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In der Nacht hatte es kurz aufgehört zu regnen - nur noch Nebelnieseln war zu hören. Um 6:00 Uhr
wieder Regen. Stelle grunzend den Wecker ab und schlafe weiter. Frühstück um halb neun. Heute mal wieder
das "Frühstücksphänomen": während ich mein Müsli kaue hört der Regen auf! Unter der Isomatte ist alles naß
- Kondensfeuchtigkeit. Mühsames Abbauen des Zeltes. Der Boden quitscht vor Nässe.
Ötzi?
Mit der Sonne kommt der
Wind, der nun kalt vom Vatnajökull herunter weht. Brauche nun Anorak und Handschuhe. Die Schmelzwasserbäche
werden häufiger. Alle 50 Meter ein größerer und alle paar Schritte ein kleinerer Bach. Ich habe eher das
Gefühl über einen auftauenden Fluß, als über einen Gletscher zu wandern. Nun haben die Bäche auch
immer häufiger Schneeränder - das sind die ganz heimtückischen! Dieser Schnee ist wassergesättigt und
man kann hervorragend in ihm "versumpfen". Das Auge kann nicht zwischen "Sumpf" und "Fest" unterscheiden.
Immer wieder muß mit den Stöcken sondiert werden. Schließlich gibt es dann noch Bäche die ganz mit
Schnee bedeckt sind. Man erkennt sie als weißes Band in schmutzigen Eis und hört sie dumpf gurgeln - sehr
vertrauenserweckend! Ich diesen Schneebändern entlang und suche nach ihrer schmalsten
Stelle. Hier ist der unsichtbare Bach am tiefsten aber die Randzonen am trockensten und stabilsten.
Also sondieren, vortasten, die Schneekruste über dem frei fließenden Wasser trägt ganz sicher nicht. Also
einen weiten Schritt auf die gegenüberliegende (hoffentlich) fest Randzone und - Ufff - endlich wieder
auf festem Eis. Vatnajökull - Wassergletscher.
... beinahe
Es ist jetzt 17:00 Uhr. Ich beschließe noch eine Stunde zu gehen. Die Möglichkeiten ein Zelt
aufzustellen sind eher bescheiden. Aus einiger Entfernung erscheint die Oberfläche des Gletschers eben
zu sein, tatsächlich ist sie aber rauh und bucklig wie eine Elephantenhaut. Endlich wird die Oberfläche
etwas ebener und es gibt mehr Schnee auf dem Eis. Aber dieser hat eine neue Gemeinheit auf Lager. Bei jeden
fünften bis zehnten Schritt breche ich mit einem Fuß durch eine dünne Eiskruste und stehe mit dem
Stiefel halb im drunterfließenden Schmelzwasser.
Eisschraube
Zeltplatz
Abend
Aufbruch um 10:00 Uhr. Stolpere durch die Moränenblöcke hinunter zum Schneekragen des Gletschers.
Setze mich auf einem Felsblock am Schneerand und mache mich gletscherfein. Grödel an, Brille auf,
Lippen eingeschmiert, Pickel "entsichert" und griffbereit an den Hüftgurt und dann los.
Schräg nach rechts hinauf, bis ich den Schneekragen hinter mir habe und die
Grödel in körniges, schmutziges Eis knirschen. Die Eisoberfläche ist frei von Steinen. Immer wieder
kleine Schmelzwasserbäche, die sich ins Eis eingegraben haben aber keine Spalten. Das Wetter bessert sich.
Die Sicht auf die Kverkfjöll ist frei und ich brauche jetzt die nächsten zwei Tage eigentlich nur gerade
auf sie zuhalten. Das Eis ist bucklig und anstrengend zu gehen wie eine Žúfur-Heide.
Entdecke einen Knochen auf dem Eis. Schaf, Rentier, Pferd oder Touri? Von der Größe her doch eher von
einem Schaf. Aber wie kommt der Knochen hier her?
Mehr und mehr Umwege werden nötig. Immer wieder versackt ein Stiefel im Schneesumpf. Unvorsichtig trete ich
einmal, ohne vorher zu sondieren, von Eis auf Schnee und breche ein. Lasse mich reflexartig nach hinten
fallen und komme auf dem Eisrand zu liegen. Wer weiß wie tief sich der Bach eingegraben hat? Schließlich
ein Bach über den ich kein Übergang finde. Auf der Suche nach einer möglichst schmalen Stelle gehe
weiter bachaufwärts. Der Rinne des Baches ist nur einen etwa 1,5 Meter tief und die konvexen Ränder
liegen etwa 2-3 Meter auseinander. Das Wasser schießt in einem halbreisförmigen, vollkommen glatten Eiskanal,
der perfekt einer Bobbahn, oder einer Wasserrutsche in einem Erlebnisbad gleicht, in leichten Schwingungen
geltscherabwärts. An der engsten Stelle, die ich finden kann, glaube ich hinüberspringen zu können -
aber nur ohne Rucksack! Also, was bleibt mir anderes übrig, als diesen hinüber zu werfen? Ich
setze eine Eisschraube, hänge den Rucksack zur Sicherung an eine Reepschnur und schleudere die 30 kg
so gut es eben geht hinüber - fast nicht gut genug - fast nicht weit genug! Der Rucksack hängt
beängstigend schräg an der gegenüberliegenden Eiskannte und es sieht so aus als könnte er jeden Moment
in den Bach rutschen. Hektisch versuche ich die Eisschraube wieder herauszudrehen, habe aber vergessen den
Karabiner, in dem die Reepschnur eingeängt ist, vorher auszuklinken und wickle die Reepschnur dabei zu
einem gordischen Knoten auf. Irgendwie kriege ich ihn frei, schnappe meine Phototasche und springe
mit kurzen Anlauf, die Reepschnur fest in der Hand, in einem weiten Satz über den Bach. Dank der Grödel
kann ich mich
darauf verlassen, daß ich nicht abrutschen werde. Halbliegend neben meinem Rucksack und die Reepschnur
nun kurzgefaßt mache ich ein Bild von dessen Lage. Das bin ich ihm schuldig. So behandelt man nicht
einen "Greg"!
Um 18:15 Uhr habe ich genug. Ich komme an einem trockenen und ebenen Platz vorbei und kann diesem
Angebot nicht widerstehen. Eine wenige Zentimeter dünne, körnige Schneeauflage gleicht die Unebenheiten
aus. Ich rolle
das Zelt aus und bohre mit der Eisschraube Löcher für die Sandheringe, die den gleichen Durchmesser wie die
Schraube haben. Die scharfen Zähne der Eisschraube fressen sich wie in Butter in das Eis. Mit der großen
Kurbel geht das spielend leicht. Ich stecke die Sandheringe in die Löcher, lege die Abspannleinen um sie
und trete sie noch mit dem Siefelabsatz fest. Durch den leichten Zug der Abspannleinen verkeilen sich
die Heringe in den Bohrlöchern und erfüllen somit ihre Aufgabe. Wenn ich die Löcher etwa in einem
Winkel von 80° zur Zugrichtung bohre halten die Heringe am besten. Während der Vorbereitungen zu dieser
Tour habe ich die Frage "Wie bekommt man Zeltheringe in Gletschereis?" in der Newsgroup
de.rec.alpinismus gestellt und nach "einschlägigen"
Erfahrungen gefragt. Entsprechend neugierig war ich auf den Praxistest.
Mein Zelt steht in der Sonne und ich lasse den Schlafsack auslüften. Zwei, drei Mal höre ich von Westen ein
eigenartiges Donnern - was war denn das? Finde aber andere Erklärung als ein Abbrechen von Eis am
Gletscherrand. Abendessen und an den Aufzeichnungen.
Gehe gegen 22 Uhr noch einmal hinaus und kontrolliere die Heringe. Zwei haben sich gelockert und ich
bohre schnell neue
Löcher - man muß eben lernen. Mache noch ein paar Aufnahmen des Zeltes im flacher Abendsonne und genieße
die ungeheuere Ruhe und Exponiertheit. Der Himmel ist leicht bewölkt und es weht ein nur leichter
Südwestwind.
Durch die vielen Umwege, welche mir die Schmelzwasserbäche aufgezwungen haben bin ich heute nur 13 km
vorangekommen. Wenn es so weitergeht, dann werde ich drei, anstatt wie gehofft zwei Tage für die Überquerung
des Brúarjökull brauchen. Aber ich habe Reservetage eingeplant und habe noch Futter genug. Im Schlafsack
ist es angenem warm wie immer und nur wenn ich die Hand auf den Zeltboden neben der Thermarest Matte lege
fühle ich, daß ich auf einem Gletscher zelte.
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