2. Tag, Hrafnsfjörður - Bolungavík

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Dieter Graser © 2014

Montag, 5. Juli 2010


Hatte den Wecker auf 6:00 Uhr gestellt. Das Zelt ist ruhig: keine Regen! Ein Blick nach draußen: die Woken sind höher gestiegen. Über den Bláfell wälzt sich eine föhnig überformte Wolkenschicht und löst sich im Herabfallen auf. Wenn ich heute bis in die Bolungavík kommen möchte, dann darf ich frühestens am Spätnachmittag an die Steilklippen der Bolungavíkurófæra ankommen, denn nur bei Ebbe und wenig Brandung ist der schmale Küstenstreifen unter der Klippe gangbar. Es macht also wenig Sinn zu früh aufzubrechen. Frühstücke erst mal und ziehe mich wieder in den Schlafsack zurück. Gegen 8:00 Uhr trifft ein Sonnenstrahl das Zelt. Wie bitte? Ein Sonnenstrahl? Schon nach anderthalb Tagen habe ich geglaubt, so etwas gibt es hier gar nicht. Werde ganz gemütlich zusammenpacken und dann losgehen.

Skorará
Aufbruch gegen 10:00 Uhr. Erst noch ein paar hundert Meter den Fjord entlang, dann dem Bach folgend aufwärts in das Skorardalur. Von weitem kann ich die Gestalten der beiden gestrigen Besucher erkennen, die hier irgendwo gezeltet haben müssen. Sie überqueren gerade die bogenförmige Holzbrücke, die den Gletscherbach überspannt. Als ich selbst an der Brücke ankomme mache ich einen Fotostopp. Dann wird es steiler. Der Weg ist breit und wurde früher offensichtlich auch unterhalten. Den See Skorarvatn, auf der Passhöhe, umgeht man auf seiner Südseite. Einige Steinwarten und Holzpfähle markieren den Weg. Östlich des Sees folgt der Weg nicht mehr den dicht gesetzten Steinwarten, somdern verläuft weiter südlich. Wundere mich darüber, aber der Weg ermöglicht ein zügigeres Vorankommen - so zügig, dass ich, ehe ich mich versehen habe, meine beiden "Vorgänger" eingeholt habe - sie sind wohl den Warten gefolgt. In einem kurzen Gespräch kommt heraus, dass sie Belgier sind und ich erinnere mich, dass ich Flämisch schon öfters nicht richtig einordnen konnte.

Gemeinsam schlagen wir uns zur Nordseite des breiten und sumpfigen Tales durch. Seit Beginn des Abstieges zum Furufjörður herrscht Nebelnieseln. Erst habe ich es ignoriert, aber langsam und stetig wird es immer stärker. Die Regenklamotten über zu ziehen ist es schon zu spät. Jacke und Hose sind außen schon gut feucht. Im Talgrund wachsen hohes Gras und Birkengebüsch - alles ist tropfnass. Im Hochland habe ich al die Jahre nie Gamaschen gebraucht, hier im hohen Gras vermisse ich sie. Einige Bäche müssen auf Steinen überwunden werden. Das klappt nicht immer so hunertprozentig ohne dabei mit den Stiefeln Wasser zu schöpfen. Ist eh schon egal! Die hüfthohen und dicht stehenden Engelwurzstauden auf dem letzten Kilometer zur alten Kirche geben den Rest. Ich bin pitschnass und bei jedem Schritt saugt und quietscht das Wasser in den Schuhen. Etwas südlich der Kirche steht eine große, neue "Luxushütte". Privat und wohlverschlossen. Während ich sie von außen inspiziere sind die beiden Belgier grußlos nach Süden Richtung Reykjafjörður weitergetiegert. Na denn - jeder nach seiner Art.

Nässe
Um Richtung Norden zur Bolungavík zu kommen, bin ich zu früh dran. Ich muss noch bis zum Abdend auf die Ebbe warten. Allerdings bin ich "saichnass" und kann hier nicht 6 Stunden in der Landschaft rumstehen. Also mache ich mich auf den Weg zu einer Rettungshütte im Nordteil der Bucht. Etwas vorher finde ich der Ruine eines alten Torfhofes ein annehmbares Plätzchen für das Zelt. Wasser gibt es logischerweise gleich nebenan - kein Hof ohne Bach! Eine Zeltapsis - das Tarra hat ja deren zwei - wird zur Nasszelle erklärt und nimmt alle nassen Kleidungsstücke auf. Im Schlafsack (trocken und warm) eine Tasse heißen Tees und dazu ein Müsliriegel gefuttert. Eine Position mit dem SPOT abgesetzt und einfach eine Runden geschlafen.

Als ich wieder zu mir komme ist es 17:00 Uhr und der Regen hat aufgehört. Der Nebel ist von "aufliegend" auf etwa 50 - 100 Meter über Grund gestiegen. Auf der anderen Talseite scheint es sich sogar ein wenig aufzuhellen - sicher ein Hirngespinnst. Die nasse Wanderhose wird durch eine 3/4-lange Unterhose und Radlershorts ersetzt, darüber dann die, da unbenutzt, noch trockene Regenhose. In die nassen Bergschuhe ziehe ich die Neoprensocken an. Eigentlich sind sie für den Einsatz in Gletscherflüssen vorgesehen und so dürften sie in meinen Bergschuhen ja in ihrem Element sein. Um 17:45 Uhr gehe ich dann los.

In der nahen Rettungshütte gibt es kein Hüttenbuch in das man sich eintragen könnte und so mache ich mich weiter auf den Weg entlang des trandes des Furufjörður. Die Pfadspur ist gut erkennbar und bleibt wo möglich, oberhalb des Geröllstrandes. Der ist Strand auch hier durchsetzt mit Treibholz, Fischereiplastik und dicken, braunen Algenblättern. Die Bæjardalsá läßt sich nicht überlisten. Ich erwäge kurz einfach mit den Schuhen durch zu latschen und sie hinterher aus zu leeren, aber ich bringe es nicht über das Herz. Solange man sich bewegt halten die Neoprensocken (auch feucht, nass) die Füße einigermaßen warm und es quietscht auch nicht ganz so eklig. Irgendwann ignoriert man auch das.

Bolungavíkurófæra
Gegen 20:00 Uhr habe ich das Haupthindernis, die Bolungavíkurófæra erreicht. Die Flanken des Berges links von mir verschwinden steil und felsig im Nebel. Lieber nicht nachdenken, was da alles von oben runterkommern könnte. Der nicht mehr erkennbare Weg über den schmalen Geröllstreifen zwischen Steilhang und Brandung ist oft völlig mit dicken, braunen Tang bedeckt. Das Zeug stinkt, ist weich und widerlich glitschig. Immer wieder müssen große Blöcke (schönen Gruß vom Berg!) umkletter werden. Nach einem torartigen Durschschlupf zwischen zwei solcher Riesenblöcke muss man einen Felssporn umrunden, dessen Fuß gerade noch von den Wellen umspielt wird. Ich beobachte, wieviel Zeit mir zwischen zwei Wellen bleibt und wie ich wohl am besten die fünf Meter um die hervorspringende Kante herum schaffe. Der Versuch zeigt, dass es geht, ohne dass der Wasserstand in den Stiefeln merklich gestiegen wäre. Weiter über große Blöcke, grobes Geröll und Algenmatsche den Strand entlang. Es ist mühsam, anstrengend und langsam.

Drangur
Schließlich umrunde ich das Kap Drangsnes und der Weg wird einfacher. Als Belohnung der Blick auf die freistehende, schlanke Felssäule Drangur, etwa 20 Meter vor der Steilküste. Der steile Weg fordert hier kurz Aufmerksamkeit, dann geht es aber auf vollkommen durchnässten Pfaden der ersten Hütte von Bolungarvík entgegen. Diese scheint bewohnt, also weiter. Vor der nächste, größeren Hütte steht ein Duzend Paar Trekkingstöcke und ein Grillfeuer ist angefacht. Deutlicher kann man nicht sichtbar machen, dass hier Isländer am Werke sind. Ich wärme mir gerade am Feuer die klammen Finger, als der Grillmeister kommt um die Glut zu begutachten. Ich frage ihn, ob man hier wohl zelten könne? Er ruft etwas in die Hütte hinein und eine junge Frau begleitet mich zu einem leidlich trockenen Platz etwa hundert Meter nördlich der Hütte. Richte mich ein und koche mir was Warmes. Bin zu müde um richtig Hunger zu haben und schaffe den "Elchtopf" nur mit Mühe. Setze um 22:30 Uhr eine Position ab und ziehe den Reißverschluss des Schlafsacks zu.


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