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17. Tag; Nżidalur Fjóršungsvatn

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Copyright © Dieter Graser

Sonntag, 11. August 1996


Bin um 6:30 Uhr auf. Vom Vatnajökull her ist es föhnig. Ab 7:00 Uhr Sonne aber es geht ein kalter Wind. Es scheint die bisher kälteste Nacht gewesen zu sein. Werde mich langsam fertig machen und noch mal versuchen zu telephonieren.

Endlich hat es geklappt und ich habe mit Lene gesprochen. Verabschiede mich dann noch von der netten Wärterfamilie. Wie schaffen die das bloß? Zwei Erwachsene und ein 4jähriges Kind auf nicht einmal 6 m². Der Rucksack steht schon gepackt auf dem Zeltplatz und will heldenhaft geschultert werden. Er ist wieder mit der vollen Essensladung für anderthalb Wochen beladen! Abschied von Erwin und dann zwischen den Zelten durch zur Furt. Die Schuhe habe ich gleich gar nicht richtig gebunden, dann rein in die Latschen, Hosen hochkrempeln und durch den Bach. Die Furt ist breit und erfrischend. Am Zeltplatz steht eine Reihe von Zuschauern und blickt herüber - war ja auch richtig machomäßig, mein Aufbruch. Schnell über die nächste Kuppe und ich bin wieder alleine und gröle "... on the road again..."! Der Ruhetag hat dem Körper sicher gut getan, aber irgendwie war ich total von der Rolle. Es gab einfach keine Ruhe in Nýidalur und jede Reisegruppe war noch hektischer und hatte es noch wichtiger als die andere. Jetzt ist alles wieder so wie ich es mag. Es ist halb zehn Uhr morgens, ein weißblauer Himmel und ein kühlender Wind der mich freundlicherweise von hinten anschiebt. Die Laune könnte nicht besser sein. Nach einer guten Stunde bin ich an der Furt von Tómasarhagi. Waren ja auch nur 5 Kilometer. Dieses Fußbad ist etwas turbulenter und trüber als das erste - eine schöner Gruß vom Tungnafellskökull herab.

Weiter geht“s. Die Strecke bis zum Fjórðungsvatn kenne ich schon von vor zwei Jahren. An der Furt gab es das letzte karge Grün. Nun nur noch zu einem Steinpflaster ausgewehte Grundmoränen. Große sandgestrahlte Basaltblöcke. Tröllabrauð, das "Trollbrot", durch Frostsprengung in Scheiben zerlegte Steine. Und immer wieder dunkelgrauer Sand. Die Piste ist schlecht und bevor man eines der wenigen Fahrzeuge selbst sieht, kündigt es sich schon durch eine Staubfahne an. Vor einer Begegnung verlasse ich die Piste freiwillige um einige Meter zur Luvseite hin. Die Wolken im Süden verdichten sich, dafür baut sich über dem Túngnafell, der nun hinter mir liegt, eine Föhnlage mit zwei schönen Wellen auf. Noch habe ich mit dem Blick nach Norden das bessere Wetter vor mir. Mittagspause auf dem großen Stein, auf dem ich schon auf einer früheren Tour gesessen bin. Hraðfiskur, Tee und Müsliriegel. Diesesmal lehrt mich die Stelle an der man die Straße auf die nächsten 4-5 Kilometer überblicken kann nicht mehr das Fürchten. Inzwischen weiß ich, daß man in der Ebene selten mehr als eine Wegstunde voraus blicken kann und lasse mich nicht demoralisieren. Lektionen im Wüstenwandern. Es läuft sich gut. Die Wolkenschatten werden immer größer und der Rückenwind wird stärker. Es sind nur wenige Autos unterwegs. Ein Isländer glaubt sich auf der "Paris - Dakar" und fährt auf der Piste schneller als es selbst auf der geteerten Ringstraße erlaubt wäre. Pathetisch der Gruß eines deutschen Allradwohnmobilisten - fürchterlich, die müssen in ihrem Auto sogar auch noch schlafen! Originell, ein kleiner, verdeckloser Uraltunimog, mit OAL- Nummer und zwei Mountainbikes auf der winzigen Ladefläche. Die haben wenigstens Spaß, die Jungs!

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(69 KB)Sprengisandurpiste

Philosophiere wieder mal über die Allrad-Manie. Diese Leute kommen nicht wegen der Natur hierher nach Island, die kommen zum Autofahren! Möglichst viel Schotter, weil es den daheim nicht mehr gibt. Die Anschaffung muß sich schließlich auch gelohnt haben. Aber was der Sprengisandur eigentlich ist, davon bekommen sie doch kaum etwas mit, da kann man doch gleich Video gucken. Die Dimenson der Wüsten ist nicht die Distanz, sondern die Zeit!

Gegen 15:00 Uhr ereiche ich das Südende des Fjórðungsvatn, der sich sichelförmig um den Nordwestteil der Fjórðungsalda, der "Viertelhöhe", legt. Hat man diesen Berg erreicht, hat man auf seinem Weg nur noch ein Viertel vor oder erst ein Viertel des Sprengisandurs hinter sich - je nach dem. Es ist nun ganz bedeckt und es bläst nach wie vor ein kräftiger Südwind. Schon aus größerer Entfernung habe ich im Westen, auf einer flachen Kuppe, die große Steinwarte ausgemacht, die mir schon vor zwei Jahren aufgefallen ist. Von dieser Warte aus möchte ich den alten Sprengisandvegur verfolgen. Laut Karte ist er mit einer Wartenreihe markiert und muß hier irgendwo die Piste kreuzen. Die große Warte liegt etwa einen Kilometer südwestlich der Abzweigung der Piste nach Laugafell. Auf dem Wegweiser steht "Bárðardalur 75 km". Diesesmal biege ich nicht ab, sondern bleibe auf dem Sprengisandurpiste - zumindest für ein paar hundert Meter. Linker Hand der Straße ein unscheinbarer Steinhaufen. Na also - die Ruine einer "normalen" Warte. Ich halte Ausschau und sehe rechts, zum See hin, den nächsten Steinhaufen, nur gerade mal zwei Lagen hoch. Den herumliegenden Steinen nach muß auch diese Warte früher einmal höher gewesen sein. Die Position dieser ersten Warte östlich der Piste markiere ich im GPS mit "V001". Nach der Karte verlief der alte Weg am NW-Ufer des Sees entlang, also verlasse ich nun die Piste. Sobald die nähere Umgebung genug lose Steine und Felsbrocken aufweist findet sich auch die Ruine einer Warte. Warum sind die Warten hier alle verfallen? Sie wurden erst vor hundert Jahren errichtet. Gab es hier ein Erdbeben, oder ist der Boden hier in der Nähe des Sees so wassergesättigt daß er unter Frosteinfluß zu sehr arbeitet? Diese Warten hier findet man nur wenn man genau weiß nach was man sucht. Schade, wenn ich da an die "Kunstwerke" auf den alten Kjalvegur denke.

Es ist später Nachmittag, der Himmel im Süden sieht schon recht verregnet aus und es wird Zeit einen Platz für das Zelt zu suchen. Wasser gäbe es zwar am See, aber dieser hat schon Schaumkronen und am flachen, sandigen Ufer ist das Sediment sicher schlammig aufgewühlt. Der Fjórðungsvatn macht, da es an seinem Ufer gibt es keine Vegetation gibt, einen etwas trostlosen Eindruck. Nur Kies und Sand. Kein geschützter Platz weit und breit, aber das wußte ich schon vorher und deshalb war mir der See auch nicht besonders sympatisch. Auf einer sandigen Fläche baue ich, begleitet von den ersten Tropfen, das Zelt auf. Exakt nach Süden ausgerichtet und die Heringe alle noch mit herangeschleppten Steinen beschwert. Etwa 200 m weiter westlich entspringen 3, 4 kleine Quellen deren Abfluß auch schon nach wenigen Zehnermetern wieder versickert. Zumindest gibt es hier gutes Wasser. Finde in der Nähe der Quellen, erkennbar an den Steinringen, noch zwei alte Zeltstellen!

Im Zelt dann zur Regenmusik gedöst, Position genommen und in die 1:100.000er Karte eingetragen. GPS Batterien sind immer noch halbvoll. Abendessen Kartoffeleintopf mit Rindfleisch. Wie jedes Jahr braucht er ca. 50% mehr Wasserzugabe als angegeben. Umpf! Das war wieder mächtig. Etwas Schokolade und ein Kaffeechen zum Abschluß, denn was man aufgefressen hat muß man nicht mehr auf dem Buckel schleppen. An den Aufzeichnungen. Um 20:00 Uhr Abspülen und ein Gang nach draußen. Erkundungsgang zur nächsten Wartenruine. Etwa 10 Meter neben dieser eine weitere Warte anderer Bauart: 6 - 7 Steine auf einem großen Basisblock. Schöner Blick nach Osten zu dem flachen Kegel der Trölladyngja. Der Wind hat etwas nachgelassen und die Wolken sind wieder strukturiert. Ab und zu rumpelt ein Wagen über die noch nahe Piste. Es ist 20:30 Uhr in ich bin schon im Schlafsack, der Husten plagt immer noch. Trotz allem: ich bin 2 km weiter gekommen als geplant. Zu meinem morgigen Tagesziel sind es nur noch 16 km und falls es der Untergrund erlaubt und ich gut vorankomme, könnte ich es auch bis zur Kiðagil schaffen. Wie im Lied "... riðum, riðum yfir sandinn ..." Das wären dann aber 24 km in weglosem Gelände!


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18. Tag: Fjóršungsvatn - Kišagil