Ina von Grumbkow

Ísafold
Reisebilder aus Island

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Online Version erstellt von Dieter Graser

Kapitel XIX.

Abschied von Island.


Gegen mittag waren wir auf der Höhe des Svinaskarđ gewesen, lang war der Ritt durch die Mosfellsheiđi. Wir genossen aber dabei noch einmal den Anblick der über 600 m hohen Basaltburg Esja, zu welcher ich in den ersten drei Tagen unseres Aufenthaltes in Island den ersten und einzigen unvergeßlichen Ritt im Damensattel unternahm! Von den schönen Bergen, dem klaren Himmel, der lebenspendenden Luft hieß es jetzt Ab- schied nehmen, mit der nur Ungewissen Hoffnung auf ein fernes Wiedersehen.

Je mehr wir uns dem Weichbild Reykjavíks näherten, um so belebter wurde die Gegend. Ganze Familien kamen geritten, die in der Kirche gewesen waren. Einzelne Reiter, zu zweien und dreien. Mochten sie uns elegant und modern erscheinen oder nicht, — reiner als wir waren sie ohne Frage — ihre Mienen spiegelten diesen Vorzug uns gegenüber wieder. Andererseits konnten sie sich einer gewissen Ehrfurcht nicht erwehren, sprach doch unsere von Regen und Luft,. von Schlamm und Lava verfärbte und zerrissene Kleidung deutlich genug davon, daß wir ein ehrliches Stück Arbeit in Island, in ihrer geliebten Heimat, geleistet hatten. So ward uns trotz des strolchhaften Aussehens manch freundlicher Gruß zu teil.

Jäger mit ihren Hunden zogen an uns vorbei in die Heide, vermutlich zur Hühnerjagd; hätte ich mein Pferd wenden und zurücksprengen können in all' die herrliche Wildnis!

Die See sahen wir, schieferfarben und schaum- gekrönt, blitzend im Sonnenschein.

Abb. 55. Farm bei Reykjavík. Immer näher kamen wir der Stadt. Nun noch einmal den bekannten Weg durch die hügeligen Straßen, wir biegen ab in die Austurstraeti, die Hauptstraße von Reykjavík. Rechts die Gebäude von Konsul Thomsen, die Bank, die Post, das Museum, links unser „Hotel Reykjavík".

Eine Menschenmenge wie wir sie seit langer Zeit, — wie wir sie noch nie in Island gesehen, füllt den großen Rasenplatz hinter dem Hotel. Wie wir später erfahren, ist eine wichtige politische Versammlung, ein neues Gesetz betreffend, welches das Kronland Dänemark einführen will. Im Augenblick ist uns aber die Menschenansammlung vor dem Hotel wichtiger. Ungefähr sechzig bereits stark illuminierte Norweger, Fischer im Sonntagszeug, stehen laut redend und gestikulierend in Gruppen. Sie umdrängen, in ihre Gespräche vertieft, unsere Pferde, die unruhig werden. Nicht genug damit, es scheint mit unserer Ankunft ein entscheidender Moment gekommen zu sein. Mehrere Bündel von fünf oder sechs, dem Dorsch ähnlichen toten Fischen, die auf der Straße liegen, stehen, wie wir schon früher beobachteten, im dunklen Zusammenhang mit diesen Versammlungen. Einer der Männer hebt so ein Bund Fische auf und fuchtelt seinem Nachbar damit in Ohrennähe herum. Das ist diesem unangenehm, andere beteiligen sich und der Streit wird lebhafter. Den Pferden ist aber die allgemeine Unruhe noch viel unangenehmer, wenig fehlte, so hätte mich mein scheuend und zur Seite springendes Tier am Schluß der Expedition noch auf die Straße gesetzt. Glücklich erreiche ich die, wie immer am Sonntag verschlossene Haustür, wiederholtes Klopfen veranlaßt dann Jemanden uns einzulassen.

Mißlich war es für uns, daß die „Ceres" erst an diesem Tage von Akureyri eingelaufen, und des Sonntags wegen unsere Koffer noch nicht an Land gesandt hatte. Wir mußten daher in recht fragwürdigem Kostüm uns an dem, für uns reich besetzten, Tisch niederlassen. (Von der Farm Grund aus hatte Sigurđur telephonisch unser Kommen gemeldet.) Vom Balkon ertönte die jeweilige Stimme eines der politischen Redner, bisweilen von zustimmenden Rufen aus der Menge begleitet, und dann und wann kam einer der Herren, um im Eßzimmer seine Kehle durch einen Schluck „Rosenborg-Sodavand" zu Weiterem zu beleben. Glücklicherweise beschäftigte ihn „das alte und das neue Tractat" so sehr, daß er uns und unser reduziertes Aussehen nicht bemerkte.

Den folgenden Tag besorgten wir zuerst die Arbeit des Briefelesens, — wir fanden deren reichlich fünfzig vor, — und im wesentlichen wurde dann das Einpacken der Ausrüstung beendet. Darauf hatten wir sowohl unseren Führer Sigurđur Sumarlidason, als auch denjenigen meines Verlobten Ögmundur Sigurdssón zu einem kleinen Abschiedsmahl gebeten. Das Essen war tadellos, nur entsprach die Temperatur des Sekts, den wir der Sitte gemäß tranken, nicht der, an die wir gewöhnt sind und, die man bei Ísafold „der Eisumschlungenen" als normal voraussetzt. Die Isländer schienen aber mit allem zufrieden zu sein.

Am nächsten Tage waren wir bis 5 Uhr nachmittags vollauf beschäftigt, ungefähr 200 photographische Films und Platten zu bestimmen, zu notieren und zu nummerieren. Darauf besuchte uns Herr Blöndal zum Essen, den Abend waren wir mit ihm zusammen beim Domprediger, wo wir einen in Berlin studierenden Japaner nur flüchtig sahen, da er am nächsten Tage sehr früh zum Großen Geysir reiten wollte. Inzwischen hatte Sigurđur mit vieler Gewandtheit die noch in unserem Besitz befindlichen acht Pferde verkauft; es war traurig, auch von ihnen, die uns unermüdlich treu gedient hatten, Abschied nehmen zu sollen. Sicher hatten sie, außer dem Grasfressen, den Sinn unserer Reise nicht entfernt für einen nützlichen gehalten. Der letzte Tag unseres Aufenthaltes in Island, der 9. September, war wieder ein herrlicher Sommertag. Wir beschäftigten uns mit allerhand Einkäufen und sonstigen wichtigen und nützlichen Dingen, bis wir, erst am Abend um 11 Uhr vom đuai zur „Ceres" hinüberfahren mußten. Es war ein herzlicher Abschied von Frau Zoega, die mir ein großes Boukett in ihrem Garten gezogener Mohnblumen mitgab, gewiß eine Seltenheit in Island. Sigurđur begleitete uns. Am Quai stand Herr Blöndal mit seiner kleinen Braut Gudda, überall hieß es »Auf Wiedersehen".

Es ist völlig dunkel, die See liegt sehr ruhig. Die bunten Laternen von Passagier- und Fischdampfern zeichnen ihre zitternden Reflexe auf die schwarze Flut, — die Ruder zerstören die Linien und formen sie zu Kreisen um, funkelnd fallen die Tropfen zurück. Die Nacht ist so still, daß man die Stimmen auf den einzelnen Fahrzeugen unterscheidet.

Am Fallreep der „Ceres" steht der wohlbekannte Kellner, Serviette unterm Arm, der Koch neben ihm uns zu begrüßen; sie kennen's schon, daß wir immer die letzten sind, die an Bord kommen. Einige Minuten noch sprechen wir mit unsrem treuen Sigurđur, es wird uns schwer ihm Lebewohl zu sagen. Mit welcher Treue, Gewissenhaftigkeit, Ehrlichkeit und körperlicher Zähigkeit hat er sich während der ganzen Zeit bewiesen, ein wesentlicher Anteil an dem Erfolg unserer Expedition gebührt ihm. Wie viel teilten wir mit ihm an Mühen und Gefahren und doch war es uns dessen scheinbar noch nicht genug — alle Drei sprachen wir vom „nächsten Male".

Bis die Ruderschläge seines Bootes verklingen, wir seine Stimme nicht mehr hören, bleiben wir an der Bordwand stehen, das Fallreep wird hinaufgezogen, der Anker gelichtet, und wir wenden uns den festlich erleuchteten Räumen der „Ceres" zu.

Zurück geht es in die alte Heimat, zu den Pflichten der Zeit, die sich leichter erfüllen lassen, wenn das Lebensschiff unvergänglichen Ballast lud. Das Rätsel, das wir in menschlicher Weise zu lösen suchten, ist ungelöst geblieben, und nach irdischem Schema ßndet die Frage nach dem „Wie" und „Warum" des 10. Juli 1907 keine Beantwortung. Wir müssen uns bescheiden, die Grenze des Verstehens erreicht, den Hauch der Ewigkeit gefühlt zu haben. — Materielle Reste haben wir vergebens gesucht, aber wir haben empfinden gelernt, daß sie nur unserem menschlichen Blick Träger des Lebens sind. Das wahre Leben kommt und geht nicht mit der Materie, die Wiederspiegelung göttlicher Wahrheit bleibt bestehen!


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