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Das Wetter am Morgen bedeckt und trocken. Der Sveinstindur verhüllt sich in Wolken. Packe zusammen und
breche auf als die Útivistar langsam ihr Frühstück angehen. Es ist 9:00 Uhr. Im Rucksack habe ich
nun zusätzlich den Proviant für acht Tage, plus für zwei Tage Reserve und den Rest der noch übrig
ist: "helvitið þungt" - höllisch schwer. Zur Skælingar Hütte sind es grob geschätzt 13 Kilometer.
Eigentlich nicht weit, aber ich weiß auch nicht wie der Weg genau verläuft und welche
Überraschungen er bietet. Es gibt keine Beschreibung. In der Karte ist er nicht eingezeichnet und
wenn ich es mir genau überlege habe ich Jósef auch nicht explizit danach gefragt. Hätte ich besser
tun sollen. Beide Hütten liegen am Ufer der Skaftá und 2 bis 3 Mal pro Woche trampelt eine Horde
Isländer unter ortskundiger Führung den Weg aus, also mache ich mir vorerst keine Gedanken.
Hvanngil
Schluchteingang
In der Jötnagil
Der Nebel, der die Szenerie in der Schlucht noch eindrücklicher gemacht hat, stört mich jetzt wirklich.
Die Spuren sind nun sehr schlecht zu finden und Wegmarkierungen gibt es hier keine. Die drei Spuren die
ich entdecke führen mich wieder in ein Tälchen der gleichen Art, wie das in den ich zum Schluß
aufgestiegen bin. Was ich in diesem Moment nicht weiß: ich befinde mich obersten Teil eines baumartig
verzweigten Schluchtsystems, dessen Ausdehnung ich nicht übersehen kann. Die perfekte Reusenfalle.
Vom Paß aus bleibt man am
besten erst auf gleicher Höhe und umgeht das Schluchtsystem auf seiner Westseite. Ich aber laufe
in die Falle und stoße nach wenigen hundert Metern auf eine niedere, aber enge Felsenpforte, durch
die ich gerade mal durchpasse. Der Beginn eines neuen Schluchtabenteuers? Nun, ich gehe weiter, immer den
Spuren nach, bergab. Nebel und Nieselregen direkt von vorn. Erst weitet sich das Tälchen wieder, dann
schließt es sich zu einer blockigen Schlucht. Nach weiteren hundert Meter ist Schluß. Vor mir geht
es 10 - 20 Meter senkrecht hinunter und ich kann zum erstenmal das tief eingeschnittene
Schluchtsystem, wenigstens teilweise, überschauen. Hier bin ich definitiv auf dem falschen Weg!
Ich klettere zurück bis ich wieder auf die Spuren treffe. Haben sich meine Vorgänger hier auch
verfranzt? Nach rechts führt ein Schafsteig aus dem etwa 10 Meter tiefen Tälchen heraus.
Der Nebel hat sich soweit gelichtet, daß ich mir nun einen Überblick verschaffen kann. Bergab,
nach Süden, komme ich nicht weiter, ich bin aber auch schon zu tief um nach Westen queren zu
können, ohne
möglicherweise auf eine weitere tief eingeschnittene Schlucht zu stoßen. Nach Osten ist das Gelände
günstiger. Hier sind nur zwei flache Talmulden zu queren und dann bietet sich eine sanft
geneigter Rücken dazu an zur Skaftá abzusteigen. Die Hütte liegt aber in Richtung SSW. Die
Schluchten östlich zu umgehen ist zwar weiter, aber sicherer. Zuerst einmal muß ich sogar nach Nordosten
aufsteigen um die beiden Täler an Stellen zu queren, an denen sie noch "junge" Mulden und noch nicht
durch die Erosion v-förmig eingeschnitten sind. An einem auffälligen Felsblock auf dem breiten Rücken
nehme ich eine GPS Position. Ab jetzt ist es ein Kinderspiel. Wieder treffe ich auf Spuren von drei
Wanderen die auch hier abstiegen. Waren das meine Vorgänger, die mich vorhin in die Irre geleitet
haben? Weit drüben, westlich der Schluchten, sehe ich die Útivistar absteigen. Schließlich
erreiche ich die Skaftá genau an der Mündung des Schluchtsystems das ich umgangen
habe. Der Bach, der aus den Schluchten kommt, hat jetzt im Juli eine erstaunlich geringe Wasserführung
und man möchte ihm diese Erosionsleistung gar nicht zutrauen.
Es ist 16:00 Uhr und ungewöhnlich spät für eine "13-Kilometer-Etappe". Bis zur Skælingar Hütte
sind es immer noch knapp 5 Kilometer. Also weiter, einfach am Rand der Skaftálava entlang auf
Schafpfaden
oder in den buckligen, üppigen Wiesen am flachen Talhang. Es ist schon nach 17:00 Uhr, als ich
schließlich an der Hütte eintreffe. Die Útivistar, eine Stunde nach mir aufgebrochen, sind auch
schon da. Baue mein Zelt zwischen den schönen Lavaformationen am Bach auf und nehme ein Bad in einem
verlockend tiefen Gumpen. Nicht direkt eiskalt, aber doch sehr erfrischend. Danach feiere ich eine
Spaghettiorgie. Anschließend die Aufzeichnungen teilweise nachgeholt und darüber eingeschlafen.
Gegen 20:00 Uhr einen starken Kaffee gekocht und die Útivistar in der Hütte besucht. Es ist wieder
einmal "Hüttenabend. Dazu kommt noch das eine oder andere Schnapserl. Viel gesungen - gehört eben
dazu.
Ich habe eine gute Stunde Vorsprung vor der Gruppe. Sie werden mit leichtem Tagesrucksack gehen, also
werden sie wohl langsam aufschließen. Zuerst den schon bekannten Weg bis zum Pegelhäuschen und dann
auf einem breit und deutlich ausgelatschen Pfad am flachen Hang über der Skaftá. An der Stelle
wo der Fluß einen deutlichen Knick nach rechts macht lohnt es sich direkt an das im Basalt
eingegrabene Flußbett zu gehen und sich die eindrucksvollen Stromschnellen zu betrachten.
Ein erster Aufstieg führt dann auf eine weite, kiesige Hochfläche. Hier sind die Wegspuren
undeutlich und ein
paar Markierungspflöcke wären hier hilfreich. Ich folge den Spuren auf der Hochfläche
bis zum Sporn über dem Zusammentreffen zweier Schluchten bei der Hvanngil. Von hier hat man einen
schönen Blick auf die Schluchten und den Uxatindar, sofern dieser sich nicht in den Wolken
versteckt. Bei guten Wetter, mit klarer Sicht, hat man auf dem Weg von der Sveinstindurhütte immer
den steilen und markanten Uxatindar vor Augen und wandert dem Westufer der Skaftá folgend,
auf diesen zu. Schon von weitem ist vor dem Uxartindar deutlich ein steiler Schafpfad zu
erkennen, der die moosigen Talflanken zur Skaftá hin diagonal quert. Man darf sich nicht täuschen
lassen. Dies ist nicht der Weg zur Skælingar Hütte. Nach Auskünften gibt es keinen Weg an der
Ost- (Skaftá-) Seite des Uxartindar!
Von dem Spron steigt man auf einer nun gut erkennbaren Pfadspur steil auf den von etlichen
Wasserarmen durchzogenen, breiten
Schluchtboden ab. Drei dieser Wasserläufe furte ich. Von rechts kommt eine weitere eindrucksvolle
Schlucht. Nachdem der Ausgang des Schluchtsystems durch die vernehmlich rauschende Skaftá
verlegt ist, gilt es steil aufzusteigen, aber nur um kurz darauf wieder ebenso steil in die nächste
breite Schlucht, oder besser: in einen steilwandigen Talkessel, abzusteigen. Den
Weitlick auf den seltsamen Pfad auf der Ostseite des Uxatindar noch im Hinterkopf bin ich erstaunt,
daß sich die Fußspuren nicht nach links wenden um den Uxatindar östlich zu umgehen, sondern nach
Westen in den auffallenden Talkessel, in dessen Zentrum ein kegelförmiger Hügel steht. Hinter dem
Hügel folgt ein flacher, trüber See, den man am rechten Ufer umgeht. Immer noch im
kieserfüllten Talboden schreitet man durch eine Engstelle die von zwei aberwitzig verwitterten
Lavatürmen bewacht wird. Spätestens hier fühlt man sich vollends in Tolkiens Welten versetzt und
ich frage mich, wo mich die Spuren, denen ich folge, wohl hinführen werden. Die Spuren meiner
Vorgänger sind frisch und eindeutig und das bestätigt mich ihnen weiter zu folgen.
Das Tal wird immer enger, links verlieren sich die steilen, schrofigen Flanken zum Uxartindar
hinauf im Nebel und lassen ihn noch steiler und höher erscheinen, als er eh schon ist. Die Grate
sind messerscharf und erinnern mich lebhaft an die Höfats in den Allgäuer Bergen.
War schon die "Pforte" zum dahinterliegenden Tal beeindruckend, nun verengt sich dieses zu einer
engen Schlucht von einzigartiger Wildheit. Erst hat sie noch alpinen Charakter, dann treten die
Wände der Schlucht auf wenige Meter zusammen. Man geht mal links, mal rechts, oder auch im Bach
selbst. Eine mühsame Kletterei, bei der man stets den nächsten sicheren Tritt sucht. Schaut man aber
nach oben, so bleibt einem die Luft weg. Das zerfressene Tuffgestein bildet wilde Höhlen,
Überhänge, Grate, Türme, Hörner und Bögen die allen Gesetzen der Schwerkraft zu spotten scheinen.
Immer wieder bleibe
ich stehen und betracht die sich alle zehn Meter ändernde Szenerie. Einen solchen Weg habe ich in
Island noch nicht gesehen. An einer Stelle, an der von rechts eine weitere Schlucht einmündet weitet
sich die Schlucht etwas und man hat einen guten und sicheren Rastplatz. Ich nehme seine Position
mit dem GPS (Wegpunkt PLATZ). Weiter den Spuren folgend und im Zweifelsfalle die linke Schlucht
wählen. An einer weiteren Schluchteinmündung hat jemand dankenswerterweise eine kleine Warte
aufgeschichtet. Nach zwei Kilometern "Schluchting" und stetem Aufstieg, weiten sich die Schluchtwände
wieder und flachen ab. Immer noch geht es einem Tälchen folgend weiter bergauf bis zum höchsten
Punkt, einem Paß auf etwa 750m ü. NN, einen guten Kilometer südwestlich des Gipfels des
Uxatindars.
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