Ina von Grumbkow

Ísafold
Reisebilder aus Island

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Online Version erstellt von Dieter Graser

Kapitel XVIII.

Auf der Poststraße.


Den 29. August wurde ich wie üblich um 7 Uhr mit starkem, heißen Kaffe geweckt, — er tat sehr wohl, denn im Zimmer war es recht kalt, drüben die Basaltwand der Vadlaheiđi war tief herab weiß verschneit.

Um 9.30 Uhr verließen wir mit Händedruck für Sigfus, seine Tochter, Björn und den Vater Sigurđurs, der ebenso wie unser Führer nördlich von Akureyri eine Farm besitzt, das „Hotel Akureyri". Trygve gab uns die ersten Stunden aus Freundschaft das Geleite. Einen zweiten Führer brauchten wir nicht für diesen Ritt, wir hatten jetzt im ganzen nur elf Pferde.

Kalter Wind trieb uns während der ersten Stunde Reitens nach Norden Regen gleich Eisnadeln ins Gesicht, dann konnten wir nach Westen abbiegen und waren bald im Schutz der Bergwände. Jetzt sagte uns der gute Trygve Lebewohl, nicht weit entfernt lag auch seine Farm. Die Sonne schien warm auf uns herab, wir ritten den ganzen Tag nach Südwesten durchs Öxnardalur. Der grüne Grund dieses sehr hübschen, 3 km breiten Tales ist von einem frischbrausenden Fluß durchströmt, steile Basaltwände begleiten es an beiden Seiten. Wir kamen vorüber an der Farm Bakki, der Heimat eines der größten isländischen Dichter, Jónas Hallgrimsson (+ 1845). Vierhundert Meter über dem Talboden ragt aus der umgebenden Basaltwand ein wohl 20 m hoher Obelisk, vermutlich durch Erosion gebildet. Der Volksmund taufte diese Steinsäule: jónassur Hallgrimssons Denkmal. Keiner erkletterte noch die steile Wand, und der Schatz, von dem die Sage spricht, — ein Goldbarren, der auf der Spitze des Obelisken ruht, und jenem zu Teil wird, der als Erster die Höhe erklimmt! — ist noch ungehoben.

Bald darauf erreichten wir Sigurđurs Bruder, der eine Stunde früher als wir Akureyri verlassen hatte. Der Postführer Sigurjón Sumarlidason reitet einmal in jedem Monat von Akureyri bis Stađur am Hrútáfjord. Er bringt allen an der Route wohnenden Farmern die Post und nimmt ihre Sendungen zurück nach Akureyri. Ein anderer Postführer befördert in gleicher Weise die Post von Reykjavík bis Stađur. Früher wurde der ganze Ritt von Akureyri bis Reyjavík von einem Postführer gemacht, — der Vater des jetzigen hat, wenn ich nicht irre zwanzig Jahre lang, diese bei ungünstiger Jahreszeit ebenso gefährlichen als mühevollen Reisen ausgeführt.

Sigurjón Sumarlidason führte außer einem zweiten Reitpferd sechs Packpferde mit sich. Jedes derselben trug zwei Kistchen, die auf rotem Anstrich goldene Posthörnchen zeigten. Sein einziger Begleiter war ein zierlicher, schwarzer Spitz, der auf Sigurjóns leiseste Ermahnung die Pferde bellend und hin- und herlaufend antrieb, auch wohl das eine oder andere, von unerlaubter Seitenexkursion aufs Gras, unbarmherzig zurückjagte. Es machte uns viel Vergnügen, fast die ganze Zeit bis Stađur, mit der Postkarawane zu reisen. Wir konnten es mit gutem Gewissen tun, da wir unseren eigenen Führer hatten. Viele Isländer benutzen aber mit Vorliebe zum Ausritt ins Innere den Tag, an welchem der Postführer Akureyri, beziehungsweise Reykjavík verläßt, ohne ihm dadurch besondere Freude zu machen. Er hat beim Durchfurten der gefährlichen Gletscherströme mit seinen eigenen Pferden vollauf zu tun, fühlt aber doch die moralische Verpflichtung, sich der ungebetenen Gäste anzunehmen.

Sigurjón war stattlicher und kräftiger als sein Bruder, sprach fast ebensogut englisch wie dieser, — die Brüder schienen erfreut, tagelang zusammen zu sein, und sich viel von ihren Erlebnissen des Sommers erzählen zu können.

Am Nachmittag um 5.30 Uhr schlugen wir bei der Farm Gil im Öxnardalur unser Lager auf. Von den 420 km, die wir von Akureyri bis Reykjavík zu reiten hatten, waren noch nicht viele zurückgelegt. Wir gedachten die Reise in acht Tagen auszuführen, hatten aber sicherheitshalber für neun Tage Proviant mitgenommen.

Als ich am nächsten Morgen kurz nach 6 Uhr am Bach Wasser hole zum Tee, reitet Sigurjón, der über Nacht in der Farm Gil gewesen, mit seiner munteren Karawane schon wieder weiter. Die Luft ist klar, aber recht frisch. Die ins Wasser hängenden Grashalme tragen ßngerdicke Eispanzer. Dank Herrn Recks Hülfe beim Packen, Satteln und Beladen sind wir schon um 8 Uhr marschfertig und verlassen Gil im freundlichen Sonnenschein. Von der See ziehen schwere Wolken das Tal entlang, sie suchen uns einzuholen, aber da sie hier und da an den Bergnasen hängen bleiben, gelingt's ihnen nicht. Als wir nach zwei Stunden am Ende des Tales eine scharfe Biegung in die Berge machen, treibt der Sturm uns wohl vereinzelte Flocken um die Köpfe, wir aber bleiben im Sonnenschein. Nach längerer Rast bei der Kirche von Silfrastađir, wo wir Sigurjón vorfinden, reiten wir dann wieder mit ihm zusammen an der Hügelkette der Tungusveit

entlang und kreuzen mit einem Lokalführer den von Sigurđur gefürchteten Gletschernuß Hjerađsvötn. Vor drei Jahren war er Augenzeuge, als trotz eindringlicher Warnung von ihm und zwei anderen Isländern, der Engländer Howell, infolge eigener Un- vorsichtigkeit in diesem Flusse ertrank, ohne daß es möglich gewesen, das Geringste zu seiner Rettung zu unternehmen. Viele Flüsse hatte Frederick W. W. Howell durchfurtet bei mehrfachen Sommerreisen in Island. Seine sehr hübschen Schilderungen des Landes sind unter dem Titel: „Icelandic Pictures, drawn with pen and pencii" 1893 in London erschienen. —

Kurz wurde gerastet bei Viaimyri. Hier steht eine der ältesten Kirchen Islands, — ein schlichtes Häuschen mit Grasdach, kleinen Fenstern und einem Holzkreuz am Giebel. Um 6 Uhr abends trafen wir bei der hochgelegenen Farm Vatnskarđ ein. Inmitten großer Schneenecke, die gutes Gras bedeckten, schlugen wir frierend die Zelte auf.

Am Montag, den 31. August, verließen wir schon um 8.30 Uhr, dieses Mal mit Sigurjón zugleich, Vatnskarđ. Die Sonne belebte und wärmte uns nach der empfindlich kalten Nacht. An einem See gings entlang, ein schöner, großer Polartaucher rief von dort eindringlich und übermütig, als wisse er, daß Flinte und Patronen unerreichbar weit verpackt.

Die Bergkette hinabreitend kamen wir nach Bolstađarhliđ. Sigurjón hatte hier Post abzugeben. Die roten Kistchen wurden geöffnet und er entnahm ihnen eine Anzahl Papierröllchen von gleicher Größe, die vermutlich jedesmal Zeitung und Briefe für den ein- zelnen Adressaten enthielten.

Von dem Wiesengrund um die Kirche herum sammelte ich eine Handvoll zarter Champignons. Herr Reck sowohl als Sigurđur wehrten sich schaudernd, als ich ihnen dieselben zur Verschönerung unseres Mittagbrods in Aussicht stellte. Ich aß sie später allein, roh, mit frischem Wasser und Schokolade, eine sonderbare Zusammenstellung, aber äußerst bekömmlich.

Wir ritten nun weiter nach Nordwest, auf halber Höhe der östlichen Basaltflanke eines schönen grünen Tales, das von der breiten, gelbgrauen Blanda durchströmt wird. Die Blanda ist einer der schlechtrenommiertesten Gletscherflüsse des Nordlandes. Den Abflüssen des Langjökull und Hofsjökull verdankt sie ihren Ursprung. Ihren Namen erhielt sie infolge großer Ähnlichkeit ihrer Farbe mit jener des aus Molken und Wasser hergestellten Lieblingsgetränkes der Isländer, das sie Blanda, wörtlich übersetzt Mischung, benennen. Wir wünschten diesen Fluß in der Nähe der Farm Aesustađir (Eißustathir), die wir inzwischen erreicht hatten, zu durchfurten. Wir ersparten dadurch vier bis fünf Stunden Ritt, während Sigurjón der Poststraße, über Blönduos, am breit zum Eismeer geöffneten Hunafjord, folgen mußte. Sigurjón sprengte eilig weiter mit den Postpferdchen, nachdem er Briefe abgeliefert und mitgenommen. Bei unserer kleinen Rast fand ich im Grase liegend ein gut geschriebenes Blatt Papier, ein Kuvert, dessen Aufschrift vermutlich Sigurjón für ungenügend gehalten:

Sigrid Einarsdottir
Kaupmannahöfn.
(Sigrid, des Einar Tochter, Kopenhagen).

stand darauf. Schwerlich würde es zu ihr gefunden haben!

Bald kam Sigurđur, der den Farmer vom Heu- machen geholt, und binnen Kurzem wurden wir freund- lich aufgefordert, eine Tasse Kaffee in der Farm zu zu trinken. Gern folgten wir der Einladung. Die Wände der fast finsteren Vorräume, — nur ein winziges Scheibchen im Dach spendete spärlichen Schein, — waren aus Grassoden aufgeführt. Türen gab es nicht, über hohe Erdschwellen stolperte man, der Dunkelheit ungewohnt. Dann aber wurden wir am Ende durch eine Tür in ein hübsches, kleines Zimmer geführt, das nach Süden in den Garten hinaussah. Ein Tisch mit bunter Kattundecke stand am Fenster, ein Stuhl, eine Holzbank daran. Ein Bett, Kommode und Sekretär, und ein Barometer sowie die Bilder der dänischen Königsfamilie und fabelhafte Öldrucke unseres Kaiserpaares schmückten die Wände. Immerhin waren

diese noch schöner als in einer anderen Farm an der Poststraße drei oder vier Todesanzeigen, die mit ihrem schwarzen, breiten Rand sich sehr wunderbar an der Zimmerwand ausnahmen. Ein hübscher, reichgefüllter Bücherschrank fesselte unser Interesse. Neben den alten vielbändigen Sagas standen hier die modernen Klassiker, neuere Bücher über Islands Geschichte und Naturwissenschaft neben Werken über Landwirtschaft, Hühner- und Viehzucht, auch neue dänische und englische Autoren etc. Das Zimmer lag so niedrig, daß wuchernde Feldstiefmütterchen fast übers Fensterbrett hineinwuchsen. Draußen standen Kohlpflanzen, Küchenkräuter und allerhand Blumen, fröhlich durcheinanderwachsend. Stets werden Versuche gemacht, welche Krauter und Pflanzen in Island überhaupt gedeihen und Erträgnisse liefern können, bevor ein systematischer Anbau des einen oder ändern unternommen wird. Die Farm Aesustađir liegt auf derselben geographischen Breite wie Dawson-City am Yukon, Haparanda und Godthaabi Der deutsche Konsul in Reykjavík, Herr Ditlev Thomsen ist eifrig in seinem eigenen Garten tätig, um durch gute Erfolge mit Nutz- und Zierpflanzen die Isländer zu derartigen Versuchen zu ermutigen. Die Resultate einer Gartenbauschule in Island zeigen langsamen aber sicheren Fortschritt.

Auf sauber bedecktem Tablett brachte ein Mädchen den vorzüglichen Kaifee mit dicker Sahne und guten englischen Cakes. Zwei Knaben von drei und vier Jahren kamen mit ihrem Vater, dem Farmer, undSigurflur herein. Freundlich lächelnd beobachteten sie besonders Herrn Reck und mich, bei der ungewöhnlichen Beschäftigung des Kaffeetrinkens, unter absolutem Schweigen jeder unserer Bewegungen folgend; hoffentlich benahmen wir uns recht zierlich. Gleich darauf ritten wir, nach Dank und Händedruck für die bisher nicht sichtbare Frau des Farmers weiter.

Die Blanda ist tief und reißend. Den Pferden ging das Wasser auf der schmalen Furt bis zum Bauch. Sehr langsam und vorsichtig ritten wir hindurch, jeder Tritt zu weit zur Seite konnte verhängnisvoll werden. Um mich nötigenfalls herausreißen zu können, blieb diesmal Herr Reck hinter mir, ein stummes Zeichen, daß der Übergang gefährlich. Der Farmer, der die Packpferde nach sich zog, bildete die Spitze des Zuges. Am gegenüberliegenden Ufer ritten wir weiter über eine Heide. Einem Purpurteppich gleich bedeckte das vom Nachtfrost gerötete Laub einer unsrer Blaubeere ähnlichen Frucht auf weite Strecken den Boden.

Wir sind nicht mehr weit von Reykir, (Reykir heißt Rauch. Die zahlreichen Solfataren und heißen đuellen, die in allen Teilen der Insel auftreten, erklären die in Island so häufige Wiederkehr der Benennung.) — jenes Reykir, das westwärts des Svinavatn liegt, — es muß in Island mindestens zwölf dieses Namens geben, wir passierten vier oder fünf. Vorher aber geht der Ritt noch über eine breite Mýri. Mein Erstaunen, daß der Farmer von Aesustađir, statt jetzt Abschied von uns zu nehmen, sich anschickt uns weiter zu begleiten, schwindet als er, nach einer Viertelstunde Reitens über die Wiese, sonderbare Zickzackwindungen zu beschreiben beginnt. Da sitzt auch schon, während nach allen Seiten der braune Schlamm aufspritzt, das eine Packpferd im Morast. Sigurđur springt schnell ab, hilft es herausziehen, befestigt die losgehakten Kisten und weiter gehts. Nicht lange und Herr Reck ist unten mit seinem Grane, der in etwas veränderter Färbung mit tüchtigem Sprung wieder festen Boden erreicht. Mein hübscher Schwarzer, das noch recht unerfahrene achtjährige „Girl" hat sich aber schon abgeguckt, wie's gemacht wird. Vorsichtig folgen wir den anderen, dem tückischen überall gleich üppig bewachsenen Wiesenboden ist nirgends Verdächtiges anzusehen. Plötzlich weicht mein Pferdchen eigensinnig von der Spur ab, eine besonders geeignete Stelle ist gefunden. Im selben Moment bin ich in schönem Schwung durch den gegen die Bügel wirkenden Bodendruck aus dem Sattel gehoben, meine Kniee sind von ihrer ^5/4 m Höhe in die feuchte Masse gesunken, und die dumme Kleine sitzt bis über die Schultern drin.

Da sie sich fast gar keine Mühe gibt herauszuspringen, muß Sigurđur mitziehen. Ich war recht froh, als wir nach einer Stunde das Ufer des Svinavatn erreichten, fast alle Pferde waren, trotz guter Führung, nacheinander eingesunken.

Bei Reykir sagte uns dann der Farmer Lebewohl und nach weiteren zwei Stunden erreichten wir um 6 Uhr abends die sehr hübsch gelegene, stattlich aussehende Farm Hnausar (Neußar). Der Besitzer derselben ist ein vermögender Mann, was ihn nicht hindert, einige wunderschöne Forellen, die er soeben im See gefangen, allein aufzuessen, statt uns, wie wir im Stillen hofften, zur Teilnahme aufzufordern. Für die Erlaubnis unser Zelt auf seinem Grund aufzuschlagen, und für die Weide unserer Pferde nahm er uns so viel Geld ab, wie wir es nie vorher gezahlt hatten bei unseren vielen Kreuz- und Querritten durch Island.

Spät am Abend traf Sigurjón in der Farm ein.

Wie immer, am nächsten Morgen 6 Uhr Aufstehen, 9 Uhr Aufbruch. Im Durchschnitt reiten wir bei meist gutem Weg 50 km per Tag, aber unsere Pferde werden sehr angestrengt, wir hoffen am nächsten Lagerplatz einen Tausch machen zu können.

Die Müdigkeit der Pferde macht sich, wie mehrfach zuvor während unserer Expedition, dadurch bemerkbar, daß sie fortgesetzt vom Weg abzubiegen suchen. Es scheint den Tieren gleichgültig zu sein, ob sie dabei über Geröll straucheln, oder sich an Lava verletzen. Während sie, so lange sie frisch sind, immer in großer Einigkeit vorwärtstraben, oft ohne überhaupt getrieben zu werden, hat der Führer, wenn sie müde sind, viel Arbeit damit, sie immer wieder auf den Weg zurückzujagen.

Wir reiten durch hübsche Gegend, Heide- und Grasland. Sigurđur zeigt uns gegen Westen den sagenumwobenen Hügel Borg, auf dem sich die Trümmer uralter Ansiedlung eines kampflustigen Wikingers befinden sollen. Die Zahl seiner Kämpfe und Taten scheint fast zu reich für einen einzigen Menschen. Der Held von Drangey, jener einsamen Basaltklippe im Skaga-Fjord, die in früheren Zeiten zum Landbesitz der Familie Havsteen gehörte, muß freilich ein ähnlich tatenreiches Leben geführt haben. —

Nach langem Tagesritt erreichen wir Stađarbakki in sehr einförmig flacher Gegend. Die Nacht ist milde, der nächste Morgen klar und freundlich. —

Wir haben einen guten Pferdetausch gemacht und reiten befriedigt mit neuer Kraft weiter. Zuerst durch hügelige Heiđi (Heide) bis Stađur, das wir nach vier Stunden erreichen, noch in Gesellschaft Sigurjóns. Wir reiten jetzt südwärts, westlich von uns der stundenweit ins Land einschneidende schmale Hrútafjord. Die uns gegenüber an demselben liegende Hafenstadt Bordeyri, Anlegeplatz vieler um die Insel fahrender Dampfer, läßt nach den Karten von Island einen ansehnlichen Handelsplatz vermuten, aber sie besteht nur aus einer bescheidenen Anzahl von Häusern. Hinter ihr erstreckt sich meilenlang von Süden her die Basaltbankung. Nordwärts geht die Bergwand in die von zahllosen großen und kleinen Fjorden zersägte Nord-West-Halb- insel über, die noch fast gänzlich der Erforschung harrt. Wie sehr erweckt die große Einförmigkeit hier die Sehnsucht nach den kühnen Schroffen der Palagonit- berge des Südlandes, nach der schwarzen Laki-Wüste mit ihren moosgekrönten Schlackenhügeln, nach dem wechselvollen Reichtum in Farbe und Form an den Solfataren von Reykjanes, bei der Krafla, am Námafjall, in der Askja!

In Stađur nehmen wir dann herzlichen Abschied von Sigurjón, der bis zum nächsten Tage noch dort- bleiben wird, den Postführer aus Reykjavík erwartend. Wir reiten direkt nach Süden weiter. Stundenlang in ermüdender Gleichförmigkeit führt der Ritt über das Hügelland der Höltuvör9ahei9i. Wir begegnen der von Reykjavík nach Staflur ziehenden Postkarawane. Als einzigen Wechsel genießen wir, leider nur für kurze Zeit, den Anblick des prächtigen, fast 1800 m hohen Eiriks-Jökull. Hinter ihm am fernen Horizont scheint mit der Luft die Gletscherlinie des 70 km N. 0. — S. W. gestreckten Langjökull, zu verschwimmen.

Inmitten der Heidehügel sind wir um 6 1/2 Uhr bei der Farm Fornihvammur (Forniđuamr) am heutigen Ziel. Um 8 Uhr Aufbruch am nächsten Morgen. Nach drei Stunden erreichen wir Hvammur (Quamr). Hier kommt die 900 m hohe Baula (spr. Beula) in Sicht, deren Gipfel durch Solfatarentätigkeit in herrlichen Farben prangend, dem Auge für die nächste Stunde Abwechslung bietet. Auf guter Poststraße mit frischen Pferden (wir hatten noch einen weiteren Tausch gemacht), fressen wir förmlich Kilometer, es wurden fast sechzig an diesem Tage. Kurz vor Nordtunga umfängt uns ausgedehntes erfrischend duftendes Birkengebüsch. Wir kreuzen die Ţverá (Thwerau) und Hvitá (Quitau) auf vorzüg- lichen starken Brücken und müssen dann noch ver- schiedene Flüsse durchfurten, ehe wir Grund am Skorradalsvatn, das heutige Ziel, erreichen.

Die wenigen Brücken, die in Island über die Gletscherflüsse führen, sind außerordentlich stark gebaut. Ein Bild der Brücke über die Thjorsá (Thjorsau), die wir auf unserem Ritt zur Hekla passierten, macht fast den Eindruck, als handle es sich um eine Eisenbahnbrücke. Sie wird aber, bei dem völligen Mangel an Wagen in Island, nur von Pferden und Menschen benutzt. Wer von der Brücke einen Blick in die unter ihr in rasender Wildheit kochenden, sich überstürzenden, zurückbäumenden Schaumfluten tut, wird die genügende Erklärung finden für die hohen Eisenpfeiler, welche nur am Lande der Brücke ihren kräftigen Halt verleihen.

Diese Brücke über die Thjorsá wurde erst im Laufe des letzten Jahrzehnts mit großem Kostenaufwand errichtet.

Das völlige Fehlen von Brücken über die Gletscher-flüsse in den zentralen Teilen Islands ist aber dem Isländer, der von Jugend auf an weite und beschwerliche Wege und Umwege gewöhnt ist, nicht sonderlich empfindlich. Bei der fast nur auf die besiedelbaren Küsten beschränkten dünnen Bevölkerung ist auch der Verkehr im Inneren der Insel äußerst schwach. Die wenigen Fremden aber, — vielleicht die Einzigen die diese Gegenden durchstreifen, müssen eben imstande sein, die fraglichen Flüsse zu durchfurten, beziehungsweise echt isländische Umwege von einigen Tagen zu machen, wie wir an der Tungná! —

Holzbrücken sind wohl nur, wenn ihre Konstruktion der fast unberechenbaren Laune des Gletscherbaches angepaßt ist, mit Erfolg zu verwenden. Jene, hübsche Brücke über die Fnjnóská, deren Passieren uns, da sie noch nicht dem Verkehr übergeben, verboten wurde, — ist bald darauf, ohne Jemandem Nutzen gebracht zu haben, eingestürzt. —

Wir kamen um 6 Uhr abends bei der Farm Grund am Skorradalsvatn an. Zwei Tagesritte trennten uns jetzt nur noch von Reykjavík. Der Himmel hing voll schwerer Wolken.

Als wir am folgenden Morgen, den 4. September, uns zum Aufbruch rüsten wollen, wird der Regen, der schon die ganze Nacht fiel, ärger. Wir sehen ein, daß wir nicht fortreiten können. Nur wenige Stunden zurückzulegen, um dann völlig durchnäßt, doch auf halbem Wege liegen zu bleiben, würde uns nicht den geringsten Nutzen gebracht haben. So bleiben wir: eingeregnet am Skorradalsvatn. Einen ganzen Tag mußten wir im Zelt sitzen; im Halbdunklen, da wegen Regen und Sturm die Zelttür fest geschlossen war. Wir schrieben die ganze Zeit und froren außerdem. Um unsern Lagerplatz, der am Fuße eines Hügels lag, sammelte sich im Grase, in Pfützen und kleinen Teichen das Wasser, da ohne Unterlaß der Regen herabströmte. Die Pferde mußten in den Stall der Farm gebracht werden. — Unsere Vorräte gingen stark auf die Neige, aber vorzüglicher Kaffee mit heißen Pfannkuchen, auch ein Vorzug der nahen Farm, unterstützte sie wesentlich.

Am nächsten Morgen war es fast trocken als wir Grund verließen, und nach einigen Stunden Reitens sind wir dann wieder im gewohnten hellen Sonnenschein. Tiefblau liegt der in mehreren weiten Bogen ins Land einschneidende Hvalfjord (Qallfjord) vor uns. Wir müssen ihn ganz umreiten, da Flut ist und wir nicht mit Durchfurten Ecken abschneiden können. Dicht drängen sich hie und da hohe Klippen Säulenbasalts an ihn heran. Aus seinen Fluten ragen viele kleine Inseln desselben Gesteins, rötlich erscheinend im Licht und aufspritzenden Meerwasser. Weite Grasflächen, auf denen vereinzelt Farmen stehen, reichen bis zum schneeigen Ufersand, der mit angeschwemmten über meterlangen, breiten Blättern von Tiefseetangen wie mit Guirlanden verziert ist. Die tief braunroten, ausgetrocknet orange und weißlichen Blätter, kontrastieren stark mit der blauen Meeresflut; in der Sonne strömen sie kräftigen Seegeruch aus. Während der vier Stunden Rittes um den freilich sehr schönen Hvalfjord konnten wir ihn von allen Seiten besehen, so daß wir kaum je vergessen werden, wie er aussieht. Wir meinten auch zu Sigurđur, daß wir „nächstes Mal" nicht wieder hierher wollten. Nach einigen Stunden patschen unsere Pferde bei starker Dämmerung durch

die Laxá und wir sind am letzten Zeltlager Mödruvellir (Mödruveddlir).

Am 6. September, einem Sonntag früh, dem letzten Ritt-Tag in Island, sahen wir von der Höhe des Svinaskarđ (Paß des Sven) im warmen Sonnenlicht meilenweit die Landschaft vor uns ausgebreitet, bis jenseits des Keilir auf der Halbinsel Reykjanes. Dort in Reykjanes begann unser Zeltleben in Island und in Gedanken zogen die wechselvollen Bilder vorüber, die wir seit jenen ersten Tagen geschaut. Während der elf Wochen unseres Reitens durch Island, haben wir einunddreißig verschiedene Zeltplätze gehabt, von denen einer so schön wie der andere, durch seine individuellen Reize sich der Erinnerung einprägte. Wir legten in dieser Zeit rund 1500 km zurück, haben über hundert Flüsse durchfurtet, von denen 30 zu den allgemein gefürchteten gehören. Wir haben in Sturm und Regen die Wüsten durchkreuzt, aber nur einmal hat uns das Wetter ernstlich gestört, hat ein Gletscherstrom sich als unbezwinglich bewiesen. Jetzt sind wir hier mit dem Blick auf das trauliche Reykjavík, das wir in wenigen Stunden wieder erreicht haben werden. Nicht allein unserem tüchtigen, gewissenhaften Führer, in der Hauptsache haben wir doch dem Höchsten Schutz zu danken, der uns in vielen bewußten und ungeahnten Gefahren nahe gewesen und uns sicher wieder bis hierher gebracht hat. —


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