12. Tag, Hveravellir - Þverbrekka

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Copyright © Dieter Graser

Montag, 11. August 1998


Nachts einige Regentropfen auf dem Zelt. Auch während des Frühstücks tröpfelt es noch ein wenig. Aufbruch von Hveravellir um 7:45 Uhr. Es ist bedeckt aber so warm, daß ich im Hemd gehe. Leichter SE-Wind. Ich folge der Kjölurpiste nach Osten bis zur Kreuzung mit dem alten Kjalvegur nördlich des Rjúpnafells. Ein Schild weist den alten Weg als Reitweg nach Gránanes aus. Erinnerungen an die Tour von 1996. Die Piste holt nun in einen ziemlichen weiten Bogen nach Norden aus bevor sie dann an der Blandá direkt nach Süden führt. In direkter Linie sind das 5 km in ESE, auf der Straße gut 2 km weiter. Recht frische Hufspuren in dieser Richtung sind das letzte Argument dafür die Abkürzung einzuschlagen. Das Herzstück des Kjölur zwischen Hveravellir und dem Hofsjökull ist eine 20 km breite Kieswüste. Der Boden ist ein flaches Steinpflaster das weichen Sand überdeckt. Bei jedem Schritt sinkt am ein paar Zentimeter ein. Endlich kann ich wieder einmal gehen ohne die ganze Zeit auf den Boden schauen und jeden Tritt abschätzen zu müssen. Bin ausgeruht, das Wetter ist ungewohnt mild und ich kann die Weite und Einsamkeit dieser Landschaft genießen. Südlich zweier kleiner Seen treffe ich wieder auf die Straße. Die Blanda fließt hier nur 100 m weiter östlich in einem kastenförmigen Tal mit etwa 10 m hohen Steilufern. Ich quere die Straße und stehe wieder einmal vor dem großen Schafzaun. An einem abgespannten Metallpfosten schaffe es hinüberzuklettern ohne mir Triangeln in die Hose zu reißen.

Kerlingargfjöll
Aber der Zaun ist nicht das eigentliche Hindernis, das ist die Blanda selbst. Zweimal habe ich sie früher schon auf dem alten Kjalvegur an der Blönduvað (Blandafurt), gut ein Dutzend Kilometer nördlich dieser Stelle, durchquert. Dennoch, die Wasserführung ist beeindruckend. Hier am Steilufer des Prallhanges komme ich nicht bis zum Wasser, aber etwas flußab beim Wechsel in eine Linksbiegung ist der Strom durch eine Kiesinsel geteilt. Wenn, dann müßte es dort gehen. Ich setze den Rucksack ab, ziehe die Stiefel aus und suche die zweite Sandale. Mist, die Sandalen waren außen am Rucksack befestigt und nun ist eine weg. Eigentlich kann ich sie nur am Zaun verloren haben, als ich den Rucksack hinüberhiefte. Also ohne Rucksack zurück zum Zaun und siehe da, ich finde sie dort tatsächlich wieder. Zurück zum Fluß und fertig machen zum Furten. Die Blanda ist hier ziemlich breit aber durch das milchig trübe Gletscherwasser kann man nicht erkennen wie tief sie ist. Die übliche Technik: Skistöcke verlängern zum Abstützen und Sondieren, dann immer leicht flußab waten und nicht in die Strömung schauen. Das Wasser ist nur gut knietief und die Strömung ist mäßig. Na bitte, ging doch hervorragend.

Es ist gerade mal 11:00 Uhr und ich habe die Blanda schon hier durchwaten können und nicht erst weiter südöstlich an ihren Oberlauf, wie ich bei der Planung anahm. Ich habe mir so 5-6 km Umweg gespart und kann nun gleich nach Osten zum nächsten Fluß, dem Eyfirðingakvísl queren. Die Mammutstrecke, die für heute auf dem Programm stand verkürzt sich dadurch weiter, obwohl mir die Furten nicht erspart bleiben werden. Aber nach der Erfahrung mit der Blanda bin ich optimistisch. Nur ist es schon ziemlich warm heute und ich bin froh um eine frische Brise die als Föhnlüftchen vom Hofsjökull herunterkommt. Hoffentlich produziert diese Wetterlage nicht allzuviel Schmelzwasser. Das scheint zumindest jetzt noch nicht der Fall zu sein, denn der Eyfirðingakvísl ("Bach der Leute vom Eyjafjörður") ist ausgetrocknet.

Rast
Anstatt auf Wasser stoße ich zu meiner Überraschung auf gelbe Holzpfähle, wie sie verwendet werden um Pisten im Hochland zu markieren und auf Jeepspuren! Also gibt es sie doch diese Piste auf dem Eyfirðingavegur. Auf der alten 1:250000er Karte war sie, wenn auch nur vage eingezeichnet, aber in der neuen Ausgabe und in der 1:100000er hat man sie weggelassen. Könnte mir vorstellen, daß die Markierungen erst ein gutes Stück außerhalb der Sichtweite der Kjölurpiste beginnen um keinen Verkehr "anzulocken" - gut so. Das Gehen in der Fahrspur ist natürlich deutlich angenehmer, da sie etwas fester ist als das weiche Steinpflaster. Meine Reisegeschwindigkeit steigt. Von Zeit zu Zeit nehme ich eine GPS-Position, um den Verlauf der Piste in die Karte übertragen zu können. Inzwischen ist die Sonne herausgekommen und es wird nun so richtig warm. Man soll ja nicht mäkeln, aber es ist schon fast zu warm. Nach dem Furten der Svartá ist mir die Wärme aber recht willkommen um die Beine wieder aufzutauen. Die Svartá ist zwar nicht so breit wie die Blanda dafür tiefer und reißender. Aber auch hier gibt es keine Probleme. Warum die Svartá aber entgegen allen Regeln "schwarzer Fluß" heißt, obwohl sie milchig trübes Gletscherwasser führt, bleibt mir immer noch ein Rätsel. Ansonsten sind isländische Ortsnamen eigentlich recht aussagekräftig. Die Svartá besitzt an der Furt ein etwa 1 km breites Hochwasserbett in dem nur noch eine zweite Rinne Wasser führt, welche nach etwas Suchen über ein paar Trittsteine überquert werden kann.

In nordöstlicher Richtung nähert sich die Piste dem Álftabrekkuhorn, einem Höhenzug der vom Hofsjökull aus in die Ebene des Kjölur vorstößt. Der Höhenzug ist eigentlich mein Tagesziel, aber es ist noch früh am Nachmittag und morgen werde ich sicher um jeden Kilometer dankbar sein den ich heute noch schaffen kann. In einiger Entfernung sehe ich eine alte Steinwarte. Die Piste verläuft jetzt in etwa auf dem alten Eyfirðingavegur, so wie er auf der alten Karte eingezeichnet ist. Aber was heißt hier Piste, in weiten Abständen ein Holzpfahl, an dem sich die gelbe Farbe noch ganz gut erhalten hat, und eine flache Doppelspur an der erkennbar ist, daß in letzter Zeit nur ein einziges Fahrzeug diesen Weg genommen hat. Neben dieser Reifenspur sind hin und wieder die Spuren von zwei Mountainbikes zu erkennen. Der wackeligen Spur nach war es für die beiden Radler gewiß nicht die ungetrübte Freude! Am Álftabrekkuhorn finden sich weitere von dichten, grauen Flechten überzogene Warten, die sicher aus dem Präautombilikum stammen. Überhaupt scheinen die Warten auf dem Eyfirðingavegur keine Weg- sondern Rastplatzmarkierungen zu sein, denn sie finden sich nur an günstigen Stellen mit Wasser und etwas Weidemöglichkeit für die Pferde.

Der Herjólfslækur ist wie an seinem Unterlauf auch hier ein idyllischer Bach mit üppigem "Begleitgrün". Der klare Bach ist zwar nicht breit dafür tief und so kommen die Füße erneut zu einer verdienten Erfrischung. Es ist erst 15:20 Uhr und ich muß der Versuchung widerstehen schon hier einen Lagerplatz zu suchen. Ein bisserl geht schon noch und ich verspreche mir, daß es der nächste schöne Platz an einer Bachoase dann sein soll. Und der findet sich gerade mal einen Kilometer weiter! Seltsam, dieser Bach ist gar nicht in der Karte verzeichnet, dabei führt er mindestens soviel Wasser wie der Herjólfslækur. Er ist etwa 5 m breit, wadeltief, und mäandriert durch ein flaches Tälchen mit buckligen Þúfur und leuchtend grünen Moosbänken am Ufer. Es lohnt sich nicht mehr nach dem Furten die Bergschuhe wieder anzuziehen. Ich stelle den Rucksack ab und muß ziemlich lange suchen bis eine flache und trockene Stelle finde. Auf einem Hügel in der Nähe steht eine Steinwarte. Um 16:30 habe ich das Zelt aufgebaut, hole mir wie immer erst mal Wasser aus dem klaren Bach und lege mich dann zu einem kurzen Schläfchen ab.

Eyfirðingavegur
Der Zelteingang steht weit offen und die Nachmittagssonne heizt das Zelt auf. Kaum ein Lüftchen regt sich und dringt durch das Moskitonetz welches wohlweislich geschlossen bleibt. Ohne Hemd und Hose liege ich auf dem Schlafsack. Jetzt erst spüre ich meine Knochen. Nach einer Stunde werde ich langsam wieder wach und versuche herauszufinden, wo ich mich eigentlich befinde. Das GPS bestätigt, daß ich zwischen Herjólfslækur und Neðriþverkvísl bin. Ich übertrage die unterwegs genommenen Wegpunkte vom GPS in die Karte schreibe ein wenig an den Aufzeichnungen und raffe mich dann zu einem kleinem Spaziergang in die nähere Umgebung auf. Dann Abendessen und Fortsetzung der Aufzeichnungen. 20:45 Uhr Abendsonne im Zelteingang. Es gab schon unwirtlicheres Wetter auf dieser Tour! Irgendwo draußen reklamiert ein Grauganspärchen sein Revier. Gegen 22:00 Uhr noch mal ein Gang in der Abendsonne, die schon weit im Norden steht. Im Umkreis von 100 Metern finden sich 4 Steinwarten und bestätigen damit meine Theorie, daß sie keine Weg- sondern nur Rastplatzmarkierungen sind die vielleicht auch eher aus Zeitvertreib und aus Zufriedenheit über den angenehmen Lagerplatz aufgeschichtet wurden. Von dem Hügel mit der Warte kann ich selbst über eine Entfernung von 18,5 km die Dampffahnen der heißen Quellen von Hveravellir noch gut erkennen. Keine Wolke am tiefblauen Abendhimmel. Ich warte noch bis die letzten Sonnenstrahlen den flachen Eisschild des Hofsjökull hinter mir in orangefarbenes Licht tauchen. Was für ein Tag!


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