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Bin schon vor dem Wecker wach. Das Wetter sieht entgegen meinen abendlichen Befürchtungen ganz gut aus.
Ein paar Wolkenfetzen segeln über den Himmel, aber es ist sonnig und am Zelt ist kein nenneswerter
Wind zu spüren. In der Nacht muß es leicht gefroren haben, denn der Schnee ist hart. Bevor
ich mich in die Pulka einspanne, winke ich zu den Schweizern hinauf die vor die Hütte getreten
sind. Heute Abend werden wir uns an der Siguršarskáli wiedertreffen.
Kverkfjöll Gipfel
Langafönn
Der Schnee ist griffig und ich kreuze in flottem Tempo über den kilometerbreiten Hang. Es macht richtig
Spaß und hinter mir hüpft auch die Pulka vor Freude! Weiter unten wird der Hang etwas flacher und ich
kann es wagen die Wenden zu "fahren". Auf dem letzten Schenkel der Abfahrt geht es flach zur
westlichen Seitenmoräne des Kverkjökull. Ich versuche noch einmal einen imaginären
Geschwindigkeitsrekord zu brechen.
Kverkjökull
Ende
Wenige Meter von mir
entfernt stehen drei weiße Wohnmobile der verschiedenen Klassen. Ein Landrover mit Wohnaufbau, ein
umgebauter Unimog und schließlich ein MAN-Dreiachser, wie er größer auch bei der Bundeswehr nicht zum
Einsatz kommt. Entsprechende "Adventure-" und Werbeaufkleber der einschlägigen Ausrüster sind so
selbstverständlich wie das D-Schild. Drei Aliens der UFO-Besatzungen haben nicht auf freundlich gemeintes
Begrüßungsnicken reagiert. Hat sie mein Gepäck erschreckt? Fürchten sie, daß ich ein Anhalter bin? Nein, diese
Wesen müssen in einer Parallelwelt leben - keine wirkliche Kontaktaufnahme möglich.
Dann fahren vier der Schweizer Höhlenforscher mit ihrem Leihbus vor und winken mir zu. Ich kann nicht anders
und schreie mir die Freude, die schon die ganze Zeit wie ein Kloß in meinem Hals sitzt, heraus. Ich möchte meine
Freude mitteilen und vermute, daß sie mich am ehesten verstehen können. Als die Schweizer zu mir herüberkommen
kann ich ihnen weing Sinnvolles antworten und bin froh darum, daß mir die große Gletscherbrille die
Augen verdeckt. Ich bin so glücklich wie ich es nur sein kann!
Die Schweizer wollen noch die Eishöhle am Gletscherende begehen und auf der Rückfahrt meine Pulka und Ski
mit zur Siguršarskáli bringen. Ich packe meine Zeltausrüstung an den Rucksack und mache mich zu Fuß auf
die letzten
vier Kilometer zur Hütte. Dies ist der Ausklang den ich nun brauche. Ich kann mir nicht vorstellen nach
der Vatnaüberquerung dort mit einem Auto anzukommen. Ich freue mich schon darauf Lissi und Sirra, die
beiden sympathischen Hüttenwartinnen wiederzusehen. Das Furten des knietiefen Gletscherbaches macht Spaß
und erfrischt die Füße. Eine gute Stunde gehe ich vor mich hin, singe laut und falsch Rod Stewart's "Sailing",
wie immer, wenn ich einen sicheren Hafen ansteuere und gebe mir die Möglichkeit das Ende der Tour auf
meine Weise zu feiern. Ich kenne den Weg und weiß schon hinter welcher Biegung die Hütte auftauchen wird.
Zu meiner Überraschung begrüßt mich dort ein weißes, vielleicht einmonatiges Lämmchen. Mein Zelt baue ich
auf dem selben grünen Platz wie letztes Jahr auf.
Inzwischen sind auch meine Pulka und die Ski eingetroffen. Als ich alles eingerichtet habe ist ein Besuch in
Hütte fällig. Was soll ich sagen? Die Begrüßung durch Lissi und Sirra ist nicht weniger herzlich als der
Abschied im letzten Sommer. Ich werde geherzt und gedrückt und gleich zu einer Tasse Kaffee Im Büro eingeladen.
An welchem Ort hätte ich so eine Tour besser beenden können, als an diesem? Es ist der freundlichste
Empfang, den ich mir wünschen konnte.
Am Abend bin ich dann bei den Schweizern zum Fondue eingeladen. Als Aperitiv bekomme ich eine Dose Leichtbier
in die Hand gedrückt, dann werden zwei Tische zu einer großen Tafel zusammengerückt, die Rechauds vorbereitet,
Brot wird aufgeschnitten und schließlich kommen die duftenden Käsetöpfe aus der Küche und ein Festmahl
Asterix'schen Ausmaßes nimmt seinen Lauf. Der glückliche Ausgang der Höhlenabenteuer wird gefeiert.
Es werden sogar Rufe sogar "Le bâton, le bâton!" laut, wenn einer sein Brotstückchen in der Käsemasse
verliert. Fehlt eigentlich nur noch der an einen Baum gefesselte Barde. Meine Pulka birgt noch
zwei Packungen "Mousse au Chocolat" die ich zum Nachtisch beisteuern kann. Gegen Mitternacht fallen mir
die Augen zu und ich verabschiede mich in Richtung Schlafsack.
Zunächst geht es an einen Aufstieg den ich nach einem ersten Versuch mit Ski besser zu Fuß fortsetze.
Der Schnee ist hart genug und ich habe keine Lust die Felle aufzuziehen. Nach einer halben Stunde Arbeit
erreiche ich den höchsten Punkt der westlichen Kverkfjöll. Die Aussicht nach Norden wird durch eine
dichte Wolkendecke versperrt die mit ihrer Oberkante bis knapp unter meinen Standpunkt reicht.
Ich mache noch ein paar Bilder und mache mich dann für die Abfahrt fertig. Vom letzten Jahr her
kenne ich die Route. Also erst schräg hinüner zu dem Grat mit den Heißen Quellen. Oberhalb dieser bleiben
und dann in den riesigen Schneehang der Langafönn queren. Aber schon nach wenigen Metern tauche ich in
dicken Nebel ein.
Mit Pulka und Ski bin ich natürlich nicht auf der ausgetretenen Spur unterwegs, die teilweise auch über
schneefreien Fels führt, sonder ein gutes Stück oberhalb - so vermute ich jedenfalls. Zu sehen ist ja
nichts. Ziehe gleich das GPS zu Rate und bin froh, daß ich vor einem Jahr einige Wegpunkte
aufgenommen habe. Mit etwa 20 Metern Sicht fahre ich in einen steiler werdenden Hang ein. Um nicht
zu schnell zu werden erlaubt mir die Pulka nur eine flache Schrägfahrt. Ehe ich mich versehe
bin ich schon sehr viel weiter in Schneefelder der Langafönn gekommen als ich geschätzt hätte. Für
einen Moment zweifele ich sogar die Angaben des GPS an. Ich erinnere
mich an einen Hang der oben noch flach ist, dann aber steiler wird und auf eine Wächte mit einem
Steilabbruch führt. Das GPS sagt mir, daß ich schon weit an der gefährlichen Stelle vorbei sein muß,
aber ich habe die Stelle nicht gesehen und so habe ich ein ungutes Gefühl als ich zum ersten
mal in Schrägfahrt auf Gegenkurs gehe. Meine Geschwindigkeit kann ich nur über das Gefälle meiner
langen Traversen regulieren. Die Pulka zeigt keinerlei Tendenzen seitlich abzurutschen.
Das einzige Problem sind die Wenden. Zum mit Rucksack und Pulka Kurven zu fahren ist mir der Hang
zu steil, also steige ich einfach mit weit gegrätschten Ski hangwärts um die Pula herum die dann unter mir
hängt und gehörig zieht. "Kuhhalse" würden die Segler so was nennen. Endlich komme ich unter die
Wolkenbasis und die Sicht wird frei. Sofort kann ich mich auch durch Augenschein orientieren und
erkenne daß ich noch ziemlich weit im oberen Teil der Langafönn befinde.
In zwei Fuhren trage ich Ski, Pulka und Rucksach über den schmalen Moränenwall. Genau wie letztes Jahr ist
der Rand des Kverkjökull noch schneebedeckt, dann folgt aperes Gletschereis. Gérald und einer seiner
Freunde kommen mir im Aufstieg entgegen. Sie wollen sich oben bei den Hverir mit den drei anderen treffen
um zu versuchen in einer Eishöhle zurückgelassenes Material zu bergen. Wir verabreden uns für heute Abend an
der Hütte. Mit dem Abstieg über den Kverkjökull beginnt der schwierige Teil des Tages. Ich schnalle die Ski
auf die Pulka und lege die Grödel an. Das Eis ist grobkörnig, spröde und von schwarzem Lavasand durchsetzt.
Die Pulka wird durch den Sand gebremst und hat auf der rauhen Oberfläche genug Seitenführung um nicht
seitlich auszubrechen. Einige Spalten sind zu umgehen und ein paar hohe Stufen an verheilten Rissen
zwingen mich die Ski von der Pulka an den Rucksack umzupacken. Entgegen meinen Befürchtungen schiebt die
Pulka an den steilen Abschnitten des Gletschers nicht allzusehr und ich habe sie gut unter Kontrolle. Unten
am Gletscherende kann ich schon die Piste zur "Eishöhle" erkennen. Einige große Geländewagen kriechen
auf ihr von der Siguršarskáli heran. Behutsam setze ich Schritt für Schritt die Zacken der Grödel in das
knirschende Eis.
Der Wechsel über die Mittelmoräne vom westlichen zum östlichen Teil des Gletschers und schließlich die breite
und schwierig zu begehende Endmoräne erfordern weitere "Portagen". Zweimal mache ich den Weg über gröbe Blöcke
und rutschiges Geröll der steilen Hügel aus Möränenschutt zum "Parkplatz Eishöhle". Vor allem mit der
schweren Pulka auf der Schulter ein hartes Stück Arbeit zum Abschluß. Ich wuchte mein Material zu einem
Steinhaufen auf dem Parkplatz, der wohl so etwas wie ein Warte darstellen soll und setze mich erschöpft
auf meine Pulka. Versuche wieder zu Atem zu kommen. Zwischen meinen Stiefeln sprießt etwas dünnes Gras - nur
ein paar Halme. Ich habe es geschafft. Ich bin auf der Nordseite des Vatnajökull angekommen. Erst einmal brauche
ich nur Luft und etwas zu trinken. Ich habe heißen Tee und jede Menge Müsliriegel im Rucksack.