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Aus lichtem Sommersonnenschein, in welchem wir
Reykjavík verließen, in Njarđvík unser erstes Zeltlager
aufschlugen und weiter am zweiten Tage über Kirkjuvogur
ritten, waren wir, sowie wir in das Gebiet der
Solfataren am Kap Reykjanes gelangten, wie in einen
Nebelsack geraten. Die ganzen Tage sahen wir am Kap, wo
unser Lager war, unter einem grauweißen Himmel außer
Lava und ein wenig Gras nichts als Dampf, Nebel und
Regen.
Der Ozean muß herrlich dort sein, wir konnten
ihn nur ahnen, als wir zur Mitternachtsstunde in der
sonderbar diffusen Beleuchtung seine majestätischen
Wogen in rasender Wucht an den Strandwall riesiger
Blöcke unterhalb der wilden Palagonitklippen, brausend
branden hörten.
Aber Farben konnten wir sehen an den Solfataren
von Reykjanes! Das zersetzte Gestein und mineralische
Niederschläge bilden mit ihren verschiedenartigsten
Tönen wundervolle Muster, wie jene verblichener alter
Seidenbrokate. Die tiefsten, wärmsten und die zartesten
duftigsten Töne vereinigen sich in natürlichster
Harmonie; Carmin, Preußisch Blau, Schieferfarben,
Gelbrot, Zinnober, alle Ockertöne, Lichtgelb des Schwefels
und helles Blaugrau der kochenden Schlammpfuhle
schaffen mit wenig kurzem Gras und smaragdgrünem
Moos, der einzigen Vegetation, aus dieser Einöde ein
Paradies für das Auge.
Ewiges Sausen und Zischen des freiwerdenden
Dampfes, des gurgelnd kochenden Tons schließen das
Ohr für alle von fernher dringenden Laute.
Behagliche Wärme des Bodens läßt einen fast
vergessen, daß man dicht eingehüllt ist in die
nebelartigen Dampfwolken.
Viele Stunden habe ich inmitten dieser geschäftigen
Naturwerkstatt gesessen, ohne den Schwefeldampf als
besonders lästig zu empfinden. Es ist mir rätselhaft,
wie man das "Hölle" nennen kann, wo das Auge sich
entzückt an den wunderbaren Farben, die keines
Künstlers Pinsel den Schönheiten des ewigen Schöpfers
nachzubilden fähig ist.
Als wir uns nach zwei Tagen schwer trennten von
diesem hochinteressanten Gebiet, bedurfte es nur eines
zweistündigen Rittes, um uns wieder aus dem Bereiche
der ewigen Nebelschwaden zu bringen. Lachend im
Sonnenschein, lag, mit grün bewachsener Lava und
schönen Weidestrecken die Landschaft Grindavík, flach
am tiefblauen Ozean entlanggestreckt vor uns.
Weiter führte uns der Ritt in malerische Gebirge,
auf dessen Hängen uns erneut Nebel umhüllten, die
wir aus dem Ozean ersteigen und in langen wallenden
Schleppen zwischen den Bergzügen hinaufkriechen
sahen. Als wir die Höhe erreicht, ritten wir über den
Nebeln weiter. Das wogenlos wallende Meer
überragten die höchsten Berge inselgleich, ihr dunkles
Gestein stach grell ab gegen die weißen Nebelschwaden,
die, ruhelos zwischen ihnen wandernd, immer neue
Ausblicke schufen.
Neun Stunden, nachdem wir Kap Reykjanes ver-
lassen, kamen wir nachts um l 1/2 Uhr bei der Farm
von Krísuvík an. Noch ehe wir zur Ruhe kamen,
ging die Sonne wieder auf.
In den prangendsten Farben schmückt sich der
isländische Himmel zur Zeit der Mitternachtssonne; wie
wenig Augen bewundern diese Pracht, die sich Nacht
um Nacht entfaltet, ohne nach Beifall zu heischen,
immer aufs neue erblüht — eine stumme Predigt. —
Ein heißer Tag glühte uns entgegen, als wir drei,
Herr Reck, Sigurđur und ich um 11 Uhr vormittags
über Wiesengrund den Solfataren von Krísuvík
zuwanderten.
Es ist zwar sehr sympathisch, daß man in Island
ein gänzlich plakatfreies Land findet, — „das Betreten
der Wiesen" ist überall gestattet, das Versinken in
Morästen und das Verirren in den Wüsten aber
dementsprechend auch. Hier nun war es weniger schwer,
richtig ans Ziel zu gelangen, da wir schon vom Zelt
aus die Solfataren hoch oben an der Berglehne dampfen
sahen. Im Gegensatz zu denen von Reykjanes, welche
fast alle in einer Ebene liegen, befinden sich diese
größtenteils auf recht abschüssigem Terrain.
Wir hatten die Entfernung vom Zelt zu den
Solfataren, der klaren Luft Islands nicht gedenkend,
bedeutend unterschätzt; das für „inzwischen mal"
verabredete Frühstück am Zelt entbehrten wir lieber als
daß wir den mühsamen Weg über die mehr als eine
Stunde breite Mýri noch zweimal extra gemacht hätten.
Mýri nennt der Isländer eine sehr feuchte Wiese,
bei welcher, aus einem oft mit stehendem Wasser oder
Morast erfüllten tiefer liegenden Niveau, Hügel dicht an
Hügel sich erhebt. Dieselben sind durchschnittlich
2—3 Fuß hoch und meist gleich Maulwurfshügeln
seitlich stark abfallend. Im glatten kurzen Gras, das sie
bedeckt, gleitet man leicht und da die kleinen Gräben
fast ohne Ausnahme jeden einzelnen abtrennen, gehört
ein tüchtiger Schritt dazu, um ohne auf- und
abzuklettern, auf den Spitzen sprungweise
vorwärtszukommen. Für den Zuschauer, der uns in Island
fast ausnahmslos fehlte, muß diese Art
Vorwärtsbewegung sehr vergnüglich sein, — man wird recht
warm dabei.
Dieser Mýri hatten wir es zu danken, daß wir
ohne das geringste zu essen oder zu trinken, — denn
—außer lauwarmen Solfatarenabflüssen fanden wir nichts
—volle zwölf Stunden in Sonnenhitze bergauf und bergab
kletterten.
Inzwischen wurde hier und da gerastet, alsdann
machte Herr Reck mit Sigurđurs Hülfe Vermessungen,
zeichnete Profile und machte seine wissenschaftlichen
Notizen, während ich skizzierte. Steine wurden auch
gesammelt und zum ersten Mal betätigte ich mich
hierbei erfolgreich, indem ich ein sehr schönes großes
Stück alter Lava mit Schrammen fand, das sich
jetzt im geologischen Museum zu Berlin befindet.
Bei unserem stundenlangen Umherstreifen lernten wir
die malerische Gegend gut kennen.
Der Gebirgszug, — Sveifluháls (spr. ßwehblühauls)
— an dessen Ostflanke die Solfataren von Krísuvík
hervortreten, besteht aus dem in Island sehr häufigen gelbbraunen
Palagonit, dessen malerische, oft ans Groteske streifende
Bergbildung weit abwechslungsreichere Landschaftsbilder
bietet, als die im Norden und Nordwesten der Insel
so stark vertretene Basaltformation, deren wagerechte
Lagerung an den tief eingeschnittenen Fjorden oft
meilenlang in ununterbrochener Eintönigkeit hervortritt.
Von einem hohen lavabedeckten Palagonithügel,
der mit kurzem Birkengestrüpp, Heidekraut und
silbergrauem Moos bezogen war, bot sich ein weiter Fern-
blick über die Ostseite des Sveifluháls. An seinem
Fuße zog sich ein langgestreckter ultramarinfarbener
See hin. In der sinkenden Sonne hoben sich die
wunderbar gezackten Bergschatten in tiefblauen Tönen
von dem grellgelben, beleuchteten Gestein ab. Tief
unten vom Wiesengelände am See erklangen die
melancholischen Rufe des Spói.*) Professor Heusler sagt,
daß die „eigentümliche Melodie seines Schlages, die in
ruhigen Tönen aufsteigt und mit einem Triller endigt
zu der isländischen Heidestimmung gehört".
In den „Eislandblüten" J. C. Poestions, einer
Sammlung neuisländischer Lyrik, findet sich folgendes
hübsche Gedicht:
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Der kleine Brachvogel.
Frühlingslied von Pal Olafsson.
Du Unrast in dem Vogelreiche,
Du fliegst und singst zu allen Stunden,
Wie sinnlos immer an die gleiche
Gesangesweise festgebunden.
Doch mag dein Lied auch gleich erschallen,
Klingt stets die gleiche Weise wieder,
Mir kann kein Vogelsang gefallen,
Als deine Laute, deine Lieder.
Und jedes Lied, wie jede Weise,
Es gilt — so ganz nach meinem Sinne —
Dem gleichen Hoffen, einem Preise,
Derselben Lust, derselben Minne.
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An die scheue Zutraulichkeit des Spói, mit der
er besonders den einsamen Wanderer begleitet, gewöhnt
man sich gern; er fliegt stundenlang vor und neben
einem her, hier und da von höheren Plätzen
ausschauend, wohin man sich wenden möge, dabei unaus-
gesetzt seinen langgezogenen Ruf ertönen lassend; man
entbehrt ihn auf wochenlangen Ritten durch die todes-
stillen Einöden Zentral-Islands und begrüßt erfreut den
kleinen Freund, wenn man in der Nordlandsheide
wieder seine Stimme hört.
Der Isländer sagt, es bringe Unglück einen Spói
zu schießen; wer die zutrauliche Harmlosigkeit der
Tierchen beobachtete, wird dies kaum als einen Aber-
glauben auffassen, sondern vielmehr hierin die mensch-
liche Gesinnung gegen Tiere anerkennen, von der
Richard Wagner erklärt, sie sei die der Selbsterhaltung
nächste und schönste Pflicht.
Der Isländer liebt auch sein Pferd außerordentlich,
er versorgt es stets aufs beste; nach anstrengenden,
tagelangen Ritten, wie wir sie fast durchweg aus-
führten, ist ihm das Wohlergehen der Pferde wichtiger
als eigene Ruhe, Essen und Trinken. Auch an mir
selbst mußte ich dauernd erfahren, daß die Pferde
bedeutend wichtiger waren als ich, hing doch in letzter
Linie unser aller Existenz mehr als einmal von der
Zähigkeit, Ausdauer und Kraft unser treuen Tiere ab.
Die Sage erzählt, daß in alter Zeit, als in der
Almannagjá noch das Thing Gericht sprach, ein Mann
wegen schweren Vergehens zur Todesstrafe verurteilt
wurde. Gewandtheit und sein schnelles Pferd ließen
ihn aus dem Kreise der Richter entkommen, aber viel
Volks war zugegen und schnell schwangen sich einige
Männer aufs Pferd, ihm, der einen guten Vorsprung
gewonnen, nachzujagen. Auf dem weglosen Terrain
sahen sie keine Spur, der sie folgen konnten, die
Entfernung ward größer, Hügel verdeckten ihn, — dort
vorn hielt einer und ließ sein Pferd trinken, in aller
Ruhe _ konnte das ein dem sicheren Tode entfliehender
Schuldiger sein? Nimmermehr! Die Verfolger wählten
eine andere Richtung und der Mann, denn es war jener,
den sie suchten, war gerettet. Gerettet, wenn es als
eine Rettung zu bezeichnen ist, zwanzig Jahre in den
Wüsten Islands als Ütilegumaöur (Geächteter, Professor
Maurer übersetzt Útilegumađur mit Draußenlieger)
vogelfrei weiterzuleben und auf diese Weise — wie es in alter
Zeit der Brauch war — seine Strafe abzubüßen.
Im Andenken an obige alte Mär zitiert der Isländer
oft: Sei nie in solcher Eile, daß du nicht deinem
Pferde einen Trunk gönnen könntest.
In mancher Dichtung wird auch der treue Gefährte
des Menschen auf langer mühevoller Reise, das islän-
dische Pferd, gefeiert.
Den folgenden Tag hatten wir nur fünf Stunden zu
reiten, was uns recht, willkommen war, denn da wir,
wie üblich, unser Mittagessen erst um 12 Uhr p. m.
eingenommen hatten, fiel die Nachtruhe nicht sehr
lang aus.
Unser Ritt führte uns noch einmal durch die
malerische Gegend, welche wir gestern auf unseren
Streifzügen so gut kennen gelernt hatten. Ein schroffer
Abstieg an der westlichen Seite des Sveifluháls brachte
uns auf sehr üble, mit tückischen Spalten durchsetzte
Lava, darauf über einen Hügelrücken und jetzt führte
Herr Reck nach der Karte und auf gutes Gelingen
südwärts durch die Bergwildnis weiter; — unser Führer
hatte diesen Teil der Halbinsel noch nie betreten. Um
9 Uhr abends erreichten wir wohlbehalten einen außer-
ordentlich hübschen Zeltplatz dem Keilir (spr. Kjehlir)
gegenüber am Fuße der Trölladyngja (spr. Tröddla-
dingja).
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*) Der kleine Brachvogel (Scolopax phaeopus L.), isländisch
Spói, ist eine Schnepfenart mit langem gebogenem Schnabel und
gilt bei den Isländern als Singvogel. (J. C. Poestion.)
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