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11. Tag; Jökulsá á Fjöllum - Herðubreiðarlindir

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Copyright © Dieter Graser

Mittwoch, 12. August 1998

Als der Wecker piepst ist es fast windstill und etwas Sonne fällt aufs Zelt. Das übliche Morgenritual. Ein Gang vor das Zelt verspricht fast wolkenloses Wetter, keine Lentis also wenig Höhenwind! Kurz nach 8:00 Uhr verabschiede ich mich vom Jenbacher der schon morgens ziemlich daherhumpelt aber voller Tatendrang ist. Unsere Routen trennen sich hier. Er will von hier direkt nach Westen zur Dreki Hütte am Fuß der Askja-Berge (ca. 18 km) und ich nach Norden zum Herðubreið, dort an der Hütte einen Ruhetag einlegen und dann über das riesige Lavafeld Ódaðahraun in zwei Tagen ebenfalls nach Dreki. Auf einem Schild an der Brücke steht "Herðubreið 32 km". Auch wenn die Piste einen ordentlichen Umweg macht komme ich der Karte nach nur auf 29 km. Diesen weiten Bogen der Piste nach Westen zu der Bergkette der Herðuberiðartögl werde ich abkürzen und direkt nach Norden gehen. Das spart mir 6-7 Kilometer.

Heršubreiš

Zuerst bleibe ich aber auf der Piste und umrunde des Südrand des Upptyppingars bis der Blick auf den Herðubreið frei wird. Bei der klaren Sicht heute wäre die Orientierung auch ohne GPS unproblematisch. Dann geht es weglos über den Vikursandur, eine flache Bimsteinwüste aus der allenthalben vom Wind und Sand zugeschliffene Lava- und Basaltbrocken ragen. Der Bimsstein ist weiß bis gelblich und kann sogar fast goldene Farbe annehmen. Man kann sehr gut auf ihm gehen ohne dabei einzusinken. Etwas gewöhnungsbedürftig ist allerdings das eigenartige, anfangs beunruhigend "hohle" Geräusch, das jeder Tritt verursacht. Nach etwa 2 km komme ich an den Rand von Basaltklippen, die auch in der 100.000er Karte angedeutet sind. Über eine Rampe aus Treibsand komme ich bequem hinunter. Ab und zu kontrolliere ich mit dem GPS, ob ich auf Kurs bin. Der helle Bimsstein macht sich nach Norden zu mehr und mehr rar und an seine Stelle tritt schwarzer, weicher Sand in den faustgroße Lavabrocken eingebettet sind. Bei jeden Schritt sinken die Fersen jetzt tief ein. Tja, 120 kg Gesamtgewicht bei Schuhgröße 42 sind da eher ungünstig! Noch kann ich ausweichen und die hellen Bimssteinbänder suchen, aber dann ist auch damit Schluß. Schon lange gehe ich im Hemd, die Ärmel weit aufgekrempelt und wünsche mir etwas kühlenden Wind. Von Süden her ziehen wieder die ersten gelblichen Staubschleier vor die Dyngjufjöll, die umrahmenden Berge der Askja. Trotzdem glaube ich, daß heute kein Sandsturm droht - der Wind ist zu schwach. Über dem schwarzen, flimmernden Sand einige schöne Fata Morganas. Der Wassersack hängt außen am Rucksack und gluckert leise bei jedem Schritt.

Heršubreiš

Halb links voraus der Herðubreið. Langsam komme ich ihm näher. Die Pyramide des Upptypingar ist schon weit zurück. Meine Peilmarke auf 28° mißweisend ist ein Berg weit, weit im Norden (vielleicht schon bei den Nordostfjorden?). Hinter mir, im Süden, das Band des Vatnajökulls und das vergletscherte Massiv der Kverkfjöll mit seiner charakteristischen Bresche. Das plötzliche ferne Aufblinken eines Autofensters verrät den Verlauf der Piste, auf die ich demnächst wieder stoßen muß. Die flache Sandebene geht in ein von Sand überdecktes Lavafeld über. Gegen 12:00 Uhr erreiche ich wieder Piste. In dem Momet, wo ich über einem Lavarücke herauf "aus der Wüste kommend" auftauche, fährt in etwa 200 m Entfernung gerade ein Geländewagen vorbei. Durch meine Erscheinung offensichtlich etwas überrascht stoppt der Wagen und der Fahrer hält fragend die Hand mit dem Daumen nach oben aus dem Seitenfenster. Die Antwort ist ebenfalls Daumen nach oben - alles in Ordnung! Mittagspause auf einem Felsblock unweit der Piste. Im Wassersack habe ich noch etwa einen halben Liter. Noch 10 km bis zu den "Quellen des Herðubreið". Doch statt den klaren Quellen nähere ich mich wieder der Jökulsá á Fjöllum.

In vielen und noch mehr Windungen, welche die Lava vorschreibt, und nun nach Osten ausholend werden die 10 km Luftlinie bis zur Hütte Herðubreiðarlindir sicher ein paar mehr. Relativ viel Gegenverkehr.

Gegen Ende der Tagesetappe wird es noch richtig abwechslungsreich. Breite Lavarücken mit glatter Oberfläche machen aus der Piste eine Achterbahn. Das rote Dach einer Hütte und erstes Grün kommen in Sicht. Gegen 16:00 Uhr stehe ich vor der "Landwärterhütte", um mich anzumelden. Gleichzeitig mit mir ist auch ein isländischer Geländewagen angekommen. Der Fahrer grüßt die "Landwärterinnen" als alte Bekannte. Auch mir kommt er bekannt vor und auch er stutzt. "Hi, Kristján" - "Hey, you are travelling a lot!" kommt es erstaunt zurück. Kristján war Landwärter im Hveravellir, als wir uns das erste mal trafen. Die zweite Begegnung war in Reykjavík im Büro der Landsbjörg als ich meine Route für die Wintertour über den Kjölur hinterlegte und er mir einen Notsender besorgte. Eine der Landwärterinnen zeigt mir noch wo ich zelten kann, denn ich bin der erste Gast heute. Auch hier ist mein Futterpacket wie gelplant und wohlbehalten eingetroffen.

Ich suche mir einen schönen grasigen Platz neben den niederen Weidenstauden am Bach. Die Zeltheringe gehen rein wie in Butter. Etwas weiter baut ein junges Paar aus Dresden auf. Wir kommen ins Gespräch und etwas später sitzen wir an einem der massiven Bank-Tisch-Kombinationen auf dem Platz und trinken jeder eine Dose Radeberger Pils. Mmmmhh! Ihr alter Lada Niva birgt geradezu Schätze! Danach Münzen für die Dusche gewechselt und für zwei Übernachtungen bezahlt. Längeres Gespräch mit der Landwärterin - sie will aus didaktischen Gründen nur noch isländisch mit mir reden. Dann zum Duschen und Rasieren. Zum frühen Abendessen einen großen Topf Spaghetti gekocht. Inzwischen sind auf dem Zeltplatz weitere Gäste eingetroffen. Hinter mir wird schon langsam ein Grill angeworfen und die Jungs spielen Fußball. Die Kotletts duften verführerisch! Sie haben Glück, daß ich schon gegessen habe. Dann zwängt sich zwischen meinem Zelt und dem der Dresdner noch ein weiteres isländisches Familienzelt mit Klapptisch und Stühlen, dem obligatorischen Grill und einer wirklich netten vierköpfigen Kinderschar. Der Abstand zu jedem Zelt beträgt gerade mal einen Meter und die Zeltleinen verhaken sich schon. Ansonsten ist noch die ganze Wiese frei und man könnte noch mindesten 30 Zelte aufstellen ohne sich derartig auf die Pelle zu rücken. Entnervt von soviel Aufdringlichkeit gebe ich auf und ziehe 50 Meter weiter. Kann mir aber einen kurzen Kommentar gegenüber dem Familienvater nicht verkneifen der, mein Verhalten wohl seinerseits etwas seltsam findet und mich wahrscheinlich für einen "vitlaust útlendingur" hält und damit vielleicht sogar recht hat.

Leihe mir von den Dresdnern noch eine Kombizange um die Reißverschlußgleiter etwas enger zu machen. Hat früher schon geholfen und danach geht es auch etwas besser. Zumindest kann ich das Zelt wieder schließen. Um 21:00 Uhr kleine abendliche Führung durch die Landwärterin in die nähere Umgebung für alle Interessierten. Geschichtliches - das Loch in dem der legendäre Geächtete Fjalla Eyvindur überwintert haben soll - geologisches zu den schönen Stricklaven und botanisches and den Ufern der klaren Quellbäche. Alles auf isländisch und das schönste war, daß ich das meiste sogar verstanden habe. Eygló (isl.: Sonne), so heißt die Führerin, ist Botanikerin, bei der Naturschutzbehörde angestellt und betreut in den Sommermonaten im zweiwöchentlichen Wechsel die Hütten Herðubeiðarlindir und Dreki. Sie zeigt mir noch die eine oder andere Pflanze und auch den Engelwurz, Ætihvönn, dessen Vorsilbe im Isländischen bedeutet, daß die Pflanze eßbar ist. Im Naturschutzgebiet darf man allerdings keine Pflanzen beschädigen und so soll ich die wohlriechenden Dolden nur mit der Zunge berühren, was mit einem süßen, honigartigen Geschmack belohnt wird.

Verschiebe die Aufzeichnungen auf morgen und gehe dafür früh schlafen.


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12. Tag Herðubreiðarlindir