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18. Tag; Sellandafjall - Mývatn

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Copyright © Dieter Graser

Mittwoch, 19. August 1998

Ruhige Nacht. Irgendwann einsetzender Regen. Bin schon vor dem Wecker wach. Es pritschelt ordentlich und ein starker Wind schüttelt das Zelt. Grrrrr! So was wetter ich am liebsten ab, aber ganz zum Schluß möchte ich nicht noch einen Tag dranghängen müßen. Nur 13 km sind es von meinem Zeltplatz bis zum ersten Hof Grænavatn südlich des Mývatn, 15 km bis zur Ringstraße und 18 km bis nach Skútustaðir, dem kleinen Ort am Mývatn, den ich mir als Endpunkt meiner Tour ausgesucht habe. Macht ca. 5 Stunden Gehzeit. Der Linienbus geht um 16:30 Uhr in Skútustaðir ab. Frühstücke und beginne langsam im Zelt den Rucksack zu packen. Ziehe mich dann aber doch noch für 10 Minuten in den Schlafsack zurück. Prompt hört es auf zu regnen. Also wieder raus, den Schlafsack und den Rest verstaut, sicherheithalber das Regenzeug angezogen und das Zelt abgebaut. Der heftige Wind erschwert das saubere Zusammenlegen des Zeltes. Wie wäre er mir gestern willkommen gewesen!

Um halb neun bin ich wieder unterwegs - immer schön der Piste nach. Zuerst bleibt es noch trocken, dafür läßt der Wind aber nach und so muß ich wieder von Regen- auf Mückenschutz umbauen! An der in der Karte eingezeichnete Furt am Sellandafjall ist der Bach verrohrt. Unterhalb hat sich das Wasser tief in eine mächtige Torfschicht eingegraben. Dann wird der Boden wieder steinig und es geht leicht bergauf. Es fängt an zu Nieseln, was aber die Mücken nicht weiter zu stören scheint. Wo ist der Wind von heute Morgen? Wieder im Anorak. Regen aus Südost. Während ich wie üblich im Gehen meinen Gedanken nachhänge erreiche ich den höchsten Punkt des langestreckten Höhenrückens und unerwartet wird der Blick nach Norden frei. Der Mývatn mit seinen vielen Inseln und Buchten und den typischen Pseudokratern liegt ausgebreitet vor mir. An seinem Ostrand der große Krater des Hverfell und das Lavafeld der Dimmuborgir. Im Süden und im Westen des Sees die großen Bauernhöfe mit ihren saftig grünen Weiden und hellen Mähwiesen auf denen wie Chamingnons die weißen Siloballen wachsen. Auch die Handvoll Gebäude von Skútustaðir sind in der Ferne erkennbar. Im Nordosten des Mývatn die Dampfahnen des Geothermalkraftwerke Krafla.

Mücken!

Ich setze mich auf einen großen Stein und lasse mir Zeit für einen Rundblick. Nicht Erleichterung, vielleicht ist auch ein klein wenig Stolz dabei, aber vor allem Freude, daß die Tour so gut gelungen ist und nun sicht- und absehbar zu Ende geht, kommen schlagartig über mich. Ich hatte mit einem langsameren Übergang und Ausklingen gerechnet. Nun liegt der Endpunk, nicht das Ziel (!), vor Augen. Ich werden noch etwa 2,5 Stunden bis Skútustaðir brauchen. Nach dem Abstieg von der Höhe erreiche ich bald die ersten Weiden auf denen ein Dutzend Kühe die Bedeutung der Stunde ignorien. Am Rande des Lavaveldes zwei Vermesser die mir aus ihrem Jeep einen Gruß zuwinken. Ihr Vermessungsgerät, ein DGPS, steht oben auf dem Lavarücken. Sie wissen schon warum sie im Auto sitzen und die Fenster geschlossen halten. Die Zahl der Mücken ist hier fast unerträglich - es surrt und brummt um meinen Kopf und immer wieder muß ich eine unter der Sturmhaube hervorpuhlen oder aus den Augen wischen. "Gaaaaanz ruhig bleiben ..." Sich entnerven bringt gar nichts, macht es nur noch schlimmer! Mit Erreichen des Hofes Grænavatn bringt etwas Wind Linderung. Mach eine kleine, verspätete Mittagspause am Straßenrand, um den Tee nicht umsonst mitgeschleppt zu haben.

Um 13:00 Uhr erreiche ich die Ringstraße. Ein kurzer Jodler - hört eh niemand. Dann noch die 3,5 km die Teerstraße entlang nach Skútustaðir. Habe Rückenwind, also versammeln sich alle Mücken vor dem Gesicht! Entgegenkommende und nicht landeskundige Autofahrer werden sich wohl über meine Maskerade gewundert haben. Um 14:00 Uhr trudele ich an der Tankstelle und Raststätte von Skútudtaðir ein. In der Raststätte lehne ich meinen Rucksack an einen Tisch und gönne mir erstmal ein Leichtbier (Pripps). Eigentlich wollte ich die Zeit bis zur Abfahrt des Busses im Schwimmbad verbringen, aber dieses öffnet erst um 17:00 Uhr. Gehe also zurück ins "veitingahús" und bestelle mir eine Pizza mit Shrimps und so. Sah ja auch phantastisch aus, aber die Isländer haben das Pizzamachen wohl von den Amerikanern gelernt und irgendwo auf dem weiten Weg vom Mutterland Italien aus muß das Geheimnis des Geschmacks verloren gegangen sein. Nach zweieinhalb Wochen Hochland und gefiergetrocknetem Tütenfutter habe ich genug Hunger auf mal etwas anderes um die Pampe hinunterzuwürgen. Noch zwei Dosen Pripps zum Hinunterspülen. Viele Isländer und Touristen machen hier Halt, tanken, kehren kurz ein, trinken einen Kaffee oder kaufen Postkarten. Immer wieder fallen ganze Busladungen ein. Ich habe genug Zeit das Treiben zu beobachten. Vom Münztelephon aus erreiche ich Lene in Dæli und kündige mein Kommen für heute Abend an.

Der Bus kommt pünktlich um 16:30 Uhr. Es ist genug Platz, so daß ich mich in möglichst großer Entfernung von meinen Mitreisenden setzen kann. Vor drei Wochen bin ich diese Strecke, am Goðafoss vorbei nach Akureyri, mit meinen Südtirolern gefahren. Es kommt wie vor als sei es schon viel länger her. Am Busbahnhof in Akureyri hole ich mein meinen vom Snæfell vorausgeschickten Materialsack mit der Grödeln und dem Eispickel ab. Ich habe nichts zu bezahlen Ist alles schon erledigt, erfahre ich von dem Mädchen am Schalter. Philip von Tanni Travel wollte nicht den selben Preis für den Transport von Snæfell nach Egilstaðir, wie für die Gegenrichtung nehmen als er den kleinen Sack sah. Aber ich hatte schon bezahlt und sagte, daß es so in Ordnung sei, also hat er sich auf eben diese Weise revanchiert. Kaufe mein Busticket nach Dalvík und rufe Annie in zuhause in München an. Sie erzählt mir etwas von Hochsommer und Temeraturen von weit über 30°C. Kurz vor der Abfahrt treffe ich die Israelin von der Snæfellshütte wieder. Sie will mit dem Hochlandbus über den Kjölur fahren und fragt wo man dort vielleicht etwas wandern könnte. Leider reicht die Zeit nicht mehr für den Sack voller Tips den ich bereit hätte, denn draußen wartet schon der Kleinbus nach Dalvík und Ólafsfjörður.

Die Fahrt am Fjord entlang ist vertraut wie jeh und kaum steige ich in Dalvík aus kommt schon Óskar mit dem alten Volvo um die Ecke gekurvt. Nein, Lene hat ihm nicht Bescheid geben können, denn er war den ganzen Nachmittag in Dalvík, aber er wußte, daß ich vorhatte heute zu kommen und da hätte er halt mal an der Bushaltstelle vorbeigeschaut.

Auf der Fahrt in Svarfaðardalur besuchen wir noch kurz unseren Freund Thomas in der Húsabakki-Schule. Anfang August ist der schweizer Lehrer nach Island übergesiedelt. Ankunft auf dem Hof Dæli. Lene fragt nicht lange und stellt den großen Milchtopf auf den Tisch. Sie weiß schon was ich brauche, "Velkommin heima!" Später kommt auch Maria, die Doktorandin der jetzt nach Innsbruck umgezogenen "Arbeitsgruppe Island" und nimmt mich den kurzen Weg nach Möðruvellir, dem umgebauten Schafstall, mit. Bis zu meinem Rückflug am Samstag werde ich hier Gast sein, aber die Abende werden wir in Dæli verbringen. Es gibt viel zu erzählen. "And where will you go next?" fragt Óskar "... Hornstrandir?" Weiß ich nicht, im Moment will ich eigentlich nirgendwo anders sein als hier, an diesem Küchentisch sitzen, mitten in den lärmenden Kinder, der leichte Stallgeruch, der von den Overalls aus dem Vorraum hereindringt, und literweise frische, isländische Milch trinken.


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