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Ausblick
Morgen
Die Felle brauche ich jetzt nicht mehr, die heftigen Steigungen sollten vorerst hinter mir
liegen. Die Nacht war klar und die Oberfläche der Schneedecke ist gefroren, so daß ich mit den Ski nicht
einsinke. Endlich ist die Pulka nicht mehr Schleppanker sondern sie gleitet auf ihren Kufen leise
zischend hinter mir her. Eine deutliche Erleichterung, auch wenn es immer noch stetig, leicht
bergauf geht. Halte meinen von GPS und Kompass vorgegebenen Kurs mithilfe des Sonnenstandes.
Die Skispitzen müssen auf den Schatten der rechten Schulter zielen. Vor mir ist nur eine weiße Horizontlinie
die mir anzeigt, daß es auch noch weiter bergauf gehen wird. Links, langsam zurückbleibend die
eindrucksvollen Gipfel des Kálfadalur und seine Majestät der Hvannadalshnúkur. Schräg vor mir
die langen Gratzüge der von Eis umgebenen Esjufjöll. Auf den Karten sehen sie immer so klein und handsam
aus und vom Jökulsárlón aus erscheinen sie perspektischisch stark verkürzt. Tatsächlich sind sie eindrucksvolle
Bergketten.
Pulka
Die kräftige Sonne hat im
Laufe des Vormittags die Harschschicht aufgeweicht und ich beginne immer häufiger mit den Ski einzubrechen.
Trotzdem läuft die Pulka noch gut. Am Südrand des Vatnajökull quellen weiße Wolkentürme empor und vereinen
sich zu einer vielzinnigen Mauer. Über dem Gletscher kann sich keine Konvektion entwickeln und der
Himmel bleibt wolkenfrei. Ich höre über Stunden nur das rythmische Vorstoßen der Ski und das gleichmäßige,
grummelnde Fauchen der Pulka. Die ersten paar mal erschreckt mich ein Phänomen, das ich bisher nur
aus Beschreibungen von Grönland kannte: bei Belastung durch den Ski bricht und setzt sich die
Harschschicht großflächig, aber optisch nicht wahrnehmbar. Man vernimmt nur ein zischendes Seufzen welches
sich rings um einen ausbreitet. Das verblüffende ist dabei, daß sich das Geräusch erst entfernen und dann
von einer andern Seite wieder nähern kann. Sehr eigenartig und immer wieder ein wenig bedrohlich.
Rast
Žverártindsegg
Um 16:00 Uhr lasse ich es für heute gut sein. Ich präpariere mir ein feste Schneefläche in den sanft
geneigten Hang und stelle mein Zelt auf. Bescheidene 15 erreichte Kilometer stehen geplanten 20 gegenüber.
Aber immerhin deutlich mehr, als die beiden ersten Tage. Das Wetter ist noch immer ein Traum, auch
wenn von der Küste her Wolken und gegen Abdend auch Nebelbänke über den Breišamerkurjökull zu den
Esjufjöll heraufziehen. Gestartet bin ich am Morgen mit der Jacke. Gegen Mittag zwang mich der frische
Wind für eine Stunde in den Anorak und am Nachmittag war ich im Skirolli unterwegs. Am Abend herrscht
Windstille. Trotzdem ich den ganzen Tag die Gletscherbrille aufhatte brennen mir die Augen. Die Brille
ist altmodisch groß, schließt nach allen Seiten dicht ab und läßt somit eigentlich kein
Streulicht durch. Habe ich sie zum Photographieren vielleicht länger abgenommen?
Sogar jetzt um 21:30 Uhr ist es mir im Zelt mit Gletscherbrille angenehmer als ohne. Werde versuchen
zeitig zu schlafen. Den Wecker habe ich eine Stunde früher gestellt um den am Vormittag härteren Schnee
besser nutzen zu können.
Der Wecker hat es nicht leicht mich wach zu kriegen. Erst ein Blick aus dem Zelt schafft das. Meine
Hoffnung wird bestätigt: Traumwetter! Endlich hat sich der angekündigte Wetterumschwung durchgesetzt.
Der Wind von gestern Abend der auch noch während der Nacht am Zelt rüttelte, hat sich gelegt. Vor
meiner Zelttür steht das ganze Panorama nun klar und ohne sich laufend verschiebende Wolkenkulissen.
Zum ersten mal überhaupt erblicke ich auch den Gipfel des Hvannadalshnúkur. Jedes mal, wenn ich
auf einer Reise hier in Südisland war, hat er sich hinter Wolken versteckt.
Schnell gefrühstückt und gepackt. Ich will los. Das Wetterfenster hat sich geöffnet. Jetzt habe ich meine
Chance. Ich stehe am Rand des Riesenplateaus und der Vatna zieht den Vorhang auf und lädt mich ein.
Ist das nur ein kurze Phase oder wird es wie vorhergesagt einige Tage andauern? Das ist im Moment
gleichgültig, es gilt immer den Tag zu nützen, oder Geduld beweisen und abzuwarten.
Das neue Zelt abzubauen dauert länger als ich es von meinem alten Hogan gewohnt war. Zwölf Abspannleinen
wollen sauber aufgeschossen werden und 22 Schneeheringe sollen das Zelt bei voller Abspannung und bei
widrigen Verhältnissen am schneeigen Boden halten.
Langsam wird es flacher.Die Skispitzen zielen jetz auf den Schatten des linken Ellenbogen. Halb rechts
schieben sich zum ersten mal die Kverkfjöll über den Schneehorizont. Bin überrascht mein Ziel, das ich
wohl erst in einer Woche, wenn überhaupt, erreichen werde schon jetzt zu Gesicht bekomme. Aber ich werde
sie auch nicht direkt ansteuern sondern erst nach Westen zu den Grímsvötn gehen. Auf jeden Fall ist es
ein Indiz, daß ich einen Scheitelpunkt des Vatnajökull ereicht habe.
Irgendwie habe ich meinen Rythmus noch nicht gefunden und muß häufig Verschnaufpausen einlegen. Ist
es der zunehmend weicher werdende Schnee, der stetige leichte Anstieg, zu wenig Kondition oder ganz
einfach das als das "Phänomen des dritten Tages" bekannte Formtief? Wenigstens komme ich so dazu in
Ruhe und eingehend das sich langsam änderne Panorama in mich aufzunehmen.
Am Nachmittag beginnt es leicht bergab zu gehen. Vor mir breitet sich das weite Gletschertal der
Noršlingalęgš aus. Ich steuere auf diese riesige, flache Einmuldung zu, in der sich das Eis des nordöstlichen
Teilstrom des Breišarmerkurjökulls sammmelt, der dann schließlich spektakulär in der bekannten
Gletscherlagune des Jökulsárlón endet. Trotz des oft schlechten Schnees kommen die Ski nun bei fast jedem
Schritt in Gleiten. Na bitte, so kenn ich das doch! Ich halte mich etwas nördlicher als meine Kurslinie um
nicht zu tief in das Tal zu kommen und zu viel Höhenmeter dranzugeben, die ich später unweigerlich wieder
aufsteigen muß. Hier im Randgebiet des Gletscherstromes stoße ich zum ersten mal auf verfüllte Spalten.
Ein Zeichen wachsam zu sein. Hätte ich jetzt den Schnee von heute Morgen, könnte ich jetzt bequem abfahren!
So oder so verliere ich jetzt wertvolle Höhenmeter. Eine optische Täuschung läßt mich glauben,
daß ich bald einen ziemlich steilen Anstieg auf der gegeüberliegenden Seite der Depression erreichen
werde. Erst viel später, unter nun geänderten Lichtverhältnissen, erkenne ich, daß dies der etwa 5 km breite
Talboden der Einmuldung selbst ist - der Gegenhang liegt erst dahinter.