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13. Tag; Kaldakvísl - Versalir

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Copyright © Dieter Graser

Mittwoch, 7. August 1996


Erst um 6:20 Uhr aufgewacht. Der Piepsen des Weckers ging offensichtlich im Bachgemurmel unter. Die Erkältung macht sich nur noch durch schlechten Schlaf bemerkbar. Nun zum Wetter: Wind aus SE wie gestern, 8/8 Stratus Cum., ziemlich niedrig. Ein grauer Deckel über dem Hochland. Die Regenwahrscheinlichkeit für die nächste Stunde nehme ich günstigstensfalls mit 50 % an. Langsames Frühstück. Habe heute 22 km auf der Sprengisandurpiste vor mir - also etwa 6 Stunden mit kurzen Päuschen.

Um 8:45 Uhr bin ich wieder "On the road again ...". Die Piste ist sehr gut, die Isländer donnern hier locker mit 80 km/h und mehr durch. Allerdings empfiehlt sich erhöhte Wachsamkeit, denn es gibt durchaus Stellen die das nicht vertragen! Interessant, was für Schrauben und Bolzen man so zwischen den Steinen findet, manche haben sicher auch wichtige Teile zusammengehalten. Auspufftöpfe dekorieren in regelmäßigen Abständen den Pistenrand. Meine anfängliche Sorge "bleibt es trocken?" wir recht schnell durch die Frage "wird der Wind noch stärker?" abgelöst. Die ersten Kilometer schützte mich noch ein Höhenzug, aber dann kommt der Wind ungehindert aus Osten vom Vatnajökull heran über dem sich eine Föhnmauer mit dazugehöriger Föhnlücke aufgebaut hat. Zumindest bleibt es dadurch in meiner Gegend einstweilen trocken. Der Wind kommt also von rechts, mal mehr von vorn, mal mehr von hinten. Ich habe die Kapuze übergezogen und gehe mit Schräglage gegen den Wind, der mich in Böen bis in die Straßenmitte versetzt, ohne daß ich mich groß dagegen wehren könnte. Die Skistöcke sind wieder sehr hilfreich, um das Gleichgewicht zu halten. Ich hoffe, daß jedes Fahrzeug, das sich von hinten nähert, sich durch Hupen bemerkbar macht. Es ist noch früh am Tag und Verkehr von Süden ist noch selten und von Norden ist erst am Nachmittag was zu erwarten. Vorgestern war ein Sturm, da ging gar nichts mehr. Heute geht es so gerade noch, manchmal sogar recht gut, aber es ist anstrengend und kostet viel Kraft.

Eine Brücke führt über die Schlucht des schäumenden Kaldakvísls. Die Landschaft ändert sich. Immer noch Kieswüste, aber nur noch flach gewellt und mit großen, sandgestrahlten Findlingen überstreut. Nach Osten Blick zum Vatnajökull, nach Westen zu den Kerlingerfjöll und zum Hofsjökull, dem ich mich immer mehr nähere. Direkt voraus, in weiter Ferne, der Tungnafell mit seinem kleinen Plateaugletscher. In 2 Tagen will ich ihn erreichen. Auffallend viele Schneefelder dort, mehr als vor zwei Jahren scheint mir und das obwohl es dieses Jahr so wenig Schnee gegeben haben soll. Pause nahe der Straße auf einem Stein. Der Hochlandbus kommt vorbei, hupt zur Bergrüßung und alle winken. Ich mache hier eigentlich kein Schaulaufen, aber es ist doch ganz nett. Weiter gegen Monotonie und Wind. Das Gehen ist automatisiert, die Psyche hat Freigang und wandert auf eigenen Wegen. Irgendein von der Evolution noch nicht verschüttetes Basisprogramm übernimmt den Intellekt und registriert aufmerksam alle alle Veränderungen von Wetter und Natur. Kürze eine weite Schleife der Piste ab. Mir entgeht dadurch die Begegnung mit einem einsamen Radler, der auf kleinem Ritzel gegen den Wind hadert.

Die Mittagspause ist weniger exponiert. Diesesmal sitze ich nicht auf einem Stein, sondern auf dem Boden im Lee eines solchen. Wieder macht die Piste einen weiten Bogen und ich kürze auf dessen Sehne ab, das erspart mir sicher mehr als einen Kilometer. Ich sitze im Zentrum hinter meinem Stein und der heiße Tee wärmt mich wieder auf. Mit dem GPS die Position kontrolliert. Beim Querfeldeingehen fallen mir die schönen Landkartenflechten auf den Findlingen auf. Erstaunlich, daß sie sich totz der der Abrasion durch Sandkörner halten können.

Drei schwerbeladene Geländemotorräder überholen mich. Ein seltsamer Anblick, wie sie beim geradeaus Fahren mit aberwitziger Schräglage den Seitenwind ausgleichen müssen. Gegen 14:00 Uhr kommen die flachen, barackenähnlichen Gebäude von Versalir, Raststätte, Tankstelle, Kaffee und Hotel in einem, in Sicht. Neben der von Hrauneyrar, die einzige Station dieser Art im Sprengisandurgebiet. Die Signaturen für Raststätte und Tankstelle sind auf der 1:250.000er so unglücklich plaziert, daß ich Versalir weiter ab von meiner Route vermutet hätte. Meine Route, eine Nebenstrecke über die Stauseen an der Þjórsá, verläßt hier die (alte) F28 Sprengisandsvegur, die von hier ab weiter östlich nach Nýidalur führt (Anmerkung: Seit 1998 führt die F28 offensichtlich auch über diese westliche Route und zweigt erst später nach Osten auf zum alten Straßenverlauf ab!). Zuerst bleibe ich standhaft und ziehe westlich an Verslair vorbei. Zu meinem Tageziel sind es nur noch 4 km, es ist erst 14:00 Uhr und es sind nur etwa 1.5 km dort hinüber - allerdings gegen den Wind. Ich werde weich. Aber was soll´s ich habe Zeit, also Einkehrschwung, denn bis zur nächtsten "Jausenstation" sind es noch 8 Tagesmärsche.
(Anmerkung: das Hochlandzentrum von Versalir ist seit 2002 nicht mer in Betrieb!)

Gegen den Wind ist es verdammt hart, aber ich bin ja voll motiviert und kralle mich in Doppelstocktechnik Richtung Westen. Total verschwitzt komme ich in Versalir an. Im Vorraum hänge ich erst mal meine Klamotten zum Lüften auf und stelle mein Stiefel ab. Bin fast der einzige Gast. Drei stabile und nette Mädels betreuen die "Hütte". Es gibt Egil´s Pilsner - das zischt! Dann Kaffee mit Schokoladenkuchen - zweimal Nachfassen beim Kaffee. Ich sitze an der Heizung und schlafe dabei in der ungewohnten Wärme fast ein. Kleine Unterhaltung mit den Isländerinnen. Schreibe eine Karte als Lebenszeichen an Lene in Dæli und werfe sie ein. Interressante Karte an der Wand: sie zeigt die Projekte der isländischen Energiebehörde Órkustofn (Stand 1971) für den Ausbau der Wasserkraftwerke im südlichen und zentralen Sprengisandurgebiet. Gottseidank ist keines der 3 Stauziele verwirklicht worden. Im Maximalausbau hätten sie die ganze Þórsáver bis in den Moränenkranz des Múlajökull hinein überflutet, der dann zu einem Halbarchipel geworden wäre. Die jetzige Erschließung erfolgt über mehrere Stauseen östlich der Þjórsá, die durch einen Kanal miteinander verbunden sind. Aber der weitere Ausbau ist immer noch im Gang.

Nach etwa 2 Stunden gemütlicher Rast in der Hütte nun mit kräftigem Rückenwind erst wieder die Abkürzung zurück zur Þjórsápiste und zum Stausee Drattahólsvatn. Dort überholt mich gleich ein Riesentieflader der nur zwei überdimensionale Baggerschaufeln geladen hat. Wie meistens gehe ich ziemlich in der Mitte der Straße. Dem dünnen Hupton nach, vermute ich, hinter mir nähert sich nur ein alter Lada! Auf dem Erddamm des Stausees Begegung mit einer großen Reitergruppe von "Hestasport" mit vielen freien Pferden und manchen etwas unglücklich dreinblickenden Touristen. Der Führer hält kurz an und fragt mich "You are walking over the Sprengisandur?" Dem erstaunten Unterton nach kommt das wohl nicht oft vor. In einem kleinen flachen Tal unterhalb des Dammes suche ich nach einem Zeltplatz. Der Fluß selbst ist zwar durch den Damm trockengelegt aber allenthalben entspringen hier Quellen und somit ist für Wasser gesorgt. Nach etwa einer halben Stunde finde ich in einem Seitentälchen einen Platz der mir behagt. Vor dem Wind ist das Zelt durch eine etwa 3 m hohe Böschung geschützt. Der Boden ist flach und moosig und ein kleiner Bach führt klares Wasser. Das Zelt steht gut und zum Abendessen gibt es indonesischen Reistopf und zum Nachtisch Schokloade. Es ist gegen 22:00 Uhr und leichter Regen tröpfelt auf das Zelt.


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14. Tag: Versalir - Hámırar