13. Tag, Žverbrekka - Ingólfsskáli

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Copyright © Dieter Graser

Dienstag, 12. August 1998


Um 6:00 Uhr aufgewacht. Gegen Morgen wurde es doch etwas frisch. Die nur dämmrige Nacht war klar und ging in einen ebenso klaren und wolkenlosen Morgen über. Na - jetzt werde ich aber verwöhnt - wenn nur das Schmelzwasser nicht zu stark wird. Aber ein warmer Regen wäre noch schlimmer. Viel Kondenswasser auf der Innenseite des Außenzeltes. Kein Wind, also keine Durchlüftung. Wenn es rein nach der Entfernung bis zur Hütte Ingólfskáli geht wird es ein kurzer Tag heute, aber wer weiß, was er an Überraschungen bereithält?

Aufbruch um 8:00 Uhr. Erste Überraschung: die Markierungen und die Fahrspur leiten mich unbeirrt nach Norden mein Ziel liegt aber eher in östlicher Richtung. Bin ich auf dem richtigen Weg? Wohin führt diese Piste, die auf keiner Karte eingezeichnet ist? Ich verschiebe die Entscheidung die Piste zu verlassen und weglos zu gehen auf später und halte mich vorerst weiter an die Markierungen. Endlich, nach etwa 3 Kilometern biegt der Weg in einem weiten Schlenker nach Osten ab und quert den Nešrižverkvísl(?). Weiter südlich der Furt ist das Hochwasserbett des Baches von Steilufern begrenzt darum macht die Piste wohl diesen Umweg nach Norden. Hier ist es flacher, aber das Wasser ist noch tief und die Strömung stark genug, um der Furt Respekt zu zollen. Eine halbe Stunde später die zweite Furt am Efrižverkvísl(?), steht dieser in nichts nach. Aber es ist heute noch wärmer als gestern - zu warm für meinen Geschmack. Die ersten Schritte, in dem im wahrsten Sinne des Wortes "eiskalten" Wasser, sind eine Wohltat und nach dem Furten muß man die Zehen nicht erst wieder mühsam auftauen.

Hofsjökull
Immer noch windstill. Der Himmel ist absolut wolkenfrei und so bleibt es den ganzen Tag. Was das für den Schmelzwasserabfluß bedeutet kann ich mir abfingerln. Mein Weg folgt dem Nordrand des Hofsjökulls im Abstand von wenigen Kilometern. Im Gegensatz zum Langjökull gibt es hier kein Lavafeld in dem das Schmelzwasser versickern könnte und so stoße ich alle 2-3 km auf einen Gletscherfluß. Noch ist es Vormittag und die Wasserstände beginnen erst zu steigen. Wie wird es gegen Abend werden?

Am Strangakvísl, der dritten Furt, passiert mir ein kleines Mißgeschick. Schon nach dem ersten Schritt im ruhigen Randwasser, wirft mich eine nicht erkennbare, tiefe Stufe in den Bach. Halb im vollkommen trüben Wasser liegend kann ich mich aber schnell wieder aufrappeln. Habe wohl gemeint, ich müßte auf dem ersten Meter noch nicht sondieren. Da die Hose eh schon naß ist macht es auch nichts weiter aus, wenn es an den tiefen Stellen bis über den Schritt hochschwappt. Mehrere Rinnen unterschiedlicher Tiefe, durch halb überspülte Kiesbänke getrennt, müssen so gequert werden. Alles in allem brauche ich für diese Furt, einschließlich Positionsbestimmung mit dem GPS während dem Füße trocknen, 45 Minuten. Die leichten Furten schaffe ich in etwa 20 Minuten.

Wüstenwanderung
Am Ufer des Efrižverkvísl war zum letzten Mal etwas Vegetation zu finden. Nach dem Strangakvísl wird die Landschaft flach. Die Luft ist vollkommen klar und die Sicht scheint grenzenlos. Im Norden, am Horizont die Berge des Skagafjöršur mit dem Męlifell. Im Süden wächst hinter einem niedern Moränenkranz die flache Riesenkuppel des Hofsjökull aus der Wüste. Das graublaue Eis, das nur in den untersten 100 Höhenmeter sichtbar ist, ist fast spaltenfrei. Darüber ist der Getscher von blendendem Firm bedeckt. Hinter mir, weit zurück im Westen, der Schild des Langjökulls und der charakteristiche Hrútfell. Vor mir erstreckt sich bis zu einer Hügelkette am Horizont eine weite Ebene. Dichtes, bräunlich bis schwärzliches Steinpflaster bedeckt den weicheren Untergrund. Wüstenwanderung sind zu 80% angewandte Psychologie. Was "endlos" erscheint sind in Wirklichkeit nur 5-6 km. Ich kenne den Effekt und genieße die Weite und die Einsamkeit die sich so nur einem Wanderer erschließen kann, niemals jedoch jemandem der mit einem Geländefahrzeug hierher gekarrt wird.

Am späteren Nachmittag ist das Wasser der Bäche nicht mehr nur milchig sondern teilweise fast schokoladenbraun. Die Strömung in den Rinnen wird zunehmend stärker. Bei einer Entfernung zum Eisrand von gerade mal einen Kilometer kann ich den ein oder anderen Bach bis zu seinem Ursprung am Gletschertor überblicken. Die Wassertemperatur ist entsprechend. Da ich der Piste folgen kann habe ich keine Schwierigkeiten mit der Orientierung und muß keine Wegentscheidungen treffen. Selbst die 1:100000er Karte ist in dieser Gegend nicht besonders zuverlässig und lagerichtig. Allerdings erkaufe ich mir dadurch eine Umwege welche die Wegstrecke nicht unbeträchtlich verlängern. Während des ganzen Tages komme ich nicht dazu eine richtige Pause zu machen. Nur eben nach dem Furten sitze ich auf einem Stein, lasse mir die Füße durch Wind und Sonne trocknen, und schiebe mir dabei einen Müsliriegel rein. Und sollte in der Nähe vielleicht auch etwas klares Wasser zu finden sein, was aber eher die Ausnahme ist, so hole ich mir dort einen Becher voll. Der heiße Tee bleibt im Rucksack unangetastet, denn bei diesem Wetter ist mir eher nach einer Radlermaß - aber so was gibt's hier nicht.

Gletscherbach
Die Piste kommt schließlich dem Eisrand sehr nahe und führt sogar in den recht mächtigen Moränenkomplex der Eyfiršingahólar. Das Auf und Ab dort ist zwar abwechslungsreicher als die weite Steinpflasterebenen vorher, aber anstrengender. Ich merke wieviel Kraft dieser Tag schon gekostet hat. Überraschend die einzige "Begegnung" auf meinem dreitägigem Weg entlang des Nordrandes des Hofsjökulls. Auf einem Moränenrücken etwa einen Kilometer weiter nördlich steht ein Geländewagen (Landrover?). Wenig später ist er verschwunden und ich sehe ihn auch nicht wieder. Offensichtlich führt eine Variante der Piste nördlich um die Eyfiršingahólar herum.

Endlich gegen 16:30 Uhr erkenne ich von einem Hügel aus, über einem breiten, flachen Tal, die gelbrot gestrichene Hütte Ingólfsskáli. Gute 3 Kilometer noch, aber zum Abschluß liegt da noch eben dieses Tal dazwischen. Der direkt vom Gletscher kommende Fluß verzweigt sich in eine Vielzahl von größeren und kleineren Rinnen über den ganzen Talboden, der durchaus als Sander bezeichnet werden kann. Zwischen den Rinnen Kies- und Sandbänke. Dort wo die Piste den Talboden erreicht vereinigen sich zwei der größeren Rinnen. Ich halte diese Stelle heute für unpassierbar und steige ein gutes Stück oberhalb das Steilufer hinab. Hier kann ich die Rinnen einzeln und nacheinander queren. Für jede Rinne gilt es eine neue Furt zu suchen. Das Wasser ist dunkelbraun und reißend, der Untergrund steinig aber fest. Immer versuche ich eine Stelle zu finden an der sich die Abflußrinne erneut gabelt, oder von einem Prallhang über eine Kiesschwelle zum nächsten Prallhang wechselt. Immer leicht schräg flußab furten, mit den Stöcken abstützen und sondieren, nicht auf die Wasseroberfläche schauen, sonst wird einem schwindelig! Die größte Rinne, mit einem einige Meter hohen, auffälligen Felsblock war so breit, daß ich vom Ufer aus nur die Strömungsverhältnisse auf der ersten Hälfte der Watstrecke erkennen kann. Also versuche ich erst einmal, mehr flußab, als querend, bis zu diesem Felsen zu gelangen. Tatsächlich liegt der Stromstrich erst jenseits des Felsen, aber das Wasser ist nur oberschenkeltief (ca. 80 cm). Kritischer ist allerdings die Tatsache daß ich aufgrund der langen Watstrecke sehr lange die Beine in dem, im wahrsten Sinne des Wortes, "eiskalten" Wasser hatte. Wie lange kann ich nicht genau sagen, aber spätestens nach einer Minute beginnen die Beine langsam gefühllos zu werden und die Muskeln fangen an zu verkrampfen Dann hilft nur noch ignorieren und zügig weiter um schnell aus dem Wasser herauszukommen.

Nachdem ich meinte mit diesem Fluß das letzte Hindernis überwunden zu haben glaube überrascht mich 200 m vor der Hütte noch ein knackiger Wildbach der tiefer ist als ich meine Kniebundhosen hochkrempeln kann. Um nicht noch einmal den Rucksack wieder auf die Schultern wuchten zu müssen gehe ich in den nassen Sandalen die letzten Meter bis zur Hütte.

Zehn Stunden habe ich für die Strecke heute gebraucht. 10 Gletscherflüsse mußten durchwatet werden. Dafür erwartet mich jetzt die Ingólfsskáli, eine gemütliche Hütte des Féršafélag Skagfiršinga (sozusagen der Sektion Skagafjöršur des FÍ) die ich ganz für mich alleine habe. Ziemlich fertig falle ich erst mal in eines der Stockbetten. Später studiere ich das Hüttenbuch. Sehr aufschlußreiche Eintragungen - vor allem die der beiden letzten Winter: Jósef Holmjárn auf seinem Weg über den Sprengisandur im Fühjahr1996, die Österreicher die ich dann später an Ostern in Hveravellir traf, und ein einzelner Franzose. Zu Fuß, im Sommer nur sehr wenige. Ein Dresdner vor wenigen Wochen und ein Isländer schreibt von 4 Deutschen die von Hveravellir her kamen - ich glaube, er hielt sie für wahnsinnig. Bis auf 4 - 5 Eintragungen sind alle auf isländisch. Und so waren auch die beiden Mountainbikespuren von zwei Isländern gelegt!

Ingólfsskáli
Die Hütte ist sowohl gräumig, hübsch und gemütlich als auch praktisch eingerichtet. Der einzige Nachteil: es gibt kein fießendes Wasser. Aber im Vorraum steht eine Batterie von 20 l Kanistern von denen wenigstens einer noch voll ist. Wie lange steht der Kanister schon da? Na ja, wird eh abgekocht, oder auch nicht, denn ich habe einen Höllendurst. Nach dem Abendessen geht's mir wieder besser und der Körper regeneriert sich. Eintragung mit obligatorischer, kleiner Zeichnung im Hüttenbuch. Danach an den Tagebuchaufzeichnungen. Kleiner Test mit dem GPS, es sagt mir den Sonnenuntergang auf die Sekunde (?) genau voraus. In der Hütte brauche ich aber schon um 22:30 Uhr eine Kerze um am Fenster sitzend schreiben zu können. Der Nordsommer neigt sich dem Enden zu, es wird wieder dunkel in der Nacht. Ab in die Heija - wieder mal ein richtiges Bett, wenn auch mit Schlafsack.


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