16. Tag, Laugafell - Bergland

Inhalt Home

Copyright © Dieter Graser

Freitag, 15. August 1997


Scheinbar hat mich der einsetzende Regen aufgeweckt. Es ist die übliche Zeit - 6:00 Uhr und draußen weht es ziemlich. Es gibt keinen besseren Grund sich im Schlafsack gleich wieder umzudrehen und weiter zu schlafen, während man mit einem halben Ohr das Trommel der Regentropfen auf dem Zelt verfolgt. Um 7:00 Uhr überrede ich mich zu einem Frühstück und lese danach noch etwas, allerdings döse ich auch schon wieder ein. Gegen 8:30 Uhr läßt still und heimlich der Regen nach und mit 2 Stunden Verspätung starte ich schließlich um 10:00 Uhr.

Ich verabschiede mich noch beim Hüttenwart und beginne den letzten Abschnitt der Tour. Laugafell war ein kurzer Abstecher nach Süden und nun geht es nach Norden zum sogenannten Vatnahjallavegur, dem alten Zugang von Eyjafjöršur zum Hochland. Den Laugakvísl kurz unterhalb der Hütte quere ich diesmal nicht sondern folge dem Bach und alten Huf und Reifenspuren. inzwischen ist die Sonne herausgekommen aber es weht noch immer ein kräftiger und frischer Südwind, so daß ich die langen Faserpelzhosen gut vertrage. Auf den Anorak als Windschutz kann ich aber noch verzichten. Nach 2-3 Kilometern kommen Markierungspfähle hinzu aber der Weg macht den Autos zuliebe einige Volten, die nicht dem "alten Weg" entsprechen und so gehe ich teilweise nach Karte und GPS. Ein paar einfache Steinwarten als Wegmarkierungen betätigen mich in meinem Kurs. Nach Querung des Lambalękur (über Steine) treffe ich die markierte "Piste" wieder und bleibe in der Folge auf ihr. Oder besser gesagt etwas neben ihr, denn ein Trupp Pferde hat die Fahrspur so aufgewühlt, daß in dem weichen Sand ziemlich schlecht zu Gehen ist.

arkt. Weidenröschen
Die Piste entspricht in etwa dem alten Weg von Laugafell zum Vatnahjallavegur hält sich aber etwa einen Kilometer weiter östlich. Zwischen niedrigen Hügelketten und an einem kleinen namenlosen See mit einer Insel vorbei erreiche ich gegen Mittag die Eystripollar, die "östlichen Tümpel", ein etwa einen Quadratkilometer großes Moorgebiet mit zwei offenen Wasserflächen. Die Eystripollar sind die einzige östlich der Austari Jökulsá gelegene Oase. Und hier treffe ich auch wieder auf die Route des Eyfiršingavegur die ich gestern Morgen für meinen Abstecher nach Laugafell verlassen habe. Ich bin jetzt gerade mal 5 km östlich meines Zeltplatzes am Pollakvísl (Vestripollar) und dazwischen quert der Eyfiršingavegur die Jökulsá an der Furt Eyfiršingavaš. Ein Kilometer weiter nördlich zwingt einen das hier schon recht tief eingeschnittene Tal der Geldingsá zu einem steilen Abstieg, und macht einem deutlich, daß man sich hier schon in den obersten Ausläufern der großen Täler des Nordens befindet, die wie Wurzeln von den Fjorden her in das Plateau des Hochlandes zurückgreifen. Die Geldingsá selbst ist ein schöner, klarer Wildbach. An seinen Ufern und Kiesbänken überraschen die großen roten Blüten des arktischen Weidenröschens. Durch die tiefe Lage ist das Tal windgeschützt und nach der knietiefen Furt genieße ich die angenehme Wärme der Sonne. An einem plätschernder, kristallklaren Seitenbach, der bedrängt von leuchtend grünem Moos und Weidenröschen durch eine winzige saftige Wiese fließt, mache ich Mittagspause. Habe bisher kaum einen schöneren Rastplatz gefunden. Wenn man durch die Wüste gelaufen ist darf man ungestraft die Idylle loben! Ich sollte gleich hierbleiben und mein Zelt aufbauen. Nehme mir aber wenigstens die Zeit für ein paar Photomotive in der nächsten Umgebung.

Vatnahjallavegur
Nach dieser ausgiebigen Pause geht es steil den nördlichen Talhang hinauf. Auf einer Stufe treffe ich wieder auf den Weg, der sich aber nach Westen und nach Osten aufteilt - mein Ziel liegt aber im Norden. Wie ich mich erinnere führt der östliche Weg der Geldingsá entlang zur Piste Sprengisandur - Eyjafjöršur. Also das ist nicht meine Richtung. Dem östlichen Weg folgen Pferdespuren, aber dieser führt talabwärts zur nahen Hütte Gráni. Dieser Weg bringt mich auch nicht weiter. Also gehe ich den Hang direkt und weglos an. Was ein kurzer Anstieg schien beginnt sich zu ziehen und der Hang neigt sich nur langsam zurück und wird flacher und es braucht lange bis endlich der höchste Punkt erreicht ist und der Blick nach Norden frei wird. Jetzt habe ich den Überblick über eine hügelige Wüstenlandschaft die nach Norden bis zum Horizont hin in Stufen ansteigt. Halb rechts, ganz in der Nähe, ein kleiner See, den ich als Wegpunkt im GPS habe - ich bin also gut auf Kurs. In der Ferne entdecke ich ein helles Objekt - ein weißer Geländewagen? Ich kümmere mich erstmal um meine Route und vergleiche Karte und Landschaft. Da, am vegetationslosen Westufer des Sees entdecke ich eine schöne Steinwarte. Also habe ich den markierten Teil des sogenannten Vatnahjallavegur gefunden! Nichts wie hinüber zur Warte, Position nehmen und weiter.

Die nächsten Warten liegen gerade auf Kurs. Ich habe kräftigen Rückenwind, die Sonne scheint und über den Gletschern Hofs-, Tungnafell- und Vatnajökull stehen die Föhnfische, daß es eine Freude ist. Die Sicht ist ausgezeichnet und nach Süden überblicke ich den ganzen nördlichen Sprengisandur. Der weiße Geländewagen taucht plötzlich etwa 2 Kilometer rechts voraus auf einer höheren Kuppe auf und steht dort scheinbar abwartend und regungslos. Man kennt das ja aus den Western wenn die Indianer wie aus dem Nichts lautlos über den Horizontlinie der Berge auftauchen und bewegungslos den Treck beobachten. Ich bin sicher der Wagen ist ein "Cherokee Chief"- niemand steigt aus. Als ich an dem Hügel vorbei bin verschwindet er - was der sich wohl gedacht hat? Es bleibt die einzige Begegnung.


"Drottning"
Ich klinke mich wieder in die Kette der Warten ein, nehme von Zeit zu Zeit eine Position und so geht es weglos, etwas mühsam und mehr bergauf als bergab, weiter nach Norden. Wo der Untergrund etwas weicher ist, kann ich die Hufspuren einer kleinen Gruppe (4-6 Pferde?) erkennen, die vor einiger Zeit nach Norden zog. In einer Einmuldung des Höhenzuges im Norden zeichnet sich gegen den Horizont ein besonders hohe Steinwarte ab. Wer weiß wonach er sucht wird sie auch noch aus großer Entfernung erkennen können. In einer bis anderthalb Stunden werde ich sie erreichen. Wie auf einer flachen Rampe geht es stetig bergauf. Langsam komme ich der Warte näher. In einigen Mulden und Tälchen findet sich noch Altschnee. Das Steinpflaster wird immer gröber und zum Schluß balanciere ich nur noch über grobes, kantiges Blockwerk bis zu der großen Warte. Auf einem breiten Felssockel sind große Steinplatten zu einer schlanken gut 3m hohen Säule aufgeschichtet, deren Spitze ein schwerer Schlußstein bildet. In eine der Platten an der Südseite der Warte ist der Schriftzug "Drottning" eingemeißelt und mit gelber Farbe hervorgehoben. Der Name "Drottning" bedeutet Königin, oder Dame und könnte sowohl auf die isolierte und beherrschende Position dieser Warte als auch auf die Ähnlichkeit mit einer Schachfigur anspielen - wer weiß? Bei klarer Sicht müßte man von hier über den ganzen Sprengisandur bis zur Hekla sehen können. Aber der Himmel hat sich bedeckt und über Südisland drückt ein Schlechtwettergebiet nach Norden. Im Lee des Hofsjökulls verstärkt sich das graublau der hohen Schichtwolken zu einer dunklen Welle. Der unangenehm starke Südostwind wirft meinen Rucksack vom Steinsockel der Warte wo ich ihn abgestellt hatte. Zeit weiter zu gehen.

In der flachen Paßmulde etwas nordöstlich der Warte stoße ich auf die Spuren des Ende der 40er Jahre unternommen ersten Versuches von Akureyri aus einen mit Automobilen befahrbaren Zugang zum Hochland zu bauen. Etwa alle 10 m geben kleine Steintürmchen oder Reihungen einen Anhaltspunkt wo das Blockwerk etwas weniger rauh ist um ein Durchkommen zu ermöglichen. Aber selbst da reicht die Bodenfreiheit eines serienmäßigen Geländewagens wohl nicht mehr aus um die Ölwanne vor den Aufgeschlitztwerden zu bewahren. Halblinks kommt der südlichste der Uršarvötn ins Blickfeld. An den vegetationslosen, sandigen Ufern schieben sich noch Schneefelder ins flache Wasser. Die 3 ineinander übergehenden Seen erstrecken sich über 7 km in einem weiten, flachen, Süd-Nord verlaufenden Tal. Der Berg Kerlingarhnjúkur überragt mit einer Höhe von 1057 m die Seen nur um 200 m. Das ganze Tal ist von kantigem Blockwerk bedeckt. Die größten dieser Felsen erreichen fast Zimmergröße. Mit den Seen kommt auch eine gelb gestrichene Hütte mit rotem Dach in Sicht. Ihr Name "Bergland" will treffend als Steinland übersetzt werden. Ob sie zugänglich sein wird? Die drei Kilometer zur Hütte ziehen sich natürlich noch etwas und die Fahrspur windet sich abenteuerlich durch die Felsen. Ich kürze diese Windungen meist ab und nehme den direkten Weg.

Die Hütte ist eine angenehme Überraschung. In die Läden der großen Fenster sind noch zusätzlich kleiner Plexiglasscheiben eingelassen. Die Außentüre besitzt eine überdimensionalen Riegel aus Edelstahl, wie auch überhaupt alle "Beschlagteile" und Riegel so gearbeitet sind und die Handschrift eines Handwerkers verraten. Die Riegel sind zwar schwer, aber es hängt kein Schloß davor und sie sind kinderleicht zu öffnen - Willkommen! Über einen praktischer Vorraum mit Toilette gelangt man in den gemütlichen und voll eingerichteten Wohnraum. Eine der heimeligsten Hütten die ich kenne. Ich habe mich schnell eingerichtet, die Fensterläden geöffnet und am See unten Wasser geholt.

Hüttenbuch
Die Hütte gehört den "Vélslešamanna" einem Motorschlittenverein und ist obwohl privat jedem zugänglich, der hier Zuflucht sucht. Neben dem Eingang ist ein Anschlag mit den Übernachtungsgebühren, darunter eine Kasse sowie kopierte Formulare auf denen man seine Anschrift hinterlassen soll, falls man gerade kein Kleingeld dabei hat. In den Regalen neben dem Gasherd sind etwas Vorräte an Dosen, Kaffee, Zucker, Kekse und sonstiges. Auf dem eigenen Kocher Abendessen gekocht und dann das Hüttenbuch studiert. Der letzte Eintrag ist schon 3 Wochen alt und für den ganzen Monat Juli gab es nur drei Eintragungen. Die "Motorschlittenmänner" besuchen dann vor allem im Winter und Frühjahr ihre Hütte. Vor allem die Eintragungen der Skitouren sind interessant. Manche Namen kenne ich schon aus dem Hüttenbuch der Ingólfsskáli oder persönlich. Darunter der Dresdner Jens Förster der Anfang Juli, auch er solo, auf seinem Weg vom Gullfoss nach Akureyri den Eyfiršingavegur gegangen ist. Oder auch die drei Österreicher, die ich an Ostern in Hveravellir getroffen habe. In einem extra Ordner sind Photokopien aus Büchern und Zeitschriftenatrikeln, die sich mit der Hütte selbst, dem Vatnahjallavegur oder der Umgebung hier befassen. Eine reiche Quelle von Informationen für mich.

Ein Bericht (Útivíst Jahrbuch “96) über den Versuch einer Skidurchquerung des Sprengisandur von Nord nach Süd von drei Isländern. Einer von ihnen ist auf den Spuren seines Großvaters, der 1925 die erste Skidurchquerung Islands unternahm (der Bericht liegt ebenfalls bei). Die Burschen haben allein schon mal 3 Tage gebraucht um ihre Schlitten vom Eyjafjaršardalur hier herauf zu ziehen und saßen dabei auf halbem Weg einen Tag in schlechtem Wetter fest. Sommerbesucher gaben im Hüttenbuch an den Aufstieg in 4 Stunden geschafft zu haben! Am Bergvatnskvísl, etwa 15 km nördlich der Laugafellhütte wurden die Skitourengeher dann derartig von Schnee eingedeckt (4 m), daß sie fast ihre ganze Ausrüstung verloren und einen Rettungsruf auslösen mußten. Der Heli hat sie dann herausgeholt. Der entsprechende Eintrag im Hüttenbuch ist leider wegen der Handschrift nur schlecht leserlich. Auch die 4 Deutschen, die sich “96 am Sprengisandur versuchten haben sich hier verewigt. Auch sie hatten eine harte Arbeit um hier herauf zu kommen. Jósef Hólmjarn erzählte mir, daß er sie wenig später traf und sie wegen Erfrierungen (keine Gesichtsmasken und -15°C bei starkem bis stürmischem Wind!) aufgeben mußten und nach Norden zurückkehrten. Die Skiunternehmungen der letzen drei Jahre fanden alle im Zeitraum Mitte März bis Mitte April statt. “95 waren es 2, im darauf folgendem Jahr 6 und “97 wiederum nur 2. Ich habe mir ein paar Namen und Daten abgeschrieben und sitze noch lange über den Büchern.


Zurück zu Inhalt
nächster Tag