,
rosa oder violett. Unzugänglich war der See bis auf
eine einzige hineinragende Landzunge. Sie befand sich
an der Südwestecke des Sees, drei Stunden von unserem
Zeltplatz entfernt. Auf der Uferhöhe an unserer Sehe
lag dagegen das 1907 von der ersten Such-Expedition
benutzte schwere Holzboot, dessen Transport in die
Askja seinerzeit sehr große Mühe verursacht hatte.
Wenn wir es überhaupt zu Fahrten auf dem See be-
nutzen wollten, mußte es an unsrer Uferseite ins
Wasser gelassen werden, und Sigurđur begann die
Suche nach einer geeigneten Stelle.
15.8.
Den zweiten Tag unseres Aufenthaltes am See
benutzten wir, um uns mit der näheren Umgebung
unseres Zeltplatzes vertraut zu machen. Herr Reck
sicherte ferner durch weiteres Stufenschlagen den
mühsamen und sehr unsicheren Abstieg zu der Wasserstelle.
Wir versuchten an einer Traufe, die sich dort, halbwegs
hinunter, über einer kleinen Schlackengrotte gebildet,
im Eimer Wasser zu gewinnen. Dieser Versuch wurde
bald wieder aufgegeben, denn der zwar melodische,
aber äußerst spärliche Tropfenfall füllte im Laufe eines
Tages den Eimer kaum zur Hälfte. —
Sigurđur ging schließlich als Einziger an die
Wasserstelle, da er sich genau vertraut gemacht hatte
mit der kleinen Schlucht. Er sagte uns, daß sie durch
beständiges Abbröckeln des Bimsteins, durch kleine
Sandlawinen oft mehrfach am Tage ihr Aussehen
wechsele. Eine große Klippe an der Seeseite dieser
Schlucht zeigt Abb. 37, in den ersten Tagen unseres
Aufenthaltes habe ich diese Aufnahme gemacht. Man
sieht hier unter der Bimsteinüberdeckung eine Lage
Schnee. Sicher ist es, daß es sich hierbei um den von Dr.
Spethmann (Hans Spethmann. Vulkanologische Forschungen im
östlichen Zentralisland. Stuttgart 1908.)
erwähnten „begrabenen Firn" handelt. Mit
diesem Ausdruck bezeichnet er die Schneedecke, welche,
vor dem am 29. März 1875 erfolgten Ausbruch des
Rudloff-Kraters, in der Askja lag und dann unter der
allgemeinen Bimsteinüberdeckung begraben wurde. An
dieser Klippe nun wurde während wir in der Askja
waren, durch Einwirkung der Sonnenbestrahlung soviel
herausgetaut, daß sie völlig ihren Stützpunkt verlor und
in den See stürzte.
Wir befanden uns in der Tat auf sehr unsicherem
Boden, — unter uns eine vulkanische Werkstatt großen
Stils, über uns die starkarbeitenden Strahlen der Sonne,
die ihr redliches Teil dazu beitrugen, den Boden zu
unseren Füßen seines ohnehin lockern Zusammenhaltes
zu berauben.
Die erwähnten kleinen Bodenrisse wechselten
beständig ihr Aussehen und ihre Lage. Vorübergehend
verschwanden sie, durch nachsinkende Bimsteinblöcke
zugedeckt, während näher am See breitere sich auftaten.
Sich diesen zwecks Untersuchung zu nähern, war ein
bedenkliches Unternehmen, jedenfalls wurde es mir,
als nicht zum Programm gehörig, strengstens untersagt.
Ich trug auch wenig Verlangen nach näherer
Bekanntschaft mit ihnen, seit ich einmal bis übers Knie in
einem der unsichtbaren Spalte eingesunken war.
Wir suchten an diesem Tage den Zeltplatz der
vorjährigen Expedition auf, der meiner Meinung nach
eine weit unbehaglichere Lage gehabt als der unsrige.
Wenige Meter von dem westlichen und zugleich höch-
sten Rande des Rudloffkraters hatte er sich befunden.
Der glatte, immer feuchte Tonboden in der nächsten
Umgebung des Kraters steigt zwar an zu dem
Außenrande desselben, Fällt jedoch dann fast überhängend steil
die 80 m ab bis zu dem kochenden Schwefelpfuhl.
Dieser Platz war 1907 gewählt worden, da er infolge
der Bodenwärme des Kraters schneefrei, das ganze
übrige Gebirge aber noch von Schnee bedeckt war.
Wir fanden hier in der Nähe an einem aus Kisten-
resten der Expedition von 1907 kunstvoll gezimmerten
Pfahl eine Flasche, welche einen an uns gerichteten
Gruß enthielt von Herrn Erkes aus Köln, der mit
seinem Führer Sigurjón Sumarlidason, einem Bruder
des unsrigen, — im Juli 1908, zirka drei Wochen vor
uns, hier gewesen war.
Über die Höhen zur Ostwand des Sees gehend,
fanden wir den von Thoroddsen erwähnten,
außerordentlich schönen Obsidian (Glasfluß). Er ist
tiefschwarz und großenteils völlig frei von fremden
Einschlüssen. An der Flanke der Bergwand steht er, in
einer mehrere Fuß starken Schicht, unter der Lava an.
Riesige Blöcke waren durch die Erosion losgenagt und
herabgestürzt. In wildem Chaos lagen sie unten, im Sturz
zersprengt und die mannigfachen Bruchflächen gaben
spiegelgleich die darauf spielende Sonne wieder.
Geblendet sah das Auge in all das Funkeln und Sprühen,
gleich der unter Mittagsstrahlen flimmernden Meeresflut.
16.8.
Am dritten Tage unseres Aufenthaltes, einem
Sonntag, verließen wir unsere Zelte um 11 Uhr in
östlicher Richtung. Strahlend stand wieder eine warme
Sonne über uns und begünstigte photographische Auf-
nahmen. Wir kletterten ungefähr drei Stunden bis
die Solfataren der Ostwand erreicht waren. Die
Berghänge sind außerordentlich steil, — tiefe
Erosionsrinnen durchschneiden die ihnen zur Seeseite
vorgelagerten unzähligen Hügel. Der lockere
Bimsstein zerbricht oder weicht unter dem umknickenden
Fuß zur Seite. Das Wandern in der Askja ist daher
ermüdender als in manchen anderen Teilen Islands, wenn
ich auch dem östlichen Lavastrom von Laki und dem
groben Geröll des Sprengisandur nicht den Vorzug
geben möchte.
An der steilen Ostwand sind die, nur noch sehr
bescheiden tätigen Solfataren in großer Höhen- und
Breitenausdehnung verteilt. Das Anfertigen einer Skizze
gab mir willkommene Gelegenheit mich etwas auszu-
ruhen. Während mehrerer Stunden begingen wir dann
noch im weiten Umkreis dieses ganze Gebiet und
übersahen außerdem mit starkem Glase kilometerweit
die Hänge. Hoch über uns an der Wand trat ein
Basaltgang zu Tage, dessen feine Säulchen wie die ab-
geschnittenen Enden erstarrter Taue sich gen Himmel
winden. Hier und da, einem Schimmelüberzug ver-
gleichbar, bedeckt auf wenige Quadratfuß ganz kurzes,
grünliches Moos die wärmsten Stellen des Bodens an
den Solfataren. Unter dem strahlenden Himmel stürzen
in feinstem weißen Sand verstäubende Lawinen in den
See. Die Feierstille des Sommersonntags wird nur
unterbrochen vom Donner des Steinschlags.
Nach neun Stunden Umherstreifens kehrten wir
erst wieder zum Zelt zurück.
17.8.
Am nächsten Morgen ist wieder warmer
Sonnenschein und wir beschließen den günstigen Tag zum
Weg um den See herum zu benützen. Um 11 Uhr
verlassen wir die Zelte und gehen, wieder in östlicher
Richtung, sehr bald die steile Wand hinauf. Als wir
die Höhe erreicht haben, bietet sich ein herrlicher
Fernblick ostwärts auf den Herdubreiö, die Kolotta
Dyngja und die nordwärts anschließenden
Herdubreiđarfjöll. Der beim Herritt passierte Berg víkrafell ragt,
von unserer Höhe (ca. 1200 m) einem Maulwurfshaufen
ähnlich, aus der mit dem goldigen Bimstein
überschütteten Lava der Ódáđahraun. Indem wir dem
Zuge der Dyngjufjöll nach Süden folgen, kommt die
flache Kuppe der Vađalda und der schmutziggelbe
Dyngjuvatn, am Grunde der südlichen Ódáđahraun und
der diese Lavawüste südlich begrenzende, Vatna-Jökull
in Sicht. Tief unter uns rast der Sandsturm über die
öden Flächen, aber der schneeige Gletscherschild
erhebt sich blendend darüber hinweg. Der Vatna-Jökull
erscheint von hier nahe, obgleich bis zu seinem
unteren Rande 30 km Entfernung sind. Ebensoviel
weiter reicht noch der Blick über seine weißen Weiten
nach Süden, nach Westen und Osten, bis sich seine
unendlichen Fernen in dem Auge undifferenzierbaren
grauen Tönen verlieren. Wir sehen die den
Gletscherzungen entspringenden drei Arme der Jökulsá í
Axarfirđi sich wie auf einer Landkarte von ihm loslösen
und durch die weiten Schlammflächen und Triebsande
als gesammelte Ströme weiterziehen. Tiefblau schauen
die wilden Bergzacken seines Vorgebirges Kverkfjöll
aus dem Gletschermantel hervor. Eine stumme
Großartigkeit atmet der Vatna-Jökull. Jahrtausende fühlt
man sich zurückversetzt, — die kalte Öde gibt ein
Bild von dem Chaos, ehe das Licht kam: die Erde
war wüst und leer. Es war nicht immer so, wie wir
es sehen, es wird auch nicht immer so bleiben, nur
die Starrheit täuscht völlige Leblosigkeit vor. Die
Zeit steht scheinbar still hier, — aber wie das unsichtbar
arbeitende Stundenrad im Uhrwerk, wandelt sich durch
die Jahrzehnte langsam das Bild. Auch hier ist die
vulkanische Tätigkeit noch nicht erloschen, die
machtvolle Umarmung ewigen Eises hat das Feuer der Tiefe
nicht ersticken können, feine Rauchstreifen über dem
Gletscher verraten seine Atemzüge. Das Schweigen
der Weiten stört kein Laut als der Wind, der um die
Klippen singt, die hinter unserm Rücken jäh zum
Knebel-See abfallen, kein wahrnehmbarer Wechsel als
das Wandern der Schatten vom Wandel der Sonne
vorgeschrieben. Wenn hier der Hochsommertag
vorüberzieht, ohne daß sein Licht einen Hauch
jauchzenden Lebens weckt, wie mag die Winternacht aussehen?!
Der im Tal goldscheinende Bimstein ist hier oben,
in beständiger Feuchtigkeit verwitternd, von toter brauner
Farbe, — kein warmer Ton in dem ernsten Bilde. In
einer Mulde desselben hat sich klares, kaltes
Schneewasser gesammelt, das uns sehr erfrischt. Nachdem
ich zwei Stunden fleißig an einer Skizze arbeitete,
wanderten wir weiter, und hier begann für mich die ärgste
Mühsal, die ich in Island bestanden. Wir gingen an
dem Steilabfall der Dyngjufjöll, — immer noch in
1200 m Höhe, — an der Außenseite der Südwand des
Sees, um das Gebirge herum. Alles war auch hier
vom lockerliegenden Bimstein überschüttet, durchnagt
von oft mehr als 2 m tiefen Erosionsrinnen. Herr
Reck schlug für mich mehrfach Stufen in die
senkrechten Wände derselben, da sie mir zum
Hinüberspringen zu breit waren. Dazwischen passierten wir
Schutthalden, deren Oberfläche fest gefroren war und
stellenweise blankes Eis zeigte. Am gefährlichsten war eine
Stelle, wo das schroffe, anstehende Gestein mit wenig
Schutt überdeckt war. Das Hinstürzen war mir längst
zur Gewohnheit geworden, weit unbehaglicher war der
Gedanke mit all' dem losen Schutt als lebendige Lawine
einige hundert Meter haltlos die Wand hinunter zu rollen.
Doch auch diese drei Stunden, während welcher ich mehr
in den Knien lag als ging, wurden überstanden und
wir erreichten den Abbruch der Wand an der
Südwestecke des Sees. Bei einigen Minuten Rast konnte
auch ich den herrlichen Fernblick nach Südwesten
genießen. Den Horizont bildete immer noch die
Gletscherlinie des Vatna-Jökull. In majestätischem
Ebenmaß erhob sich diesseits der Schildvulkan
Trölladyngja
(Nicht zu verwechseln mit dem, beim Ritt durch die Halb-
insel Reykjanes erwähnten Berge gleichen Namens.)
einige hundert Meter über die Lavawüste.
Westlich davon blinkten in weiter Ferne aus der Lava
die im Sonnenschein zitternden Streifen der am
Tungnafellsjökull entspringenden Flüsse, und Herrn Recks
scharfer Blick entdeckte die den Vonarskarđ
umgebenden Höhen. Nachdem wir 150 m am Ende der Wand
hinunter gerutscht waren, hatten wir noch eine dreistündige
Wanderung über sonderbar gestaltete, rot und schwarz
gebrannte Kreise aufweisende Lava und über den
Bimstein zu machen bis wir um 10 1/4 Uhr abends, bei
sinkender Dämmerung, von Westen kommend, das Zelt
erreichten.
Ich erinnere mich, daß die Ruhe mir angenehm war.
18.8.
Am nächsten Tag unternahmen wir keine weite
Wanderung. Herr Reck ließ sich angeseilt in den
Rudloffkrater hinab, was mit seinen Notizen, Messungen
und photographischen Aufnahmen am Grunde desselben,
mehrere Stunden in Anspruch nahm. Meine vom
gegenüberliegenden Rande des Rudloffkraters gemachte
Aufnahme zeigt oben in der Rinne den Führer als
Ankerpunkt für das Seil, das in dem weichen Ton der Wand
nirgends allein einen geeigneten Halt gefunden hätte. —
Ganz unten, nahe dem Spiegel des kochenden
Schwefelwassers, steht Herr Reck auf einer kleinen
Schuttzunge. — Das unter dem, von unzähligen
Erosionsrinnen gefurchten Ton hervorspringende Gestein war
prachtvoll gefärbt durch die zersetzenden Dämpfe. Die
Abbildung gibt zugleich einen guten Maßstab für die Dimension
des Rudloffkraters und den sich im
Hintergrunde darüber erhebenden Rand des Askjakessels.
— Ich war wirklich froh, als Herr Reck mit diesem
Unternehmen zu Ende war, würdig stellt es sich der
Durchwanderung des Vonarskarđ und der Ersteigung des
Herdubreiđ an die Seite. —
Am selben Tage schaffte er dann noch mit Sigurđur
unter sehr großen Mühen das schwere Holzboot von
der Uferhöhe zum Wasser hinab, da der Wasserspiegel
an der, für diesen Zweck günstigsten Stelle immer
noch wenigstens 4 m unter dem Steilufer lag. —
19.8.
Ein starker Südwest, der klirrende
Bimsteininseln über den See trieb, empfing uns am nächsten
Morgen. Wir versicherten Kisten und Zeltwände so
gut es ging gegen Sand und Sturm und stiegen die
Höhen beim Rudloffkrater hinan. Oben angelangt
gingen wir in nord-östlicher Richtung auf dem Kamm
weiter bis wenig westlich des Passes Askja Op, an den
breiten Lavastrom. Hier blieb ich, um eine Skizze
aufzunehmen, während Herr Reck und Sigurđur die
ganze nördliche Hügelkette, zwischen Askja Op östlich
und dem JönskarQ westlich, begehen wollten. Wenige
Minuten nachdem sie mich verlassen, schien es als
hätte die Lava sie verschlungen, so spurlos waren sie
in dem Gewirr von wilden, schwarzen Zacken ver-
schwunden. Auch ihre Stimmen hörte ich nicht mehr, —
alles still, regungslos, schwarz und wild. Dicht hinter
mir stieg die dunkle Bergwand auf, vor mir die
erstarrten Fluten des hier fast 2 km breiten Lavastroms,
jenseits begrenzt von den bunten mit einigen schmutzigen
Schneeflecken versehenen Schlackenbergen. Grotesk
leuchteten einige von ihnen in dem auffallenden
Sonnenlicht ziegelrot, andere wiesen deutliche Streifung von
heller und weniger stark gebrannter Schlacke. Sehr
fern ragte mattlila die Spitze des Herdubreiđ mit einem
schiefen Schneemützchen darüber hinweg. Der Wind
sang und klagte wieder um die Bergzinnen, alles war
düster und traurig und schuf mit der wilden Szenerie,
die mich umgab, die verkörperte Erinnerung an
wunderliche, alte Märchen, die einst die Kindesphantasie
beängstigten. Ich arbeitete fleißig, es war empfindlich
kalt, denn die wärmende Sonne erreichte mich nicht.
Reichlich vier Stunden waren vergangen, als Herr Reck
und Sigurđur zurückkamen. Sie ruhten sich etwa zehn
Minuten aus und dann gingen wir zusammen, auf einem
anderen Wege durch den weiten Askja-Kessel wieder
zu den Zelten zurück.
Arg hatte der Sturm gearbeitet, alles war in den
Zelten, trotz der geschlossenen Leinenwände mit feinem
Sand bestreut. Immer noch umbrauste er uns, — wir
schlössen die Zelttür, aber trotzdem löschte er uns
beim Essen fast die Kerzen aus, und blähte das Leinen
der Tür soweit ins Zelt hinein, daß es 1/4 m vom
Boden abstand. Das Schleuderthermometer zeigte nur
+ 4'/2°, und es war ein etwas „fußkaltes" Vergnügen
auf dem Feldstühlchen sitzend, einige Stunden dänisch
zu übersetzen, trotzdem es sich dabei um vulkanische
Arbeiten handelte. Die Nacht war dementsprechend
recht frisch.
Die erste Bootfahrt war geplant, sie mußte 20.8.
unterbleiben, da es stürmte und der Himmel sehr
finster aussah. Wir hatten + 3 °. Hs schneite
kurze Zeit, als darauf die Sonne wieder durchdrang,
gingen wir vom Zelt fort, um jenseits des
Rudloffkraters, den Solfataren der Südwand gegenüber, einen
Varđa zu bauen zum Gedächtnis der beiden am 10. Juli
in der Askja Verunglückten. Sehr geschickt fügten
Herr Reck und Siguröur die quadratische Basis, die
zirka 3 m Kantenlänge besitzt. Der Varđa selbst gleicht
einer vierseitigen Pyramide von 4 m Höhe und ist aus
ausgewählt schönen bunten Schlacken errichtet. Weit
sichtbar erhebt er sich einige Meter vom Seeufer. An
der dem See zugewandten Seite ist eine Platte
lichtgrauer Doleritlava eingelassen, in welche Herr Reck
hineinmeißelte:
In absehbarer Zeit wird die Uferwand nicht
einstürzen und so wird er, wie wir hoffen, für viele Jahre
ein sichtbares Zeichen sein des Gedenkens, das über
irdische Formen und Grenzen hinausreicht. —
An diesem Tage aber wurde nur mit dem Bau
begonnen, der Sturm, der uns mit Kälte und
Hagelschlag umpeitschte, machte uns das längere Arbeiten
unmöglich. Kaum waren wir wieder im Zelt, wo wir
uns nach den drei Stunden Durchfrierens mit Tee
beleben wollten, als ein tüchtiger Schneesturm einsetzte.
Derselbe währte mit geringen Unterbrechungen und
allmäliger Abnahme des Sturmes dreißig Stunden. Die
Flocken fielen dicht, so daß binnen Kurzem das große
Gebiet der Askja unter einem Schneemantel verborgen
war. Wir waren im Zelt gefangen und mußten uns
zufrieden geben, die dänische Arbeit über die Askja
von Professor Johnstrup, der 1876 im Jahre nach dem
letzten bekannten Ausbruch hier gewesen, zu
übersetzen.
Es war hochinteressant für Herrn Reck darnach
viele Veränderungen, die sich seitdem hier vollzogen,
feststellen zu können.
Vorübergehend blickte einmal die Sonne auf die
Südwestecke des Sees, wo sie dann einen breiten
Silberstreif in das unter dem trüben Himmel
stumpfgewordene Grünblau des Wassers zeichnete. Melodisch
fielen tauende Tropfen vom Zeltdach, von Kisten und
Sätteln, oder vielmehr von unseren Ölmänteln, die zum
Schutz über dieselben gelegt waren, aber andere Flocken
deckten bald erneut alles zu. Der Bimstein, hier und
aus dem Schnee herausragend, nahm unter dem Einfluß
der Feuchtigkeit dieselbe rötlichbraune Farbe an, wie
auf der Höhe der Südwand. Am Abend hatten wir + 1/2°
und in der Nacht mehrere Grade Frost. Die Kälte
weckte mich, außerdem lag mir das Zeltdach fast auf
dem Kopf. Ich ging hinaus, um zu finden, daß eine
starke Schneelast, die darauf lag, die Ursache dafür
war. Dieselbe war zu fest gefroren, um schnell
beseitigt zu werden, zu längerem Aufenthalt draußen
lockte aber die Temperatur nicht, so begab ich mich
müde und zitternd zurück ins Zelt, ins Schlafsäckchen
kriechend auf die Gefahr hin, mich am Morgen erstickt
aufzufinden. Der Wind hatte sich nach Süden gedreht
und eine sehr schmale Mondsichel war vorübergehend
zwischen den jagenden Schneemassen sichtbar.
21.8.
Ich erwache unter einer gleichmäßig dicken
Schneelast, die nun wirklich das Zeltchen zum Einsturz
zu bringen droht, und noch immer schneit es
ununterbrochen weiter. Abbildung 41 zeigt unsere Zelte und
deren nächste Umgebung an diesem Morgen.
Die gegenüberliegende Südwand ist durch die
Schneewirbel völlig verborgen, vorübergehend zeigen
sich verschwommen die Umrisse der Ostwand. Ich
skizziere diese sonderbare Sommerlandschaft in der
Tür des großen Zeltes sitzend, es ist sehr kalt und
unbehaglich für mich. Herr Reck wärmt sich äußerlich
und innerlich, wohlgeborgen in Decken eingehüllt
schreibt er einen Aufsatz über Islands südliche,
sonnendurchglühte Gefilde! Er beschrieb jenen Tag als wir
in Knsuvi'k schon um 5 Uhr früh, durch die auf die
Zeltwände brennende Sonne hinausgejagt wurden, und
beim Beginn des Rittes + 24 ° hatten!
Unser armer Sigurđur litt grimmig unter
Zeitüberfluß. Wie gern würde er zu den Pferden gehen,
denn das im See liegende Boot, zu dem er von Zeit
zu Zeit hinwandert, ist ein so schlechter Ersatz für die
guten, klugen Tiere. Wir sind deprimiert über diesen
zweiten fast verlorenen Tag und übersetzen noch
stundenlang — da Johnstrup beendet — Professor
Heilands Laki-Arbeit, womit wir schon viele Stunden
auf der Herfahrt nach Island an Bord der „Ceres"
ausgefüllt hatten.
Gegen Abend nimmt der Schneefall ab. —
22.8.
Ein wundervoller Morgen verspricht einen
herrlichen Tag. Noch ist viel Wind und niedrige
Temperatur, der Schnee beginnt jedoch zu tauen. Wir
gehen zum Varđa hinauf um den Bau zu vollenden und
erwärmen uns gut dabei. Im ganzen ist wohl zehn
Stunden daran gearbeitet worden. Nachdem die Sonne
hoch steht taut der Schnee rapide, am Nachmittag
tragen nur noch die höchsten Berge ihre Schneezier,
die auch nicht taut so lange wir noch in der Askja sind.
Herr Reck und Sigurđur befahren während fünf
Stunden den See in allen Richtungen und machen viele
Messungen in demselben. Ich beende verschiedene
Skizzen. — Am Abend als wir beim Essen im großen
Zelt sitzen, werden wir durch donnerndes Getöse
erschreckt. Wir stürzen hinaus und sehen noch im
fahlen Zwielicht in nächster Nähe unserer Zelte am
Uferrand eine weiße Staubwolke aufsteigen. Wieder ist
eine, diesmal größere Klippe, in den See gestürzt.
Die Nacht, die diesem Sommertage folgte, war
unvergleichlich schön. Wir hatten bis um 11 Uhr
gearbeitet, als ich dann zu meinem Zelt hinüberging, war
der Mond aufgegangen. Sein mildes Licht beschien
die in breiten Wolken dampfenden Solfataren der
Südwand. Von hier und dort klangen neue und
fremdartige Geräusche, die Mengen am Tage rasch
eingesickerten Schneewassers mochten im Innern von
Stufe zu Stufe nagen. Ein sonderbarer Ton fesselte
mich, — wie regelmäßige Ruderschläge tönte es
herüber von der Ostseite des Sees. Der Klang war so
überzeugend, daß ich erwartete, im nächsten Augenblick
einen Anruf zu hören, ein Boot zu sehen. — Nach
Minuten schon aber mußte ich mir klar machen, daß
eine unauffindbare Ursache, vielleicht ein neugebildeter
Tropfenfall mit starker Resonanz die Täuschung
hervorgerufen, die sich mit so zwingender Lebendigkeit in
die Gedankenverbindungen der Gegenwart einfügte.
Mehrfach noch lauschte ich in dieser Nacht hinaus,
immer wieder derselbe Klang, wie vom kräftigen,
gleichmäßigen Ruderschlag, bald sich scheinbar nähernd,
bald wieder ferner wie verklingend, — ein Gruß der
Vergangenheit.
23.8
Wieder ermöglicht ein herrlicher Tag, gleich
dem vorigen, es uns, noch viel nützliche Arbeit zu
tun. Die Temperatur- und Tiefen-Messungen im See
wurden an diesem Tage beendet und ergaben, daß
derselbe eine durchschnittliche Temperatur von nur
+ 8,5° besitzt, die sich in allernächster Nähe der
Solfataren merklich erhöht. Der Boden des Sees fällt, wie
bereits erwähnt, augenscheinlich allerorts steil vom
Ufer ab. In anbetracht der erwähnten Temperaturen
war es folglich eine Unmöglichkeit, daß an dem
Faltboot, welches die Verunglückten 1907 benutzten und
mit dem sie verschwunden sind, sich infolge von
Wärmeeinwirkung des Wassers etwas aufgeweicht
haben, oder daß dasselbe dadurch gänzlich aufgelöst
sein konnte.
Am Nachmittag, als die Messungen beendet, wurde
ich mit dem Boote abgeholt und wir fuhren über den
See hinüber zur Südwestecke desselben. Je mehr wir
uns der Südwand näherten, um so majestätischer wuchs
ste über uns in den lichten Himmel empor. Das
Wasser des Sees, nur kaum einen halben Meter unter
der Oberfläche noch durchsichtig, ging vom lichten
türkisblau in milchige Trübung über. Unendlich viele
Stücke Bimstein verschiedenster Größe schwammen auf
dem Spiegel. Wir ruderten durch inselartige
Ansammlungen desselben, mit leise raschelndem Geklirr
wichen sie widerstandslos zur Seite. — Das Beschädigen
des Faltbootes durch schwimmenden Bimstein ist eine
Unmöglichkeit. Für das Unglück des 10. Juli bleibt
nur die eine Erklärung, daß ein ungewöhnlich starker
Steinschlag das Boot unter der Südwand jäh zum
Kentern brachte. Daß es ihnen kaum zum Bewußtsein
kam, was mit ihnen geschah, ehe ihre Herzen zu
schlagen aufhörten. Einige Minuten noch zog das
Wasser seine Ringe — schweigend schloß sich das
Tor — die Wellen des Sees fluteten hinweg über die
Stunde, die schon, ehe sie zerronnen, uns nicht mehr
erklärt hätte, als der heutige Tag.
Als Jene in ihrem leichten Boot ungeahnten
Gefahren entgegengingen, — Gefahren, die sie in
gewissenhafter Erfüllung der Pflicht, die sie hierher geführt,
nicht umgehen durften, — betraten sie da nicht
einen Weg, dessen Ausgang sie nicht in Rechnung
ziehen konnten? War dieser Ausgang das Ende? War
er nicht vielmehr der Anfang? Hinausleitend aus der
Phase, in welcher äußere Sinne noch den Blick aus
der Ewigkeit in die Ewigkeit zu fesseln suchen, hinauf
zu der Höhe, von welcher es kein Zurücksinken mehr
gibt in irdische Sichtbarkeit
.
Nie vorher, als hier in der Askja, habe ich die
Unendlichkeit der Schöpfung bestimmter fühlen gelernt,
nie vorher so nahe die Fäden, die uns mit dem
göttlichen Prinzip verbinden, berührt.
Aller Schmerz schwindet in dem klaren Empfinden,
daß nicht mehr Trauer uns erfüllen darf, von dem
Augenblick an, in dem wir ahnend das Verständnis un-
endlicher Wahrheit streiften.
Schweigend fuhren wir die anderthalb Stunden
über den See hinüber. Wir legten bei der kleinen,
dem See zu abflachenden Landzunge, an der
Südwestecke an. Dieselbe besteht aus sonderbar wellenartig
geformter Lava, die von dem ähnlichen hohen Ufer
abgesunken sein muß. Blauschwarz war die Oberfläche
der Lava, was den leise daran plätschernden Wellen
des grünen Sees Tintenfarbe verlieh. Unter dem
einige Zoll starken, dunklen Mantel der Lava befand
sich eine bedeutend breitere, ziegelrot gebrannte Schicht.
Wo die Lavawellen von 5 bis 6 m tiefen, schmalen
und breiteren Rissen durchzogen waren, sah man an
diesen roten Mauern träge das Seewasser emporlecken.
Einzelne kleinere Lavawellen, halb vom Wasser
bedeckt, waren außerdem quer durchrissen und boten
flüchtigen Blicken den Eindruck von ungeheuren
Baumstämmen, die durchsägt, schwarze Rinde und rotes
Mark zeigten. Abb. 44 gibt eine Aufnahme der
Solfataren der Südwand, von dieser Landzunge aus
gesehen.
Abb. 45 vom gleichen Standpunkt den Blick
gegen einen Teil der Nordwand des Askjakessels im
Neuschnee.
Wir fuhren darauf zu den Solfataren hinüber, nie
aber näherten wir uns der Wand auf mehr als höchstens
50 m. — In großer Ausdehnung rauchen und zischen
hier unzählige Schwefelhügel, die Menge ihrer Dampf-
entwicklung scheint großem Wechsel unterworfen zu
sein, — am stärksten beobachteten wir dieselbe am
folgenden Morgen um 5 Uhr, wo ich von meinem Zelt
aus eine gute Aufnahme machte. Langsam ruderte
Sigurđur entlang an dem ausgedehnten Solfatarengebiet, —
dann fuhren wir wieder heimwärts über den See.
Wohl wenigen Sterblichen wird ein solch
königliches Grab zu teil, wie den beiden, denen dieser
majestätische, leuchtende Alpensee die Gruft ward.
Nur Könige dürfen für ewige Zeiten in dem Grabe
bleiben, in dem man sie zur irdischen Ruhe brachte.
Sind denn, nach menschlichem Begriff, jene ungestört,
die in den goldenen Särgen des Eskurial, in den Grab-
kammern der ägyptischen Pharaonen ruhen?
Friede der hehrsten Einsamkeit herrscht hier,
durch die lichten Sommertage, durch die nachtverhüllte
Winterszeit, — durch Jahrzehnte, durch Jahrhunderte. —
Die Sonne war gesunken, rötlich erstrahlten die
Zinnen der Ostwand im Abendglühen. Mit verklärtem
Schein aus seligen Landen spiegelte der Himmel sich
in dem abgrundtiefen See, dessen Wellen, von der
Abendbrise bewegter als am Tage, die Bootflanken
trafen. In breitem Streifen zuckte stundenlang ein
weißliches Nordlicht seine Strahlengarben über die
Himmelsbreite von Nord nach Süd, den Zenitschneidend.
Als wir um 9 Uhr das Zelt erreichten, kämpften noch
immer die kristallklaren Tagesfarben vom Westen mit
dem violetten Blau der dämmernden Himmelskuppel.
24.8.
Wir waren an diesem Tage mit den Vorbereitungen
zum Fortritt und den letzten photographischen
Aufnahmen beschäftigt. Abb. 46 zeigt unseren Führer im
Boot dicht unter jenem Teil der Klippenwand, deren
weißliche Sandlagen sich auf Abb. 36, ganz links,
deutlich im See spiegeln.
Am Nachmittag um 5 Uhr kamen Trygve und der
Farmer von Viđiker mit unseren Pferden an. Mit
großer Mühe wurde das Holzboot von ihnen allen
zusammen aufs sichere Land geschafft. Wir beabsichtigten
früh um 4 Uhr aufzustehen, um dann spätestens um
6 Uhr abreiten zu können. Den Pferden war dies
aber noch nicht früh genug. Trygve und der Farmer
hatten abwechselnd gewacht, um zu verhüten, daß die
Pferde, die wieder sehr unruhig waren, fortliefen oder
abstürzten, schließlich waren sie aber nicht mehr zu
halten.
25.8.
Als um l 1/2 Uhr Sigurđur seinen „Good-morning"-
Weckruf vor meinem Zeltchen erschallen ließ, war ich
noch recht müde. Empfindlich war die Kälte, das
Waschwasser dick zugefroren, Mütze, Schleier,
HandAbb. 47. Unsere Führer und Pferde, am Abend vor dem Abritt.
schuhe, Gamaschen, alles was ich mir außerhalb des
Zeltes zurechtgelegt, war mit dickem Reif überzogen,
der in großen Tropfen an mir herabtaute. Gegen
Süden zitterte blinkend ein Polarlicht mit langem,
weißem Duftschleier, schwach die noch dunklen Schatten
der Nacht zerstreuend. Alles, was irgend entbehrlich,
war schon am Abend gepackt worden, im großen Zelt
stand nur noch eine Packkiste als Frühstückstisch, von
einem Licht in leerer Dose war das Zelt nur matt
erleuchtet. Das Frühstück bestand für jeden von uns
aus einigen Scheiben Pumpernickel mit Wurst und
zwei Tassen eiskalten sehr starken Tees, der der
Einfachheit wegen schon am Abend vorher gemacht war, —
er wirkte außergewöhnlich erfrischend und belebend.
Etwas frostig war die Zeit des wartenden Herumstehens,
bis um 3 1/2 Uhr die Führer mit dem Beladen fertig
waren und wir endlich abreiten konnten.
Die Sonne ging auf und bestrahlte, als wolle sie
uns den Abschied doppelt schwer machen, in wunder-
barer Schönheit die Spitzen der Bergwände. Stark
dampften die Solfataren, ihre Nebelfahnen schwebten
an den Bergen empor. In opalisierendem Wiederschein
gab der See, lichtgrün, blau und rosenschimmernd die
Klarheit des lichten Himmels wieder. Der
Rudloffkrater fauchte leise, uns wie zum Gruß seine weißen
Dampfwolken nachsendend, als wir an ihm vorüber-
zogen. Noch lange hob sich die dunkle Varđasäule
von ihrem hohen Standpunkt gegen die klare Luft ab.
Unendlich schwer ward mir der Abschied von dieser
wunderbar edlen Natur, die eine Brücke bildet vom
Sehnen unerfüllter Träume zum schweigenden Verstehen.
Immer wieder noch ein Blick zurück, bis dem von
Tränen geblendeten Auge alles verschwimmt, bis der
See und der Varđa durch die dazwischen tretenden
Berge verdeckt werden.
Alle Aufmerksamkeit muß jetzt dem Terrain
geschenkt werden. Große Schneeflecke sind zu
überreiten, auf denen das am vorigen Tage unter der Sonne
Abgetaute blankgefroren glänzt; die Füße aus den
Bügeln, denn die Pferde gleiten bedenklich. Eine
Stunde reiten wir, bis wir die Gegend erreichen, wo
der Askja-Kessel sich nach Osten, gegen Askja-Op
verengert. Hier erwartete die armen Pferde wieder
harte Arbeit. Wir mußten über die wildzerrissene
Blocklava hinüber. Alle stiegen ab. Pferd und Mensch
suchte sich seinen Weg allein. Wir brauchten fast eine
Stunde, bis wir die ungefähr l km breite Lava hinter
uns hatten. Der Farmer von ViQiker, sowohl als sein
Hund, schienen am wenigsten Anstrengung bei diesem
Übergang zu verspüren, beide liefen wie die Wiesel
über die scharfen Zacken hin und her. Der Farmer
in seinen dünnen Schaflederschuhen, mit dem bekannten
Anruf den Pferden wo es nottat zu helfen, der zierliche,
langhaarige Hund vor diesem oder jenem Pferd unter
fortgesetztem Bellen hin- und herspringend, um zu
verhindern, daß es sich verklettere.
Auf der gegenüberliegenden Seite angekommen,
ritten wir dann westwärts, jetzt am Innenrand der
Nordkante der Dyngjufjöll. Diese ganze Zeit sahen wir
noch, links von uns, gegen die jetzt ganz beleuchtete
Südwand die weißen Dampfwolken des Kraters und der
Solfataren aufsteigen. Abb. 48 zeigt diesen Blick, —
im Vordergrunde Schnee, im Mittelgrunde der breite
schwarze Lavastrom. Kurz vor 6 Uhr ritten wir über
steile, rote Schlackenhügel zum Eingang des Passes
Jónskarđ. Einige Minuten wurde der Pferde wegen
gerastet, dann gingen wir in steilen Windungen hinauf
und erreichten kurz nach 6 Uhr ein großes Schneefeld,
in Höhe von 1300 m. —
Ein wunderbarer Fernblick bot sich noch einmal
von hier. Gegen Süden der weite Askja-Kessel,
erfüllt von schwarzen Lavaströmen und weißen
Schneeflecken, umrahmt von mannigfach geformten, mit Schnee
verbrämten bunten Bergen. Weit, weit dahinter, jenseits
der ganzen Breite der südlichen Ödääahraun der Vatna
Jökull in lichter Schönheit. Und auf dem Ganzen der
verklärende Schein unverletzlicher Majestät, hehrster
Einsamkeit und ursprünglicher Vollendung.
Wie unter dem Strahl der steigenden Sonne die
Frühnebel zerfließen, so verbleicht aller Schimmer der
modernen Welt vor der ungekünstelten Erhabenheit
dieser reinen Natur.
Dasselbe Wort, das in Jahrtausende währender
Gültigkeit geprägt ward für die Lilien auf dem Felde,
gilt heute noch hier, angesichts all dieser schweigenden
Pracht: daß auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit
nicht bekleidet gewesen ist, als derselbigen eines.
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